"Die Leute haben so große, unrealistische Hoffnungen"

Paul Grootboom im Gespräch mit Susanne Burkhardt · 11.06.2010
Der südafrikanische Theaterregisseur Paul Grootboom äußert sich skeptisch über die Chancen seines Heimatlandes durch die FIFA Fußball-WM. "Die Enttäuschungen werden groß sein", sagte Grootboom, der in den South Western Townships, kurz Soweto, aufwuchs.
Katrin Heise: Die Apartheid ist seit 16 Jahren in Südafrika überwunden, aber sie wirkt nach. Die soziale Kluft zwischen Schwarz und Weiß besteht weiter und schließt sich auch nur sehr langsam.

Und das kann, wer möchte, auch genau neben dem Soccer City Stadium in Johannesburg beobachten, wo heute Anpfiff ist, es liegt nämlich ganz nah den South Western Townships, kurz Soweto genannt. Und hier, in einer Gegend, in der die Villen der reichen Schwarzen einerseits und die ärmsten Viertel ohne jede Infrastruktur andererseits nebeneinander existieren, hier in Soweto, wo die Gegensätze kaum größer sein könnten, hier wuchs der 1975 geborene Theaterregisseur Paul Grootboom auf.

Der südafrikanische, oft gewalttätige Alltag in seiner Heimat, das sind die Themen seiner Theaterabende, auch wenn er zum Beispiel Schnitzlers "Reigen" ins heutige Pretoria verlagert. Grootboom ist radikal, er ist schonungslos, seine Stücke werden oft in Europa gezeigt, demnächst auch hier in Deutschland, zum Beispiel beim Festival "Theater der Welt" in Mülheim.

Aber während der WM ist Grootboom auch in seiner Heimat zu erleben, er ist nämlich Teil eines Theaterprojektes, das Theaterzuschauer durch zwei Stadtviertel von Johannesburg führen wird. Susanne Burkhardt hat Paul Grootboom in Johannesburg getroffen und ihn nach seinem Blick auf das WM-Gastgeberland Südafrika gefragt und wie er Soweto, den Ort seiner Jugend, erlebt hat.

Paul Grootboom: Ich habe es dort sehr gemocht und mag es immer noch. Aber jetzt fahre ich nicht mehr hin. Pretoria ist besser. Es ist weniger depressiv. In Soweto sind viele arbeitslos, und alle erwarten von mir Unterstützung. Sie denken, weil ich im Fernsehen zu sehen bin und im Land bekannt bin, habe ich auch viel Geld. Aber da irren sie sich - ich mache Theater, nicht Fernsehen.

Susanne Burkhardt: In einem Zeitungsartikel in Deutschland wurden Sie einmal der Tarantino der Townships genannt. Wenn Sie so etwas hören, freut Sie das oder ärgert Sie das eher?

Grootboom: Es nervt mich. Eigentlich mag ich die Filme von Tarantino, nicht alle, aber einige. Mir gefällt es, dass er so begabt ist und so gebildet, trotz seiner Herkunft. Ich möchte aber nicht mit ihm verglichen werden. Township-Tarantino. Tarantino ist global, aber wenn man dich Township-Tarantino nennt, das ist ja lieb gemeint, aber es stellt mich immer in Beziehung zu den Townships, und damit habe ich ein Problem.

Burkhardt: Herr Grootboom, Sie haben einmal gesagt, Gewalt gibt es in jeder Gesellschaft. Was unterscheidet die Gewalt in Südafrika von der Gewalt in anderen Gesellschaften?

Grootboom: Intellektuell gesehen ist es das Gleiche, aber wenn man genauer hinsieht, dann gibt es doch Unterschiede. Als wir mal in Großbritannien waren, sind wir durch ein Viertel gelaufen, vor dem wir gewarnt wurden. Hier sei es gefährlich, hieß es, und wir sollten da nicht durchgehen. Aber wir fühlten uns dort sicherer als zu Hause. Hier in Südafrika würden wir durch gefährliche Gebiete einfach nicht durchlaufen, es sei denn in einer großen Gruppe oder mit Sicherheitsleuten.

Das Problem der Gewalt in Südafrika ist vielleicht deshalb so einzigartig, weil sich hier durch die Apartheid über Jahre ein starker Hass entwickelt hat. Deshalb ist die Gewalt hier so extrem. Gleichzeitig, wenn ich über Gewalt nachdenke in anderen Ländern, dann fällt mir immer auf, wie unterschiedlich sie sein kann.

Wenn ich nach Europa fahre zum Beispiel, nach Deutschland, und dann laufe ich da rum und fühle mich so sicher, dann denke ich immer, wie konnte es passieren, dass hier so etwas wie der Holocaust stattgefunden hat. Ich kann mir das gar nicht vorstellen, und ich habe das immer wieder die Deutschen gefragt, aber kaum jemand konnte darauf antworten.

Anders als bei uns, wo man die Ursachen der Gewalt ganz klar erkennen kann, ist es in Deutschland nicht so leicht auszumachen, wie diese friedlichen Menschen so etwas tun konnten. Vielleicht liegt darin der Unterschied.

Burkhardt: Herr Grootboom, welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht Kunst oder Kultur bei der Überwindung des Traumas der Apartheid in Südafrika? Weil ich habe den Eindruck, dass die soziale Kluft ein wichtiges Thema ist, was die Künstler in Südafrika besonders beschäftigt.

Grootboom: Das ist eine wichtige Frage, welche Bedeutung kann das Theater heute für Südafrika haben, jetzt, nach dem Ende der Apartheid. Ein großer Teil unserer Theatergeschichte ist natürlich vom Kampf gegen die Apartheid geprägt. Und viele unserer klassischen Stücke in Südafrika basieren darauf, gegen die Apartheid zu protestieren. Es haben wenige daran geglaubt, dass das Theater diese Rolle abschütteln kann, etwas anderes sein kann als Protesttheater.

Denn darin war es stark und wichtig, weil es gesellschaftliche Probleme aufgegriffen hat und dabei oft schneller und einflussreicher war als das Fernsehen, weil es die Leute erreicht hat. Diese Rolle hinter sich zu lassen und ein neues, modernes Theater zu schaffen, ist nicht einfach - auch, weil die Leute, die das Theater finanzieren, keine Stücke über Korruption und Gewalt mögen. Das macht es den Theatermachern hier sehr schwer.

Burkhardt: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen mit dem südafrikanischen Regisseur Paul Grootboom. Wenn Sie ein Stück für die Bühne inszenieren, Herr Grootboom, denken Sie da an ein bestimmtes Publikum, inszenieren Sie vor allem für ein schwarzes Publikum?

Grootboom: Das ist das Problem in diesem Land, auch wenn wir immer davon sprechen, dass wir eine multikulturelle, eine Regenbogengesellschaft sind. Wir denken immer noch in Schwarz und Weiß.

Wenn weiße Theaterleute Theater machen, dann meistens für ihr Publikum, für ein weißes Publikum, es sei denn, sie nehmen auch schwarze Schauspieler dazu oder sie versuchen bewusst, ein gemischtes Publikum zu erreichen.

Ich inszeniere für ein schwarzes Publikum, aber das ist keine strikte Absicht. Ich bin mir immer bewusst, dass das Stück von jedem gesehen werden sollte. Aber bei mir geht es oft um Themen, die ich aus eigener Erfahrung kenne, Themen, die mit Schwarzen zu tun haben. Das schwarze Publikum geht deshalb oft auch so lautstark mit, weil es selbst kleine Nuancen erkennt. Das sind Feinheiten, die ein europäisches Publikum und selbst ein weißes südafrikanisches Publikum nicht versteht oder erkennt.

Burkhardt: Wenn Sie vorrangig für ein schwarzes Publikum inszenieren, gibt es dann eigentlich Probleme, wenn Ihre Stücke so wie jetzt auch im Festival "Theater der Welt" dann in Deutschland oder in Europa gezeigt werden, wo ja ein vorwiegend weißes Publikum die dann sieht, gibt es Probleme im Verständnis Ihrer Art zu inszenieren?

Grootboom: Natürlich sehen die Leute die Stücke anders als bei uns, die lesen andere Dinge heraus. Aber sie spüren meine Intentionen, manchmal sogar Dinge, die das schwarze Publikum nicht bemerkt. Das fällt mir meistens erst bei den Diskussionen im Anschluss an die Vorstellung auf. Während der Aufführung denke ich meistens, die Europäer hassen meine Inszenierungen. Denn es ist dann immer so still im Raum – man bekommt den Eindruck, oh, die finden dieses Stück wirklich blöd. Und wenn man dann mit dem Publikum darüber spricht, merkt man, nein, denen hat es gut gefallen.

Burkhardt: Herr Grootboom, die Fußball-WM beginnt jetzt, glauben Sie daran, dass es einen positiven Effekt, einen anhaltenden positiven Effekt für das Selbstverständnis Südafrikas durch die Fußball-WM geben kann, die jetzt stattfindet?

Grootboom: Das hofft natürlich jeder. Ich bin da etwas zynisch. Es könnte danach eine ernsthafte Enttäuschung geben. Das erstaunt mich manchmal. Die Leute haben so große, unrealistische Hoffnungen, sie denken, sie könnten da richtig viel Geld verdienen. Das sind vor allem finanzielle Hoffnungen. Die Enttäuschungen werden groß sein. Ich bin sehr skeptisch, aber ich wünsche mir sehr, dass ich mich irre.

Burkhardt: Es gibt einen Satz, der sagt: Hoffnung ist in Südafrika kein Gefühl, sondern eine Haltung. Herr Grootboom, welche Hoffnung haben Sie für dieses Land?

Grootboom: Es gibt viele Dinge in diesem Land, die mich hoffen lassen. Für die meisten Leute hier sind Nachrichten über Korruption oder Gewalt ein Beleg für eine schlimme, hoffnungslose Situation.

Ich finde aber, in den Berichten über solche Themen liegt Hoffnung. In anderen Ländern hört man kaum davon. Ich freue mich, dass es hier thematisiert wird, das ist ein gutes Zeichen. Man spricht drüber, man klärt auf, man diskutiert es die ganze Zeit.

Und das ist wichtig, dass man hört, wer verhaftet wurde und so weiter. Das erlaubt uns als Öffentlichkeit, darauf zu reagieren, uns aufzuregen, unser Wahlverhalten zu verändern. Ich glaube, dadurch können sich Dinge verändern.

Ich habe also eine Menge Hoffnung für Südafrika. Ich glaube, dass diese schlechten Nachrichten auch Hoffnung bedeuten, weil sie wahrgenommen werden. Ich glaube sehr stark daran.

Heise: Über seine Hoffnung für seine Heimat Südafrika sprach der südafrikanische Theaterregisseur Paul Grootboom. Mit ihm unterhielt sich Susanne Burkhardt. Grootbooms Inszenierung "Welcome to Rocksburg" wird am 5. und 6. Juli als Europapremiere beim Festival "Theater der Welt" in der Stadthalle in Mülheim an der Ruhr gezeigt.