Die LGBT-Community nach Orlando

"Das waren unsere Brüder und Schwestern"

Eine improvisierte Gedenkstätte in Orlando im US-Bundesstaat Florida erinnert an die 49 Opfer des Attentats auf einen Nachtclub.
Eine improvisierte Gedenkstätte in Orlando im US-Bundesstaat Florida erinnert an die 49 Opfer des Attentats auf einen Nachtclub. © dpa-Bildfunk / Joe Burbank / Orlando Sentinel via AP
Von Marcus Pindur · 15.06.2016
Die Clubs der Lesben- und Schwulen-Szene sind nicht nur Unterhaltungsorte, sondern immer auch ein Stück Gemeinde und Geborgenheit. Dieses Gefühl ist nach dem Attentat von Orlando schwer erschüttert.
Die Straßen um den "Pulse"-Club, den Tatort, sind nach wie vor abgesperrt. Dutzende von Fernsehteams sind an der Absperrung, einige filmen von Hubschraubern aus.
Corey Lyons leitet eine private Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, über HIV und Aids aufzuklären und bereits infizierten Menschen besonders in der Schwulen- und Lesbengemeinde in Orlando zu helfen. Seine Zielgruppe sind 18- bis 40-Jährige – genau die Altersgruppe, die den Tanzclub "Pulse" besucht.
"Wir gehen in diese Clubs und versuchen, mit Menschen in Kontakt zu treten, bevor sie sich auf Sexualkontakte einlassen. Wir versuchen, ihnen klarzumachen, was man tun kann, um sich zu schützen. Dazu gehört der Gebrauch von Kondomen, Safer Sex, dazu gehört es, zu wissen, ob man selber oder sein Partner infiziert ist. Wir machen ambulante HIV-Tests und wir arbeiten sehr eng mit einigen Tanzclubs zusammen. Gerade vor zwei Monaten waren wir auch im 'Pulse' Club."
Die Clubs der Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen, abgekürzt im englischen LGBT, sind einerseits Freizeit- und Unterhaltungsorte, aber auch immer ein Stück Gemeinde, ein Stück Geborgenheit, ein Stück Sicherheit. Dieses Gefühl ist nun schwer erschüttert.
Orlando ist nicht nur ein attraktiver Wohnort, bietet viele Arbeitsplätze, besonders in der Tourismusindustrie, sondern gilt im ansonsten oft extrem konservativen Florida auch als lebensstiltolerant.

Kruder Schwulenhass und islamistische Gewaltideologie

Corey selbst erlebte den Morgen nach dem Attentat wie einen langen Schockzustand. Er wachte auf, weil sein Freund neben ihm weinte.
"Wir hörten die Nachrichten im Radio. Wir leben etwa zwei Straßenzüge vom 'Pulse' Club entfernt, wir hörten die Sirenen und die Hubschrauber. Wir konnten kaum glauben, dass das alles wirklich war. Erst war von 20 Toten die Rede, dann von 49, wir waren entsetzt, das waren unsere Brüder und Schwestern, das war furchtbar."
Mittlerweile wird in den USA heftig darüber gestritten, ob es sich um ein islamistisches Attentat oder um ein Verbrechen aus Schwulenhass handelt. Donald Trump erneuerte seine Forderung, allen Muslimen ein Einreiseverbot zu erteilen. Präsident Obama antwortete ungewöhnlich scharf und nannte die Worte Trumps wörtlich "leeres Geschwätz" und nicht mit der amerikanischen Verfassung vereinbar.
Das FBI ermittelt noch. Immer mehr kommt eine Mischung aus krudem Schwulenhass, islamistischer Gewaltideologie und einer gestörten, gewalttätigen Persönlichkeit des Attentäters ans Licht.
Corey Lyons meint, der politische Streit über die Motivlage sei für die LGBT-Gemeinde in Orlando nachrangig. Der Täter sei offensichtlich psychisch gestört gewesen.
"Niemand, der psychisch gesund ist, nimmt ein Gewehr und erschießt 49 Menschen. Es gibt meiner Ansicht nach keine einfache Erklärung für diese Tat. Aber wir sollten als Erstes damit anfangen, den Erwerb von Waffen einzuschränken. Dann brauchen wir bessere psychische Gesundheitsvorsorge. Und dann braucht es ein gesellschaftliches Klima der Toleranz. Das brächte uns einer Lösung des Problems näher."
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