"Die Mafia benutzt Deutschland, um ihr Geld zu waschen"

16.01.2011
Petra Reski setzt sich in ihrem Buch mit Mafiaversrickungen in Deutschland und Italien auseinander. Die Mafia sei hierzulande so schlecht wahrzunehmen, weil sie sich darauf beschränke, keine Morde zu begehen, sagt Reski.
Maike Albath: Guten Tag, Frau Reski. Frau Reski, haben denn die Politik und die deutschen Behörden seit dem Vorfall in Duisburg begriffen, dass die Mafia, die N’Drangheta aus Kalabrien, sich längst hier auch in Deutschland festgesetzt hat?

Petra Reski: Auf keinen Fall, zumindest, was die Politik betrifft. Was einzelne Polizeibeamte betrifft, da sind schon viele, die genau darüber Bescheid wissen über die Machenschaften vor Ort. Oft habe ich eine Mischung aus Hybris und großer Unkenntnis gegenüber der Mafia in Deutschland festgestellt.

Maike Albath: Das gab’s ja lange Zeit auch in Norditalien, gerade gegenüber diesen unbekannteren Ausprägungen der Mafia. Ich erinnere mich an eine Redewendung: "Sie bringen sich einfach gegenseitig um." Was wird denn da verkannt? Und warum ist die Mafia bei uns in Deutschland auch gerade so unbequem wahrzunehmen?

Petra Reski: Na, weil die Mafia in Deutschland sich vor allem darauf beschränkt, eben keine Morde zu begehen. Also, der Sechsfachmord von Duisburg war die Ausnahme. Das war zwar die Spitze des Eisbergs, aber doch immerhin eigentlich ein Betriebsunfall. Und die meisten Ermittler, in Italien zumindest, glauben auch nicht, dass so was vorerst in nächster Zeit noch mal passieren könnte in Deutschland, weil es eben halt die Deutschen vorübergehend aus ihrem langjährigen Schlaf aufgeschreckt hat.

Die Mafia benutzt Deutschland, um ihr Geld zu waschen. Und das wird ihr auch sehr leicht gemacht in Deutschland. Und sie investiert also ihr Geld, was sie mit dem Drogenhandel, mit dem Waffenhandel, mit der Prostitution usw. verdient, in Deutschland - und das schon seit Jahrzehnten.

Und das ist auch völlig ungestört von den Politikern. Also, viele deutsche Politiker scheinen offenbar die Geldwäsche für eine Art Konjunkturprogramm für Deutschland zu betrachten.

Maike Albath: Warum ist es denn so einfach, in Deutschland Geld zu waschen? Woran liegt das?

Petra Reski: Weil es die sogenannte Beweislastumkehr in Deutschland gibt. Das heißt also: Nicht der Investor, anders als in Italien, wo der Investor nachweisen muss, dass dieses Geld, das er investiert, aus sauberen Quellen stammt, muss das in Deutschland der Polizeibeamte nachweisen oder der Staatsanwalt, dass dieses Geld, was investiert ist, aus unsauberen Quellen stammt.

Das hört dann schon meistens gleich am Anfang auf, also, indem dann der Polizist, wenn denn überhaupt beispielsweise ein Geldwäschebeauftragter aufgeschreckt wurde, was auch schon selten genug geschieht, dass dann der Investor, der nicht unbedingt ein Italiener sein muss, es kann auch ein deutscher Strohmann sein, dann eben sagt, oder wenn es ein Italiener ist, ein Kalabrier vielleicht, dass der dann sagt, dass dieses Geld von einem Onkel aus Süditalien stamme oder aus einer Erbschaft. Und er legt dann irgendwie eine gefälschte Schenkungsurkunde aus Italien vor. Und damit sind die Ermittlungen in der Regel beendet, weil es sehr häufig vorkommt, dass den Polizisten, den Ermittlern in Deutschland auffällt diese große Diskrepanz zwischen dem Einkommen eines Pizzabäckers, der beispielsweise 800 Euro pro Monat verdient, und sich dann für 80.000 eine Pizzeria zulegt.

Maike Albath: Ein großes Problem sind die nicht weit gehenden Gesetze in Deutschland. Sie schreiben in Italien in Ihrem Buch ja auch darüber, dass dort die Gesetzgebung sehr viel weiter gediehen ist, weil man dieses Problem schon seit Jahrzehnten kennt. Darunter fallen auch die Abhörgesetze. Die sind in Italien ebenfalls sehr viel massiver in dem, was sie dürfen. Was ist da das Problem?

Petra Reski: Die Ironie des Schicksals besteht jetzt eigentlich darin, dass die Berlusconi-Regierung im Grunde das strenge deutsche Abhörgesetz eigentlich auch in Italien durchsetzen möchte, weil natürlich ein gemeinsames Interesse von korrupten Politikern plus Mafiosi darin besteht, nicht abgehört zu werden.

In Deutschland ist es ja so, dass man nicht in öffentlichen Lokalen, nicht in Privatwohnungen abgehört werden kann, was man in Italien bislang noch kann. Und in Italien war eine große Welle der Empörung, vor allen Dingen von Seiten der Journalisten, gegenüber diesem geplanten Abhörgesetz. Und für mich war das eben sehr bizarr zu beobachten, dass dieses Abhörgesetz, was man jetzt in Italien durchsetzen wollte, in Deutschland schon lange appliziert wird.

Maike Albath: Sie sind in Ihrem Buch auch immer wieder unterwegs und schildern diese Reise. Zum Beispiel waren Sie in Kalabrien, in San Luca. Oder es gibt Porträts, die eingearbeitet sind. Können Sie uns diesen Ort, aus dem ja viele der Clans stammen, die europaweit agieren, ein bisschen beschreiben? Es gibt 4000 Einwohner und 39 Familien, die auch belangt werden gesetzlich. Was steckt dahinter?

Petra Reski: San Luca ist eine Hochburg der N’Drangheta und das schon seit Jahrzehnten. Sie haben vor allen Dingen ihr Geld durch die Entführungsindustrie in den 70er-Jahren gemacht. Das war sozusagen ihr Quantensprung, als sie sich von der kleinen bäuerlichen Mafia dann zu der heute großen Mafia, die sich vor allen Dingen durch den Kokainhandel finanziert, durchgesetzt hat. Und in den 70er-Jahren war es eben so, dass in Italien also sehr viele eben von diesen Mafia-Clans, also N’Drangheta-Clans aus Kalabrien, norditalienische Industrielle entführt haben und sich dadurch irgendwie etwas Geld verschafft haben, was im Übrigen auch zum großen Teil in Deutschland investiert wurde. Und das war der Qualitätssprung, den die Mafia damals gemacht hat.

Und heute ist es so, dass San Luca immer noch davon profitierte, sozusagen traditionell, von der Nähe zu dem Wallfahrtsort der N’Drangheta. Das ist Santa Maria di Polsi. Der Pfarrer von San Luca, Don Pino, ist auch gleichzeitig geistiges Oberhaupt von dem Wallfahrtsort Madonna di Polsi. Und in diesem Ort treffen sich jedes Jahr im September zu der großen Wallfahrt auch die Mafia-Bosse. In diesem Jahr sind dann auch noch Video-Aufzeichnungen gezeigt worden von diesem Treffen, wo sich also die Mafia-Bosse tatsächlich in dem Kloster dort treffen während des Wallfahrtstreffens.

Und das hebt San Luca eben heraus aus den anderen Orten Kalabriens, also Mafia-Orten. Das setzt seine hervorragende Stellung durch. Und die Clans von San Luca sind die mächtigsten auch in Deutschland. Deswegen ist es ganz interessant: Der BKA hat ja einen einzelnen Bericht sogar nur diesen Clans aus San Luca gewidmet, die sehr aktiv sind in Nordrhein-Westfalen, in Erfurt in Thüringen und aber auch in Baden-Württemberg.

Maike Albath: Sie haben jetzt schon die Kirche erwähnt. Italien ist ja ein tief katholisches Land. Warum schreitet man auf dieser Ebene nicht ein und vermeidet auch zum Beispiel oder nimmt ganz deutlich Stellung, dass Mafiosi oder N’Dranghetis die Beichte bekommen oder denen die Absolution erteilt wird?

Petra Reski: Die Mafia hat natürlich immer die Nähe zu der Katholischen Kirche gesucht. Nicht umsonst gleichen viele Gebote der Mafia den katholischen Geboten. Anders als die kommunistische Partei hat sie nie versucht, in Opposition zur Katholischen Kirche zu gehen. Das wäre auch unlogisch gewesen. Denn Italien kann nicht existieren ohne die Zustimmung der Katholischen Kirche. Und bis heute ist es leider so, dass viele katholische Priester Mafia-Bossen in ihren Verstecken die Beichte abnehmen oder die Messe zelebrieren aus dem Grunde, weil sie sich überlegen fühlen der irdischen Justiz.

Und dieses wird leider auch zum großen Teil durch die eigentlich sehr massive und offensichtliche Zurückhaltung der Katholischen Kirche im Grunde bei der Mafia geprägt. Es gibt bis heute kein offizielles Anti-Mafia-Dokument des Vatikans, auf das sich beispielsweise die Priester berufen könnten. Man kann natürlich auch nicht von kleinen Priestern irgendwo in Süditalien verlangen, dass sie sich gegen die Bosse in ihrem Ort stellen. Das gibt es immer wieder, mutige Priester, die beispielsweise dann auch – vor kurzem war es so, dass die Teilnahme der Bosse an den Prozessionen verboten haben. Und dann wurde eben auf diese Priester geschossen.

Wenn sich der Vatikan nicht hinter solche Priester stellt, ist natürlich dieses Anti-Mafia-Engagement ein reines Lippenbekenntnis der katholischen Kirche bis heute.
Maike Albath: Eingearbeitet in Ihr Buch, das macht es auch sehr lebendig, sind immer wieder Porträts von Staatsanwälten oder Angehörigen von Mafia-Opfern, auch von Priestern. Was sind das für Leute, die doch eigentlich sehr viel aufs Spiel setzen. Man hat auch den Eindruck, dass da doch viel passiert ist, und wundert sich dann darüber, dass die Mafia immer noch so stark sein kann.

Petra Reski: Ich habe also sehr viele mutige Menschen, in Italien gerade, porträtiert. Das reicht eben von Anti-Mafia-Priestern bis hin zu einem Orangen-Bauern in Sizilien, der sich weigert Schutzgeld zu bezahlen. Aber alle diese Leute, und das finde ich irgendwie wichtig für die Deutschen, bleiben alleine, solange im europäischen Ausland und speziell deutschland, in Deutschland lebt die größte Gemeinschaft der Italiener im Ausland, solange also wir in Deutschland die Augen verschließen vor den Investitionen der Mafia in Deutschland.

Also, wenn es der Mafia so leicht gemacht wird, in Deutschland zu investieren – das heißt, sie kommen ja nicht auf die Idee, ihr Geld in Kalabrien oder in Sizilien zu investieren, sondern sie investieren es in Berlin oder in Stuttgart –, solange haben wir auch eine moralische Verantwortung gegenüber dem, was in Italien passiert. Solange können wir Deutsche auch nicht sagen, die Italiener kriegen das ja nicht hin, die Bekämpfung der Mafia. Wir helfen der Mafia beim Überleben.

Maike Albath: Keine Folklore findet man in dem Buch von Petra Reski, das unter dem Titel "Von Kamen nach Corleone" erschienen ist, "die Mafia in Deutschland", bei Hoffmann & Campe.
Cover: "Petra Reski: Von Kamen nach Corleone"
Cover: "Petra Reski: Von Kamen nach Corleone"© Hoffmann & Campe