Die Literatur und der Allmächtige

23.12.2009
Akribisch macht sich Georg Langenhorst auf die Suche, wo in der Gegenwartsliteratur von Gott und Religion gesprochen wird. So ist sein Buch nicht nur ein Gewinn für überzeugte Christen, sondern auch für Literaturliebhaber mit Sinn fürs Metaphysische.
Georg Langenhorst: "Viele Literaturwissenschaftler der älteren Generation vor allem und auch viele Kolleginnen und Kollegen in den Feuilletons haben immer noch das Gefühl, dass Religion zum Thema zu machen bedeutet eigentlich, geistig rückständig zu sein."


Das sagt Georg Langenhorst. Er ist Theologieprofessor und Experte im Dialogfeld "Theologie und Literatur".Seit fünfzehn Jahren beobachtet Langenhorst einen Klimawandel in Sachen Religion – zumindest im Bereich der deutschsprachigen Literatur. Dort entdeckt er eine "neue Unbefangenheit" gegenüber Religion und Gottesrede. Ein Beispiel:

"Vor allem in den Gedichten Michael Krügers seit Beginn der 90er-Jahre zeigt sich ganz deutlich ein neues Interesse für Religion. Das findet man bei Krüger in den Arbeiten der siebziger, achtziger Jahre überhaupt nicht. Das ist kein Thema, das interessiert ihn nicht, das thematisiert er nicht."

Michael Krüger ist ein Unikat: Man sieht ihn hinter den Kulissen des Literaturbetriebs ebenso wie auf der Bühne der Literaten. Denn Michael Krüger ist geschäftsführender Gesellschafter des renommierten Münchner Hanser-Verlages sowie zugleich vielfach prämierter Essayist, Erzähler und insbesondere Lyriker.

Georg Langenhorst: "Mit den neunziger Jahren beginnt die Vokabel Gott, beginnen biblische Begriffe, beginnen religiöse Vorstellungen in sein Werk hineinzukommen wie von selbst."

"Natürlich kann man sich
den Schöpfer des Universums
als einen Gaukler denken.
Alles verrücktes Spiel,
Ausdruck beginnender Müdigkeit.
Nur manchmal, wenn wir
am Abend, einer Gewohnheit folgend,
uns auf der Wiese versammeln,
um die Nacht still zu begrüßen
sind wir vor Staunen sprachlos:
um uns zu foppen, zeigt er uns
Proben seines großen Talents."


Georg Langenhorst: "Da wird keine Glaubensaussage getroffen, da wird kein schweres Dogma zitiert, sondern da wird spielerisch, ironisch, ernsthaft darüber nachgedacht, ob eine Abendszenerie nicht einen impliziten Hinweis auf eine Dimension Gott haben könnte."

Auf der Suche nach Gott in der Gegenwartsliteratur blickt Langenhorst auch über den christlichen Tellerrand hinaus. Im deutschsprachigen Literaturmenü mit weltreligiöser Kost findet er Sättigendes bei jüdischen Autoren, zum Beispiel bei Barbara Honigmann und Matthias Herrmann. Was die fernöstlichen Religionen anbelangt, kann Langenhorst lediglich Häppchen entdecken, etwa die Asienromane von Adolf Muschg. Ähnlich verhält es sich mit der originär deutschsprachig muslimischen Literatur.

"Offensichtlich wollen diese Autorinnen und Autoren nicht über Religion definiert werden, sondern sie wollen im deutschsprachigen literarischen Kontext wahrgenommen werden durch ihre Lebenssituation, aber eben nicht durch ihre religiöse Prägung."

Eine Sonderstellung nimmt für Langenhorst der Lyriker SAID ein. Der Exiliraner legt im Jahr 2007 einen Band vor mit dem Titel "Psalmen". Darin findet man 99 Gedichte.

"Sie spielen mit der Dimension, dass es einen Gott gäbe, den man mit 'Du' anreden könnte, aber SAID sagt selbst in Interviews ganz offen, dass es den wirklich gibt, das glaubt er nicht. Er schließt es aber auch nicht aus."

"herr
gib dass ich unbelehrbar bleibe
mich vor der kompatiblen vernunft schütze
und deren postmodernen furien
sodass ich meine erregbarkeit nicht verliere
denn dann verlöre ich auch dich"


Georg Langenhorst: "Bei SAID ist auffällig, dass er die klassischen Formen der Psalmreden völlig ignoriert. Wir finden bei Said kein Lob, wir finden keinen Dank, wir finden keine Bitte. Wir finden Klage und wir finden vor allem eine Form, die in den alttestamentlichen Texten sehr wohl da ist, in kirchlicher Tradition aber nie gepflegt wird. Wir finden die Form der Einforderung Gottes. Gott ist einzufordern. Es ist seine Pflicht, sich zu zeigen. Von dieser Dynamik leben seine Texte."

Langenhorst schreibt äußerst anregend und gut lesbar. Sein Buch ist zweifellos von Gewinn für eine Leserschaft mit religiösem oder kirchlichem Hintergrund. Doch auch Literaturfans kommen auf ihre Kosten. Ihnen bietet Langenhorst ein "perspektivenreiches Panorama" sehr unterschiedlicher Autorinnen und Autoren sowie den Blick auf eine Vielzahl an Sprach- und Stilformen.

Hans-Josef Ortheil und Ralf Rothmann schreiben über Religion in der Sprache des Alltags. Arnold Stadler und Ulla Hahn etwa reden über Religion in der Erinnerung an die Faszination von Liturgie. Und Patrick Roth wählt für seine drei Christusnovellen die Sprache des selbstverfassten Mythos.

"Die vielleicht spannendste Autorin, die ich behandle, ist Sibylle Lewitscharoff."

Sie thematisiert Religion im "Modus des Skurril-Phantastischen". In ihrem Roman "Consummatus" pendelt der Protagonist zwischen Diesseits und Jenseits. Er berichtet vom Totenreich und kündet von Gott.

"Er ist die große schwarze Null. ... Durchs Leben streicht Er als Hinwelle, das Totenreich durcheilt Er als Rückwelle. ... Wenn Er blinzelt, hagelt es einen Scherz, der von uns Menschen schlecht verkraftet wird."

Mit dem Buchtitel "Ich gönne mir das Wort Gott" zitiert Langenhorst Andreas Meier. Der renommierte Schriftsteller sieht in der Tabuisierung von Religion eine unnötige Erschwernis seiner literarischen Arbeit.

Georg Langenhorst: "Und ich selbst möchte jetzt formulieren: Viele Schriftstellerinnen, Schriftsteller sagen: Wir gönnen uns diese Dimension von Religion, ohne dadurch religiöse Autoren zu werden, aber wir lassen uns nicht länger vorschreiben, dass eine ganze Dimension literarisch nicht auftauchen darf."

Besprochen von von Thomas Kroll

Georg Langenhorst: "Ich gönne mir das Wort Gott". Gott und Religion in der Literatur des 21. Jahrhunderts
Verlag Herder: Freiburg i.Br. 2009
328 Seiten, 24,95 Euro.