Die Kulturtechnik des Pseudo-Engagements

Ironie-Falle - wenn Spaß nicht einfach so beiseite geht

13:00 Minuten
Eine Frau und ein Mann verdecken ihre Gesicher mit Emoji-Masken
Ironie ist eine Maske die Distanz wahren lässt. © imago stock&people
Moderation: Marcus Richter und Teresa Sickert · 10.03.2018
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Das Netz ist ironisch. Im Netz ist man ironisch. Egal ob zur Selbstdarstellung oder auch zur Selbstverteidigung. Ironie verschafft Luft und Distanz zum Thema. Aber ist das noch zeitgemäß? Brauchen wir vielleicht das Gegenteil?
Etwas ironisch darzustellen oder ironisch zu brechen lässt sich als beliebte Kommunikationsform in sozialen Medien beobachten. Man bezieht nicht automatisch Position, sondern lässt in der Regel eine Hintertür. Man teilt gewissermaßen mit: "Vielleicht ist doch alles nicht so ernst." Wer sich dagegen klar positioniert oder sogar mit einer eindeutigen aktivistischen Haltung daherkommt, kann als moralinsauer oder anachronistisch erscheinen.

Zur Lebensart erhobene Unzufriedenheit

Die Kommunikation bleibt dahingehend immer wage. Besonders im Kontext öffentlicher Diskussion könnte man der Ironie vorwerfen, zu einer Kulturtechnik des Pseudo-Engagements mit zweifelhaftem Erfolg geworden zu sein. Denn erhitzte Diskussionen werden durch den nächsten ironischen Kommentar eher zusätzlich befeuert als befriedet. Hat Ironie vielleicht ausgedient?
Schon vor zehn Jahren verfasste das Schweizer Künstlerduo com&com das "Das postironische Manifest". Darin wird die Ironie als "zur Lebensart erhobene Unzufriedenheit" abgestraft. Die in dem Manifest geforderte Perspektive auf Zauber, Schönheit und Liebe, die zu "völliger Vorstellungs- und Gestaltungsfreiheit" führen soll, ist - vor allem in der Netzkommunikation - immer noch kaum zu finden.

Kommt nach Ironie der Pathos?

Laf Überland nimmt uns mit auf eine kurze Reise durch die jüngere deutsche Ironiegeschichte. Danach sprechen wir mit einem der Verfasser des postironischen Manifests, dem Künstler und Kurator Johannes Hedinger über die Funktion die Ironie in der heutigen Kommunikation, mögliche Alternativen und die Frage ob das postironische Zeitalter direkt in einer Pathos-Ära münden muss.

Das postironische Manifest (2008) in deutscher Übersetzung:

  1. Wir leben im postironischen Zeitalter. Ironischer Zweifel ist nur noch zur Lebensart erhobene Unzufriedenheit.
  2. Wir beginnen das Verfahren des Zweifelns anzuzweifeln.
  3. Wahrheiten sind nicht länger unbedingt, sondern vorübergehend, wie es dem augenblicklichen Zweck gerade dienlich ist.
  4. Die Welt ist mehr als sie ist.
  5. Das Alltägliche dient als Versuchsgelände für den menschlichen Geist.
  6. Alles ist erfüllt von Zauber und Schönheit.
  7. Schönheit kann uns dazu anregen, bessere Menschen zu werden.
  8. Aus Schönheit kann Liebe erwachsen.
  9. Aus der Liebe folgt Wahrheit.
  10. Wir stehen an der Schwelle zu einer wunderbaren Sache: vor der Wiedergeburt unserer Selbsterschaffung. Postironie meint völlige Vorstellungs- und Gestaltungsfreiheit.
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