Die Macht der Mütter

Paulo Scott begrüßt die Proteste der brasilianischen Bevölkerung.
Paulo Scott begrüßt die Proteste der brasilianischen Bevölkerung. © Deutschlandfunk - Fred Kowasch
10.09.2013
In seinem aktuell viel diskutierten Roman "Unwirkliche Bewohner" erzählt Paulo Scott vom Rassismus und gesellschaftlichen Hoffnungen auf Veränderung in seinem Heimatland Brasilien. Vor allem in der Stärke der Frauen sieht er eine zentrale Kraft.
In Brasilien hat ein Buch sehr viel Aufmerksamkeit erregt, das sich mit dem Leben der indigenen Brasilianer auseinandersetzt: "Unwirkliche Bewohner" von Paulo Scott. Der Roman wurde unter anderem mit dem Preis der Brasilianischen Nationalbibliothek ausgezeichnet, gerade ist Paulo Scott ist auf einer Lesereise durch Deutschland.

Im Gespräch erzählt der Autor, der Titel beziehe sich darauf, dass die Indianer oft nicht einmal wahrgenommen werden. "Die sind wie unsichtbar. In ihrer Wertigkeit stehen sie bei einigen noch unter den Tieren." Und den normalen Bürgern in Brasilien seien die Probleme der Indianer eigentlich völlig egal. Insofern sei die Lösung für das Rassismus-Problem in Brasilien noch weit von einer Lösung entfernt.

Die zwei Protagonisten im Roman stehen für eine gesellschaftliche Entwicklung: ein Paar, zunächst ein junger Menschenrechtsaktivist, Sohn aus gutem Hause, und dann die Indianerin Maina aus dem Volk der Guarani. Sie haben einen Sohn zusammen, können aber offensichtlich nicht miteinander leben. Paulo Scott sieht sie als Metapher für zwei unterschiedliche Welten. In den 80er-Jahren gehörte ein junger Mann wie Paulo, so erzählt Paulo, zu den jungen Menschen, die eine Veränderung wollten, eine neue Lebensform, eine neue Freiheit nach der langen Militärherrschaft. Er sieht in ihm einen typischen Linken, der irgendwann merkt, dass sein linkes Denken allerdings nicht ausreicht, und in eine Sackgasse gerät.

Die Beziehung der beiden ist der Versuch, die unterschiedlichen Welten, in denen sie leben, miteinander zu verbinden. Eigentlich sind beide unglücklich, suchen noch nach ihrem Platz – und dann lernen sie sich kennen und verlieben sich. Auf die Tatsache angesprochen, dass es wohl schlecht um die Gesellschaft stehe, da die Beziehung scheitert, verweist Scott darauf, "dass mein Roman in einem anderen Jahrzehnt spielt, in den 80er Jahren. Ich würde sagen, heute ist es vielleicht leichter, sich so eine Beziehung zwischen einer Indianerin und einem Nicht-Indianer vorzustellen." Heute würde die indigene Bevölkerung selbstbewusster auftreten, wüsste mehr, was sie wollen und wo sie hinwollen.

Selbstmord als bizarres Symbol der Hoffnung
Trotzdem seien die Unterschiede noch groß, so Paulo Scott weiter. Es gebe eine unterschiedliche Mystik, da herrsche schon noch eine Kluft. Doch er glaubt an ein Miteinander der Kulturen, schließlich sei Brasilien ja selbst ein Resultat dessen. "Wenn man durch São Paolo streift, fällt auf, dass die meisten Straßen indianische Namen tragen", so Scott.

Dass Maina Selbstmord begeht, weist auf ein noch bestehendes Problem hin: Die hohe Selbstmordrate ist neben dem Alkoholismus im indigen Teil der brasilianischen Bevölkerung besonders hoch. Ein Grund dafür sei die Frustration darüber, dass es so schwierig für sie sei, in das Innere der brasilianischen Bevölkerung vorzudringen, obwohl sie das Land ja auch symbolisierten. Doch der Selbstmord zeigt auch etwas anderes: "Bizarrerweise entsteht daraus auch eine Hoffnung für ihr Kind. Das ist vielleicht das Absurde, Verrückte daran, dass Donato als weißer Junge aufwächst und dann irgendwann erfährt, dass er nicht weiß ist, sondern auch ein Indianer."

Die Mutter muss also sterben, damit aus dem Jungen etwas werden kann. Paulo Scott wendet das ins Positive, wenn er sagt, dass die Mütter in seinem Buch eine ganz starke Rolle, weil sie die Möglichkeit haben, Zukunft zu gestalten. Diese Macht, die von Frauen ausgeht, sieht der Autor als zentrales Thema seines Buches. Es gehe um Identität, um die Beziehung zum Land, aber eben auch um starke Frauen, insbesondere auch innerhalb der indigenen Bevölkerung, wo die Männer eine sehr starke Rolle spielten.

Angesprochen auf die Massenproteste in Brasilien in den vergangenen Monaten, hegt Paulo Scott die Hoffnung, dass daraus ein politischer Neuanfang entstehen könnte. "Bislang waren die Brasilianer viel zu passiv, das hat sich Gott sei Dank ein bisschen geändert. Die Politiker haben uns an der Nase herumgeführt, bis es sogar den Brasilianern zu viel wurde und sie sich aufgelehnt und protestiert haben."

Das vollständige Gespräch mit Paulo Scott können Sie mindestens bis zum 10.2.2014 als MP3-Audio in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören.