"Die Lösung hängt jetzt nicht mehr an uns"

Fernando Vallespin im Gespräch mit Jan Kitzler · 06.09.2012
Vor dem Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Spanien wirbt der Politikwissenschaftler Fernando Vallespin für mehr Dialog zwischen den Südländern und den reicheren Ländern der Eurozone, denn: "Wir haben den Eindruck, dass wir so vollkommen abhängig sind von Entscheidungen, die außerhalb Spaniens liegen".
Jan-Christoph Kitzler: So richtig beliebt ist die Kanzlerin ja gerade nicht in Europa. Angela Merkel gilt vielerorts eher als so eine Art Zuchtmeisterin in der Krise. Und in den Ländern, in denen die Menschen besonders leiden unter der schwachen Wirtschaft, unter der Arbeitslosigkeit, hat die Politik der Bundesregierung, die auf Sparen, Sparen, Sparen pocht, nicht besonders viele Sympathisanten. Vielleicht wird Angela Merkel das heute zu spüren bekommen bei ihrem Besuch in Spanien. Heute trifft sie sich mit Ministerpräsident Mariano Rajoy zum Mittagessen und sie besucht auch ein deutsch-spanisches Wirtschaftstreffen.

Es gibt ein paar Zahlen aus Spanien, die machen Mut. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt liegt die spanische Verschuldung nämlich noch unter der Deutschlands. Aber dann sind da vor allem die Arbeitslosenzahlen, die sich nach den letzten Daten noch einmal verschlechtert haben, die vor Kurzem bekannt gegeben wurden: Landesweit sind fast 25 Prozent der Menschen ohne Arbeit, bei den Jugendlichen bis 25 sind es fast 50 Prozent. So etwas geht an einer Gesellschaft natürlich nicht spurlos vorüber. Darüber spreche ich jetzt mit Fernando Vallespin, der als Politologe an der Universidad Autónoma in Madrid arbeitet. Schönen guten Morgen!

Fernando Vallespin: Guten Morgen!

Kitzler: Wie wird denn Angela Merkel heute von den Spaniern empfangen? Ich meine das natürlich nicht offiziell, gibt es da eher Hoffnung oder mehr Wut in Richtung Deutschland?

Vallespin: Es gibt keine Wut. Ich glaube, es gibt natürlich Hoffnung, aber auch eine große Sorge. Wir haben den Eindruck, dass unsere Lage nicht richtig verstanden wird, und in diesem Sinne ist, glaube ich, dieser Dialog heute sehr wichtig für uns. Ich glaube, eines ist ja klar: Die Sympathien in Spanien für Deutschland waren immer sehr groß und bleiben auch groß. Aber was man verstehen muss, ist eigentlich, dass die Wirtschaft – und das ist eigentlich unser Eindruck – nicht durch reine Austeritätspolitik sich verbessert, und auch dass man nicht nur Reformen braucht, sondern auch so Wachstumspolitik. Und das ist, was wir in der deutschen Haltung nicht kriegen. Und vielleicht gibt es auch dabei etwas Psychologisches noch dazu, das ist, was uns am meisten besorgt, oder wenigstens mich persönlich, ist, dass das alles nicht von uns abhängt jetzt im Moment. Also, wir haben den Eindruck, dass wir so vollkommen abhängig sind von Entscheidungen, die außerhalb Spaniens liegen.

Kitzler: Dieses Gefühl, dass man ferngesteuert ist sozusagen.

Vallespin: Ja, genau.

Kitzler: Das gibt es ja in mehreren Ländern in Europa zurzeit, in der Krise. Die Macht der Märkte ist ja so ein Stichwort. Spanien war ja lange Musterknabe in Europa, die Wirtschaft hat sich über Jahre sehr gut entwickelt und die Begeisterung auch für Europa war sehr groß, man hat da ziemlich profitiert. Wie ist denn jetzt noch die Begeisterung für Europa?

Vallespin: Ja, wir waren tatsächlich, ich würde sagen, sogar Euro-Euphoriker. Also, es gab so diese Euphorie für Europa. Und das ist doch verständlich, also, Europa und die Demokratie haben uns von unserer historischen Pathologie befreit. Und ich glaube, das können die Deutschen auch ganz gut verstehen. Aber wir haben auch sehr viel von Europa profitiert, hauptsächlich durch die Euro-Fonds. Aber wir sind sicher, dass wir auch die Hausaufgaben richtig gemacht haben. Und alles fing an, schiefzugehen, nach der finanziellen Krise, so ab, sagen wir, so 2008, und hauptsächlich als die Immobilienblase geplatzt ist. Und seitdem sind wir in einer schlimmen Lage. Aber wie ich vorhin sagte: Also, die Lösung hängt jetzt nicht mehr an uns. Und das ist eben, was wir bedauern.

Und wir bedauern auch noch einiges, was, ich glaube, die Deutschen verstehen müssen. Irgendwie, die Logik der Europäischen Gemeinschaft, also Europäischen Union hat sich gewandelt, hat sich irgendwie verstellt. Denn zum Beispiel Deutschland hat faktisch so ein Veto-Recht in der Europäischen Zentralbank, aber wir Südländer leiden eigentlich oder sind abhängig von dem, was die Reichen jetzt im Euro-Land so entscheiden.

Und das geht gegen das, was wir immer von Brüssel gedacht haben, also, dass wir alle zusammenarbeiten können, alles zusammen entscheiden. Und jetzt haben wir den Eindruck, dass Brüssel nicht mehr die Entscheidung fällt, sondern Frankfurt und Berlin. Und das ist etwas Neues.

Kitzler: Kommen wir mal zur Lage in Spanien selbst ...

Vallespin: Ja.

Kitzler: Man liest hier immer wieder von einer Vertrauenskrise, dass das Vertrauen in die Banken, in die Wirtschaft, in die Politik zumal und letztendlich auch in die Zukunft des Landes dahin ist. Woran zeigt sich das ganz konkret?

Vallespin: Ja, das stimmt vollkommen. Also, ich würde sagen, das Stichwort hier ist Hoffnungslosigkeit. Und das kann man auch ganz gut verstehen. Also, man muss bedenken, dass es uns unheimlich viel gekostet hat, so einen richtigen Sozialstaat aufzubauen. Und jetzt mit diesen Kürzungen der staatlichen Ausgaben brauchen wir auch so, ich würde sagen, Sündenböcke. Und die Sündenböcke sind im Moment die Banken, die diese Immobilienblase gefüttert haben, und natürlich auch die Politiker, die uns keine Lösungen bringen. Und natürlich waren diese Politiker auch in sehr viele Korruptionsskandale verwickelt. Und das hat natürlich zu dieser Politikverdrossenheit geführt.

Und das ist, glaube ich, für mich ist es wenigstens, was am gefährlichsten ist für das Land. Also, wir brauchen neue politische Maßnahmen, aber die wenigen, die sie entfalten müssen, verfügen kaum über das erforderliche Vertrauen. Und diese Scheidung ist eigentlich sehr gefährlich.

Kitzler: Wenn man mit Spaniern früher geredet hat, dann hatte ich immer den Eindruck, es gibt da eigentlich ein großes Vertrauen in den Staat. Ist das jetzt völlig zerstört? Und wenn ja, was heißt das eigentlich für den Zusammenhalt der Gesellschaft?

Vallespin: Natürlich, der Zusammenhalt der Gesellschaft ist schlimmer als vor ... ich würde sagen, nur ein paar Jahren. Man muss bedenken, dass die spanische Wirtschaft seit 1993 praktisch immer nur vorwärts gelaufen ist, und plötzlich ist das Schlechtwetter da und dann sind wir ... Also, wir waren psychologisch dafür nicht vorbereitet. Und kein einziger Politiker hat uns was, was wir werden, darüber gesagt.

Aber ich würde sagen, im Moment scheint die Zivilgesellschaft sich in eine andere Richtung zu bewegen. Also, nicht nur Proteste, sondern auch etwas Konstruktiveres. Und da, in dieser Hinsicht bin ich auch ziemlich optimistisch. Also, wenigstens optimistischer als es vor sechs Monaten war.

Aber man muss bedenken, dass es auch ein psychologisches Problem gibt. Wir haben ein Selbstvertrauensproblem irgendwie. Und was ich finde, ist, dass wir uns im Klaren sein müssen, was von uns tatsächlich abhängt, und dass wir das zusammen in Europa lösen können. Also, natürlich sind wir auch verantwortlich für die Lage, in der wir stehen. Aber wir können nicht alleine heraus aus dieser Lage. Das ist, glaube ich ...

Kitzler: Also, trotz dem Gefühl, dass man fremdgesteuert ist, gibt es immer noch den Eindruck, viele Spanier, die sagen, okay, wir müssen unser Schicksal selber in die Hand nehmen!

Vallespin: Ja, genau.

Kitzler: Das war Fernando Vallespin, Politologe an der Universidad Autónoma in Madrid. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch, einen schönen Tag!

Vallespin: Vielen Dank, bitte sehr, guten Tag noch!

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