Die Liebe der Europäer zur Hähnchenbrust

Von Bettina Rühl · 13.01.2010
Bis vor zehn Jahren war die Welt der Geflügelbauern in Ghana noch in Ordnung.
Sie versorgten ihre Kundschaft mit Frischhuhn, das sie selber züchteten und auf die Märkte des Landes brachten. Doch dann überschwemmten tiefgefrorene Hähnchenteile aus Europa zu Dumpingpreisen das Land.

Dagegen konnte die heimische Geflügelwirtschaft nicht konkurrieren und eine gesamte Branche brach zusammen. Wie viele Arbeitsplätze verloren gingen, ist schwer zu schätzen, sicher ist allerdings: Nicht nur die meisten Bauern mussten ihre Höfe schießen. Auch der Umsatz von Brütereien, Futtermühlen, Schlachthäusern und Transportunternehmen brach zusammen.

Ein Markt in Accra, der Hauptstadt des westafrikanischen Ghana.

Zu kaufen gibt es buchstäblich alles: Wandfarbe, Werkzeug, Oberhemden, Schuhe, Unterwäsche, Gewürze, Gemüse - und gefrorene Geflügelteile.

Vanessa Ageyman hat in ihrem Leben schon mit Stoffen, Haushaltswaren und Gemüse gehandelt. Vor vier Jahren ist sie auf gefrorene Geflügelteile umgestiegen – die Nachfrage war groß, die Sache viel versprechend.

Jetzt liegt ihre Ware in großen gefrorenen Klumpen in einer Glasvitrine: Innereien, Rückenteile, Hälse und Schenkel. Der Boden der Vitrine ist mit Teilen von einem blauen Müllsack ausgelegt – in der Hitze des tropischen Tages tauen die Geflügelteile schnell auf, das Plastik soll das Schmelzwasser auffangen.

Vanessa Ageyman: "Wenn das Fleisch nicht mehr gut riecht, bringe ich es zurück und der Großhändler gibt mir mein Geld wieder. Was er dann mit dem Fleisch macht, weiß ich nicht – ich nehme an, dass er es wegschmeißt."

Die Vitrine steht zusammen mit einer mechanischen Waage auf einem alten, hölzernen Tisch. Dahinter sitzt die Händlerin und wartet auf Kunden. Ihre Ware kauft sie beim Großhändler in Kartons von jeweils zehn Kilo. Vanessa Ageyman hat keine Kühlbox, geschweige denn einen Kühlwagen.

Stattdessen transportiert sie die gefrorenen Fleischstücke – wie alle anderen Einkäufe auch - mit dem Eselskarren oder einem Taxi. Dass die Ware auf dem Weg durch die afrikanische Hitze und den dichten Verkehr von Accra antaut, ist kaum zu verhindern. Erst am Marktstand kommen die Kartons in die Gefriertruhe. Weil die Fleischstücke in der Vitrine schnell auftauen, legt Vanessa Ageyman möglichst nur so viele hinein, wie sie im Laufe eines Tages verkaufen kann.

Kwame Agi, der am Nebenstand arbeitet, sieht das nicht so eng.

Kwame Agi: "Was im Laufe des Tages nicht verkauft werde, lege er abends in die Gefriertruhe zurück. Weil es manchmal ein paar Tage dauert, bis ein Fleischstück seinen Käufer findet, wird es mehrfach gefroren und aufgetaut."

Nur ein paar Meter weiter werden lebende Hühner angeboten, dicht an dicht stehen sie in den Käfigen. Die Kunden schlachten sie selbst - frischer geht es nicht. Doch es gibt nicht mehr hinreichend frisches Geflügel, um die Nachfrage zu befriedigen. Dabei produzierten die ghanaischen Geflügelbauern jahrelang genug, um die Kunden mit Eiern und Hähnchenfleisch zu versorgen.

Doch dann kamen gefrorene Geflügelteile aus aller Welt zu Schleuderpreisen auf den Markt: Rücken, Hälse, Schenkel und Füße auch aus Deutschland und den Niederlanden. Sie kosteten damals nur die Hälfte dessen, was die Kunden für ghanaisches Geflügelfleisch zahlen mussten. Die Folge: Nach und nach mussten immer mehr Farmer aufgeben. Kenneth Quartey ist Präsident des Verbands der Geflügelhalter in Ghana.

Kenneth Quartey: "Es war für uns nicht mehr wirtschaftlich, Hähnchen hier in Ghana zu mästen, weil das importierte Billigfleisch unsere Märkte überschwemmte. Obwohl es aus Übersee kam und unseren Zoll passieren musste, lag der Preis für gefrorenes Geflügel 40 Prozent unter dem, was wir verlangen mussten, um unsere Betriebe rentabel zu machen.

Zuerst breitete sich das importierte Geflügel trotz des Preisunterschieds nur langsam aus, aber dann ging es plötzlich ganz schnell. In manchen Jahren verdoppelte sich der Marktanteil des importierten Geflügelfleischs sogar. 2003 hatte die lokale Produktion nur noch einen Marktanteil von vielleicht fünf Prozent."

In Ghana ist der Preis ein schlagendes Argument: Die Menschen haben nicht viel Geld, sie kaufen, was am billigsten ist. Denn rund 70 Prozent der Menschen arbeiten in der Landwirtschaft, dort sind die Löhne niedrig. Ein Teufelskreis: Durch die internationale Konkurrenz auf dem Fleischmarkt verloren viele Arbeitskräfte in der Landwirtschaft ihren Job.

Sie mussten daraufhin noch stärker auf den Preis achten und kauften erst recht das Billiggeflügel aus Übersee. Dadurch gingen immer mehr Arbeitsplätze in der Landwirtschaft verloren – und so weiter.

Kenneth Quartey ist seit 25 Jahren Geschäftsführer eines Geflügelhofs, der von seinem Vater gegründet wurde und bis heute in der Hand der Familie ist. Doch der Betrieb hat seine Charakter geändert: Früher hat die Familie vor allem Hähnchen gemästet, heute besitzt sie nur noch Legehennen.

Die werden in riesigen Hallen gehalten, in denen mächtige Kühlaggregate dröhnen. Die Käfige liegen in künstlichem Dämmerlicht. Mit einer Schubkarre fahren Arbeiter durch die Gänge und sammeln die Eier in Paletten.

Kenneth Quartey: "Wir haben Hühner gemästet, seit ich zurückdenken kann. Als ich ein Junge war, hielten wir das Geflügel noch im Hinterhof. Mein Vater war Tierarzt und machte das nebenbei. 1971 kauften wir diese Farm hier, bauten sie aus, nahmen Legehennen dazu und lebten von einer Kombination aus beidem - bis 2003. In diesem Jahr musste ich die Hähnchenmast aufgeben."

Kenneth Quartey selbst ist immer noch ein reicher Mann und auch mit den Legehennen ein erfolgreicher Unternehmer. Er ist hervorragend ausgebildet und hat allein durch die Größe seines Betriebs viele Vorteile gegenüber einfachen Bauern. Die Lage der kleineren Betriebe ist dagegen aussichtslos.

Sie haben keine Chance gegen die Geflügelteile, die aus Deutschland, den Niederlanden, Belgien und anderen europäischen Ländern importiert und in Afrika zu Schleuderpreisen verkauft werden. Francisco Mari von der Hilfsorganisation Evangelischer Entwicklungsdienst beschäftigt sich seit Jahren mit dem internationalen Geflügelmarkt.

Francisco Mari: "Der durchschnittliche Produktionspreis für Geflügel liegt bei ab 1,50, 1,60 ab Schlachthaus, für unsere Lebensmittelketten zum Beispiel. Die Geflügelteile nach Afrika werden aber für 60 oder 70 Cent verkauft. Also klassisches Dumping, wie man sagen würde - in dem Fall nicht zur Eroberung von Märkten, sondern weil es einfach Reste sind, die übrig bleiben.

Sonst müsste man, statt der 60 Cent, die man in Afrika bekommt, ungefähr 30 oder 40 Cent an die Tiermehlfabriken bezahlen. Als Müllprämie im Prinzip. Das heißt, selbst verschenken wäre noch billiger, als es in Europa zu vernichten, weil es einfach Geld kostet, in Europa dieses Fleisch zu vernichten."

Dass die europäischen Schlachtereien den Großteil eines Huhns so billig verkaufen können, liegt an den ausgeprägten Vorlieben der Konsumenten: In Deutschland und vielen anderen Ländern Mitteleuropas wollen viele Kunden keine ganzen Hähnchen mehr, sondern nur noch die Geflügelbrust. Nur wegen dieser ausgeprägten Vorliebe nimmt Deutschland überhaupt Teil am internationalen Geflügelhandel.

Francisco Mari: "Wir produzieren eigentlich genug Geflügelfleisch, was die Menge angeht. Ich glaube, zu 90 Prozent sind wir Selbstversorger, trotzdem importieren wir 50 Prozent mehr als wir verbrauchen würden, theoretisch, und exportieren.

Also wir sind einer der größten Importeure und Exporteure. Das hängt aber nur mit der Geflügelbrust zusammen. Und da wir so viel Geflügelbrust brauchen, müssen wir die Hälfte des Fleisches, die aus Schenkel und Flügeln besteht, exportieren."

Weil Geflügelbrust in Deutschland so gerne gegessen wird, können die Händler mit ihr viel Geld verdienen. Schenkel und andere Hähnchenteile werden dagegen sogar für weniger Geld verkauft, als die Erzeugung kostet. Unter dem Strich machen die Händler dank der überteuerten Brust dennoch einen Gewinn.

Francisco Mari: "Wir fragten uns natürlich: Warum eigentlich die Geflügelbrust? Was ist daran besonderes? Und da mussten wir feststellen, dass das ein Zusammenspiel zwischen Industrie, Medien und Verbrauchern – Verbraucherinnen in dem Fall – war, dass man Geflügelbrust sozusagen zum Fleisch der diätischen, gesunden Ernährung gemacht hat.

Und für diese angeblich hochwertige Fleischsorte sind dann Verbraucherinnen auch bereit, den zig-fachen Preis zu zahlen. Obwohl es vom selben Huhn ist, und das Fleisch eigentlich kaum Unterschiede hat – noch nicht einmal im Fettgehalt, was uns auch gewundert hat."

Eine Futtermühle in Accra. Staub tanzt im Sonnenlicht, das durch die breiten Fugen in den hölzernen Wänden fällt. Bis unter die Decke sind weiße Säcke gestapelt, in denen die Bestandteile für Hühnerfutter lagern: Mais und Soja, Fischmehl und Mineralien. Mais und Soja wurden aus Argentinien importiert, wegen der globalen Lebensmittelkrise sind die Preise gestiegen, das Futter wurde teurer.

Zwar wird auch in Ghana Mais angebaut, doch nur in der Regenzeit reicht die eigene Ernte. In der Trockenzeit müsse importiert werden, sagt Ben Quaye. Er ist Geschäftsführer von "Kosher Feedmills Limited".

Ben: "... some in the region, and we sell some outside the region."

15 bis 20 Tonnen Hühnerfutter würden hier pro Tag produziert und das meiste davon im Großraum Accra verkauft - eine exakt durchkomponierte Mischung für die Hochleistungshühner der heutigen Landwirtschaft, meint Ben Quay.

Denn was in ghanaischen Ställen steht, unterscheidet sich nicht von dem in Deutschland. Weltweit gibt es nur noch vier große Konzerne, die das genetische Material für modernes Geflügel zusammenstellen und rund um den Globus vertreiben – von Zucht kann bei der modernen, komplexen genetischen Auslese kaum noch die Rede sein.

Das Ergebnis sind schnell wachsende, hoch effiziente Hähnchen, die nur 1,6 Kilo Futter brauchen, um ein Kilo Fleisch anzusetzen – kein anderes Nutztier ist derart ergiebig. Für ein Hochleistungs-Ergebnis muss allerdings auch das Futter genauestens abgestimmt sein.

Bei "Kosher Feedmills Limited" werden fünf verschiedene Sorten gemischt – zwei für Masthähnchen, drei für Legehennen.

Ben Quaye ist seit 17 Jahren im Geschäft.

Ben Quaye: "Am Anfang lief es richtig gut, wir haben rund um die Uhr gearbeitet. Aber dann ging es immer mehr bergab. Jetzt laufen die Maschinen nur noch für eine Schicht – acht Stunden statt früher 24. Wir mussten einen großen Teil unserer Arbeiter entlassen, von dreißig haben wir nur acht behalten.

Der Niedergang unseres Unternehmens hat mit den importierten Geflügelteilen zu tun – seit die massenhaft und billig ins Land kommen, gibt es kaum noch einen Markt für unsere Hühner. Inzwischen haben die meisten Geflügelbauern ihre Betriebe geschlossen, weil sie nur noch Verluste einfuhren. Die Nachfrage nach unserem Futter ist deshalb um 60 Prozent zurückgegangen."

Fast die Hälfte der Unternehmen, die im Verband der Ghanaischen Futtermüller zusammengeschlossen waren, sei pleite, erzählt Quaye. Und in den 17, die bis jetzt überlebt hätten, werde im Grunde kaum noch gearbeitet. Wie viele Arbeitsplätze in der gesamten Branche verloren gingen, ist schwer zu schätzen, genaue Zahlen gibt es in Ghana nicht.

Sicher ist: Nicht nur die Bauern sind betroffen, ein ganzer Wirtschaftszweig bricht zusammen: Brütereien und Futtermühlen, Schlachthäuser und Transportunternehmen. Und nicht nur die Angestellten haben ihr Einkommen verloren: Zusätzlich haben landesweit Tausende von Tagelöhnern ihr Geld in der Geflügelwirtschaft verdient: Haben in den Mühlen Futtersäcke geschleppt oder Kraftfutter verladen, haben Hühner gefüttert, geschlachtet, gerupft oder ausgeliefert.

Auch die meisten dieser Jobs gingen verloren.

Quaye: "Die Geflügelwirtschaft ist bei uns sehr arbeitsintensiv. Im Zentrum des Landes gab es einige sehr große Höfe, von denen etliche pleite sind - Betriebe mit mehr als 200 Arbeitern! Die sind jetzt alle arbeitslos, genauso wie die früheren Eigentümer. Das macht Ihnen die Dimensionen des Problems vielleicht deutlich. Ich schätze, dass achtzig Prozent aller Jobs in der Branche verloren sind."

Weil die meisten Betriebe pleite sind, gibt es nur noch sehr wenig lokal produziertes Geflügel. Die letzen ghanaischen Hähnchen gelten inzwischen als Delikatesse für ein paar Luxushotels und reiche Ghanaer.

Ben Quaye: "Es wird so viel über Entwicklungshilfe geredet. Aber was hat sie uns wirklich gebracht? Wir haben Hände, mit denen wir arbeiten können. Die westlichen Länder sollten sich fragen, warum unsere Geflügelindustrie zusammenbricht. Denn erst schicken sie uns ihr gefrorenes Geflügel, unsere Betriebe gehen pleite – und dann leisten sie Entwicklungshilfe, damit wir nicht verhungern.

Aber wir wollen nicht von ihnen am Leben gehalten werden – wir wollen für uns selbst sorgen! Es gibt ein chinesisches Sprichwort: 'Es ist besser, einem Menschen das Fischen beizubringen, als ihm Fisch zu geben, denn wenn er Fischen kann, wird er sich selbst versorgen.' Die Entwicklungshilfe taugt nur dazu, Menschen beim Überleben zu helfen. Aber wir wollen nicht überleben, wir wollen leben! Das sollte das Ziel jeder Hilfe sein."