Die Leere nach dem Dauerquasseln

Von Christian Geuenich · 30.07.2008
Der Debütfilm des 39-jährigen Kölner Regisseurs und Drehbuchautors Andre Erkau, "Selbstgespräche", erzählt die Geschichte von vier Protagonisten, die in einem Kölner Callcenter arbeiten, aber eigentlich ganz andere Wünsche haben. Mit seiner Tragikomödie über Sprachlosigkeit und Kommunikation hat Andre Erkau in diesem Jahr den renommierten Max-Ophüls-Preis gewonnen.
"Es sind oft die kleinen blassen Jungs, die dann in der Kunst landen, entweder beim Theater oder beim Film, und da möchte ich mich jetzt einfach mal einreihen (lacht)."

Andre Erkau sitzt in grauem Poloshirt und Jeans in seinem Kölner Büro in der Nähe des Rheinufers, auf dem Boden ein Plakat seines Debütfilms. "Selbstgespräche" ist eine Tragikomödie um vier Mitarbeiter eines Callcenters, die beruflich zwar ständig kommunizieren, auf privater Ebene aber große Probleme haben, sich mit Menschen auseinanderzusetzen. Mit leisem Humor und intelligenten Dialogen zeigt Erkau am Mikrokosmos Callcenter den Zustand einer Gesellschaft, in der immer mehr geredet wird, Inhalte und Zuhören aber auf der Strecke bleiben.

"Das Thema, das mir auf der Seele brannte, war, einen Film darüber zu machen, wie schwer es ist, anderen Menschen zu begegnen, also zu begreifen, was die von einem wollen, vielleicht was man selber von denen will, also das, was man im Volksmund Kommunikation nennt. Und ich habe einen Ort gewählt, an dem das eigentlich pausenlos geschult wird."

Der 39-jährige Regisseur - Dreitagebart, dunkelblonde strubbelige Haare, blau-graue Augen - kennt die entwürdigende Arbeitswelt und den Verkaufsdruck in einem Callcenter aus eigener Erfahrung. Zwei Jahre lang hat er am Telefon Ferienhäuser an Familien vermittelt und so sein Regie-Studium an der Kölner Kunsthochschule für Medien finanziert.

Filmausschnitt "Selbstgespräche":
Callcenter-Leiter Harms: "Unser Lächeln muss man hören können. Smile and the world smiles with you. Letztendlich verkaufen wir keine Flatrate, nein, wir bieten den Leuten grenzenlose Kommunikation, und das zu einem fairen Preis. Das macht den Unterschied. Die Menschen freuen sich auf unseren Anruf, so und jetzt möchte ich euer Lächeln sehen!"

Mit einer unglaublichen Leere im Kopf ist Erkau nach einem Tag Dauerquasseln meist nach Hause gekommen. Irgendwann ging es dann einfach nicht mehr, und er suchte sich andere Nebenjobs. Für seinen Debütfilm konnte der 39-jährige Spätzünder seine Callcenter-Erfahrungen jetzt noch einmal nutzen.

"Und es ist tatsächlich so, dass ich glaube, hätte ich früher angefangen mit Film, hätte ich weniger zu erzählen gehabt. Und deswegen ist das für mich auch goldrichtig gewesen, jetzt eher mit einer kleinen Verzögerung zum Film zu kommen."

Andre Erkau wächst als Einzelkind in Bremen auf, die Eltern arbeiten als Bürokaufleute. Er ist ein Klassenkasper und Selbstdarsteller, liebt amerikanische Komödien von Billy Wilder.

"Über den Humor und über so eine Kunstfertigkeit, irgendwelche Geschichten zu erfinden, hatte ich dann auf einmal einen Schlag bei den Mädchen. Also, das ist jetzt nicht mehr mein Hauptgrund, Filme zu machen (lacht), aber war halt so die Initialzündung, würde ich schon sagen."

Schon während des Zivildienstes macht er Regie-Hospitanzen am Bremer Schauspielhaus. Als er gefragt wird, ob er nicht in einem Stück eine kleinere Nebenrolle übernehmen könne, steht er plötzlich auf der Bühne. Es gefällt ihm so gut, dass er die nächsten Jahre als Theaterschauspieler arbeitet und am Hamburger Schauspielstudio das Handwerk erlernt. Mit 29 bekommt er ein festes Engagement an der Württembergischen Landesbühne in Esslingen, spielt dort ein Stück nach dem anderen.

"Ich war da vier Jahre und habe spätestens dann innerhalb des dritten Jahres gemerkt, dass diese Theaterrealität auch nicht so viel mit dem zu tun hatte, wofür ich eigentlich Theater spielen wollte, dass ich schon merkte, Mensch jetzt bin ich in so einer Stücke-Fabrik oder Theaterfabrik drin, und da dachte ich so, nein, das kann es nicht gewesen sein."

Also macht er mit 33 noch einmal einen Neuanfang und bewirbt sich an der Kunsthochschule für Medien in Köln.

Während des Studiums wird er Vater einer Tochter. Seine Frau, die als Sozialarbeiterin arbeitet, unterstützt ihn, so gut es geht. Es sei eine schwierige Phase zwischen Studium, Familie und Geldverdienen gewesen, sagt Erkau nachdenklich.

"Aber auch natürlich 'ne Phase, die zusammenhält und die verbindet, und vielleicht auch deshalb dann dieses große Gelächter und diese große Freude, als dann der Preis auf einmal im Raum stand, dass wirklich so ein Stein vom Herzen fällt und man so denkt, Hey, das hatte schon alles einen Sinn und das war nicht umsonst, und irgendwie wird's weitergehen."

Anfang des Jahres hat Andre Erkau mit "Selbstgespräche" den renommierten Max-Ophüls-Preis für den besten deutschsprachigen Nachwuchsfilm gewonnen. Einer der glücklichsten Momente seines Lebens, sei die Verleihung gewesen, erzählt Erkau mit einem glucksenden Lachen und beschreibt seinen Gemütszustand bei der Preisverleihung als "hysterisch glücklich".

"Und das war so toll nach all den Jahren, und das ist ja nicht nur die Filmvorbereitung, sondern das ist mit Theater Aufhören, mit Mitte 30 auf 'ne Filmhochschule zu kommen, also wirklich all dieses Bangen, dass man von einer brotlosen Kunst in die nächste einsteigt (lacht)."

Momentan sitzt Andre Erkau schon wieder am nächsten Drehbuch. Es soll ein Roadmovie werden um einen emotional erkalteten Tiefkühlkostlieferanten, der durch die Begegnung mit anderen Menschen langsam wieder "auftaut". Wenn der Drehbuchautor und Regisseur nicht schreibt, verbringt er so viel Zeit wie möglich mit seiner Frau und seiner fünfjährigen Tochter.

"Letztendlich bin ich einer, der eigentlich gar keine Hobbys hat. Wenn man etwas beruflich macht, was man gerne macht, ist das einerseits ein Segen, aber auch gleichzeitig ein Fluch, weil, um mich manchmal zu entspannen oder ein gutes Gefühl zu haben, schreibe ich dann, anstatt aufzuhören zu schreiben und etwas anderes zu machen."
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