"Die lebenden Toten" bei den Ruhrfestspielen

Zombies aus dem Mittelmeer

Ein Holzboot am Strand, daneben liegen mehrere Rettungswesten
In Christian Lollikes "Die lebenden Toten" sind die ertrunkenen Flüchtlinge nicht tot, sondern überfallen als Zombies Europa. © picture alliance / dpa / Socrates Baltagiannis
Von Stefan Keim · 24.05.2016
Bei der Flucht über das Mittelmeer sterben unzählige Menschen. Was wäre, wenn sie nicht ganz tot wären, sondern als Zombies Europa überfallen? Das ist die Grundidee des Stücks "Die lebenden Toten" von Christian Lollike. Die Uraufführung durch das Staatsschauspiel Dresden kam nun bei den Ruhrfestspielen zur Premiere.
Drei Filmemacher sitzen in Klappstühlen am Sandstrand. Sie wollen einen Horrorfilm drehen, der die Ängste von heute aufgreift. Die vielen toten Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrunken oder in der Wüste verdurstet sind, kommen darin als Zombies wieder und greifen das satte, schwache Europa an.
Eine Handlung gibt es nur rudimentär in Christian Lollikes Stück "Die lebenden Toten". Auch Charaktere deutet er allenfalls sehr grob an. Der Text wirkt wie eine Materialsammlung fürs Diskurstheater. Viele Gedanken und Gefühle strömen durch die drei Spieler hindurch. Darunter sind die diffusen Ängste, die Menschen in rechtspopulistische Bewegungen treiben.
Einem lebenden Toten kann man immerhin noch ansehen, dass er böse ist und einen fressen will. Aber was ist mit Islamisten und Terroristen, die ihre Gedanken verbergen? Oder Flüchtlingen, die Gewalt und Bürgerkrieg erlebt haben und diese Erlebnisse mit sich schleppen? Vielleicht sind sie tickende Zeitbomben. Andererseits: Sind die Zombies nicht eher in der Wohlstandsgesellschaft zu finden, in gated communities, bei Menschen, die sich voller Angst vor der Außenwelt abschotten?

Inhaltliches Vakuum laut überspielt

Lollikes Text ist eine interessante Spielvorlage für eine scharfe gesellschaftliche Analyse. Auch wenn er wieder nur die Perspektive der Europäer einnimmt, wie fast alle Stücke zum Thema - mit der rühmlichen Ausnahme von Elfriede Jelineks "Schutzbefohlenen".
Der Regisseur Tilmann Köhler versagt allerdings bei der Herausforderung, ein paar klare Gedanken herauszuarbeiten. Ihm reicht es, die Stimmenvielfalt der Vorlage als konturloses Wirrwarr auf die Bühne zu bringen. Mit der banalen Aussage: Ach, wir sind ja alle überfordert.
Wenn Schauspieler ein inhaltliches Vakuum überspielen müssen, tun sie es gewöhnlich möglichst laut. So auch in dieser Aufführung. Antje Trautmann lässt sich im Sand eingraben und von den Kollegen per Waterboarding foltern. Und wenn Panik ausbricht, brüllen die Jungs, was die Stimmbänder hergeben.
Im Hintergrund flackern manchmal billig gedrehte Szenen aus dem gerade entstehenden Zombiefilm. Gruselige Masken zitieren die Trashästhetik der 70er-Jahre. Dass es inzwischen viele anspruchsvolle Horrorfilme gibt und die Serie "The Walking Dead" ein vielschichtiges Endspiel über die aussterbende Menschheit ist, hat das Dresdener Staatsschauspiel nicht mitbekommen.

Odysseus und eine Burkafrau

Auch dass der Zombie längst in Essays und Artikeln als Gleichnis auf die hirnlose Konsumsucht der spätkapitalistischen Gesellschaft benutzt wird, kommt in der gedanklich schlichten Aufführung ebenfalls nicht vor. Die Darsteller spielen mit ein paar Genre-Elementen herum, ohne zu ahnen, welche Möglichkeiten darin stecken. Sie zeigen platte Karikaturen von sächsischen Touristen, dem EU-Kommissar-Vorsitzenden-Präsidenten und doppelzüngigen Christen.
Nachdem Tilmann Köhler viele schlechte Regie-Ideen ausgebreitet hat, fallen ihm am Ende nur noch die ganz miesen ein. Odysseus und eine Burkafrau treten auf und werden zu Robotern. Jede Emotion wird verhampelt, jede These ironisiert oder verlabert.
Ein Abend der hohlen Effekte, hilflos im Umgang mit dem wichtigen Thema. So hat das Dresdener Staatsschauspiel ein schwieriges, aber interessantes Stück – um im Bild zu bleiben – lebendig begraben.

Mehr Informationen über das Stück "Die lebenden Toten" bei den Ruhrfestspielen

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