"Die Komödie ist das Genre, mit dem man Hollywood die Stirn bieten kann"

Moderation: Joachim Scholl · 07.02.2013
Rund 400 Filme laufen auf der Berlinale - aber nur 19 konkurrieren um den Goldenen Bären. Einer davon ist "The Necessary Death of Charlie Countryman" mit Schauspielstar Til Schweiger. Was das Filmgeschäft in Hollywood und Deutschland unterscheidet, erzählt er im Radiofeuilleton.
Joachim Scholl: Über vier Millionen deutsche Zuschauer hatte "Kokowääh", der Film von und mit Til Schweiger, die Geschichte eines Mannes, der mit Anfang 40 erfährt, dass er Vater eines inzwischen achtjährigen Mädchens ist und dann als eingefleischter Single vor erheblichen Problemen steht. Vor ziemlich genau zwei Jahren kam dieser Film in die Kinos, und heute läuft die Fortsetzung "Kokowääh 2" an. Guten Morgen, Til Schweiger!

Til Schweiger: Guten Morgen!

Scholl: Passend zum Berlinale-Start kommt Ihr Film, der - man muss hier wohl kein großer Prophet sein - wahrscheinlich auch wieder Heerscharen von Zuschauern in die Kinos zieht. War das Absicht, dieser zeitliche Start?

Schweiger: Also es war jetzt nicht Absicht, unbedingt neben der Berlinale zu starten, aber der Starttermin, der wurde vorher schon festgelegt. Und wir haben ja den ersten Teil auch in derselben Zeit gestartet, und man sucht natürlich ein Jahr vorher, wo ist der ideale Starttermin. Eine Zeit lang waren wir ja an Weihnachten, aber Weihnachten ist jetzt wieder besetzt durch diese Hobbits, vorher war es "Lord of the Rings", und dann hatten wir mal mit "Keinohrhasen" und "Zweiohrküken" freie Bahn, aber jetzt haben wir dann halt überlegt - also mit dem Verleih vor allen Dingen, der hat dann gesagt: Lass uns Anfang Februar gehen.

Scholl: Für die vielen, vielen Menschen, die "Kokowääh 1" so gern mochten, Herr Schweiger, und uns jetzt zuhören, müssen Sie ein bisschen den Vorhang heben. Wie geht es denn weiter mit dem Helden Henry und der kleinen Magdalena, welche Konflikterweiterungen haben Sie sich da ausgedacht?

Schweiger: Na ja, also der erste Teil endet ja damit, dass diese in der Anlage Tragödie eigentlich ein sehr schönes Ende nimmt und zum Schluss die ideale Patchwork-Familie zusammengekommen ist und alle haben sich lieb. Und der zweite Teil setzt jetzt zwei Jahre danach ein. Wir sind in der Realität angekommen, es gibt Konflikte zwischen Henry und seiner Freundin, die haben mittlerweile ein gemeinsames Baby zusammen, und sie will aber ausziehen, weil sie das Gefühl hat, dass ihr alles überm Kopf zusammenbricht und Henry sich nicht genug engagiert in der Familie, weil er unbedingt seinen ersten großen Kinofilm produzieren will mit Matthias Schweighöfer in der Hauptrolle, und als sie dann auszieht, zieht der zweite Vater, also der Vater, der Magdalena im ersten Teil aufgezogen hat, ohne zu wissen, dass es nicht sein leibliches Kind ist, der zieht bei mir ein. Und da ist das Chaos dann vorprogrammiert.

Scholl: Zurzeit befassen sich ja etliche Diskussionsrunden, und da ist es immer wieder Thema, Stichwort Patchwork-Familie. Es ist doch schon interessant, warum ausgerechnet die Schweiger- und jetzt neuerdings auch die Schweighöfer-Filme so über die Maßen gut funktionieren, wenn sich so andere deutsche Filme generell schwer behaupten gegen so Hollywood, also Sie haben Millionen Zuschauer. Liegt das wirklich so am Stoff, an den Ideen, was ist so das Rezept, was sagen Sie? Wie erklären Sie sich das?

Schweiger: Es liegt an den Stoffen, es liegt vor allen Dingen an der Umsetzung des Stoffes, weil allein die Idee zu sagen, ich mache jetzt einen Film über eine Patchwork-Familie, reicht ja noch nicht. Man kann ja auch einen Film über eine Patchwork-Familie machen, der total langweilig ist. Also es liegt dann eigentlich an den Geschichten und wie die Geschichten erzählt werden. Und die Komödie ist ja so eigentlich das einzige Genre, wo man also Hollywood, sage ich mal, zumindest im Mainstream die Stirn bieten kann ...

Scholl: ... und mittenmang natürlich wieder Ihre Tochter Emma - zauberhaftes Wesen -, ich glaube, viele Zuschauer haben sie damals einfach sofort ins Herz geschlossen, als sie schon auf der Treppe saß und Sie so miesepetrig als Henry sie ja zum ersten Mal fassungslos gesehen haben, und man kann ihr jetzt wahrscheinlich so ein bisschen auf die Art beim Großwerden zusehen. Ich meine, Sie besetzen grundsätzlich Schweiger-Kinder. Ist das auch Ihre spezielle Art, trotz der vielen Arbeit und Abwesenheit mehr Zeit mit Ihren Kindern zu verbringen?

Schweiger: Na ja, ich habe ja vier Kinder, und zwei haben überhaupt kein Interesse, vor der Kamera zu agieren, zwei macht das wahnsinnigen Spaß, also Luna und Emma. Und natürlich ist so einer der Hintergedanken, Zeit zu verbringen mit seinem Kind, aber in erster Linie ist es ja der Wunsch der Kinder zu spielen, und ich würde die jetzt nicht prinzipiell in jedem Film besetzen, also wenn es kein zehnjähriges Mädchen zu besetzen gibt, dann schreibe ich da jetzt nicht extra eine Rolle für sie.

Scholl: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Til Schweiger, heute läuft sein neuer Film "Kokowääh 2" in den deutschen Kinos an, und er selbst nimmt an der Berlinale teil, die ebenfalls heute beginnt. Kommen wir mal auf diesen Film, in dem Sie mitspielen, das ist ein Berlinale-Wettbewerbsfilm: "The Necessary Death of Charlie Countryman - der nötige Tod von Charlie Countryman". Und da spielen sie neben solchen Stars wie Mads Mikkelsen, Rupert Grint, und Shia LaBeouf. Sie haben selbst eine Zeit lang in den USA gelebt. Damals hielten sich die Hollywood-Angebote jetzt in Grenzen, jetzt, wo man Ihre Riesenerfolge irgendwie als Regisseur und Schauspieler in Deutschland ja endlich bemerkt - und wahrscheinlich spätestens seit "Inglourious Basterds" mit Quentin Tarantino scheint es besser zu funktionieren. Wie wichtig ist diese internationale Connection für Sie?

Schweiger: Also erst mal war ich, als ich nach Amerika damals gegangen bin, schon ein total superbekannter Schauspieler, oder der bekannteste Schauspieler aus Deutschland, das war nämlich nach dem "Bewegten Mann", "Männerpension" und "Knockin' on Heaven's Door". Und man ist halt als europäischer Schauspieler einfach ... da kann man nicht ankommen und sagen, hier, ich will jetzt die Rolle spielen und die. Man ist abhängig von dem, was man angeboten bekommt, und ich habe über die Jahre hinaus, auch nachdem ich wieder nach Deutschland zurückgekehrt bin, immer wieder Angebote bekommen - also jetzt nicht für Hauptrollen, denn dies ist den Amerikanern vorbehalten, den amerikanischen Schauspielern.

Damals hat man ja auch so gesagt, jetzt ist er zurückgekommen und ist in Hollywood gescheitert und so, und ich habe mich so gefragt: Woran bin ich denn gescheitert? Weil ich jetzt nicht eine Hauptrolle gespielt habe? Ich habe ja da nur gewohnt - und witzigerweise wussten die meisten im Studiosystem, also die meisten Produzenten, Casting Directors oder Regisseure, wussten gar nicht, dass ich in Malibu lebe.

Ich bin da bekannt genug, dass wenn die sagen, wir brauchen irgendeinen, wo Schweiger drauf passen könnte, dann rufen wir jetzt mal sein Management an. Mehr ist es nicht. Und es gibt so Phasen, mal ist es ganz viel und mal ist es weniger - es macht halt Spaß, wenn man auch mit internationalen Kollegen am internationalen Stoff arbeitet, und in dem Fall hat es sehr viel Spaß gemacht, weil es ein ganz tolles Drehbuch war, und manchmal macht man eben auch Filme, wo das Drehbuch nicht so toll ist, wo man aber dann eben auch Geld dafür verdient, weil es ja der Beruf ist.

Scholl: Wie laufen Ihre Filme eigentlich international? In Russland sind Sie ein richtiger Superstar.

Schweiger: Ja, das stimmt. Also Russland ist eigentlich der einzige Markt, es ist zwar ein sehr, sehr großer Markt - einer der größten in der Welt -, da laufen meine Filme super, das liegt an "Knockin' on Heaven's Door", das fing damit an damals. Das ist in Russland ein absoluter Kultfilm - die Russen, die lieben einfach die Filme, die ich mache. Witzigerweise verkaufen wir "Schutzengel" jetzt in die Welt viel, viel, viel besser als jede Komödie, die wir gemacht haben.

Scholl: Was ein knallharter Actionfilm ist, und auf internationalem Niveau.

Schweiger: Ja, die "Keinohrhasen" und "Kokowääh", die sind auch auf höchstem internationalen Niveau, das sind auch die zwei Filme, die wir als Remake verkauft haben in Amerika. Das Vorurteil in der Welt ist einfach, dass Deutsche keine Komödien können, und dann kommt natürlich dazu, dass Europa sich völlig geändert hat. Also in den 70er-Jahren, da hat man noch europäisches Kino geguckt, da war Jean-Paul Belmondo, der war in Deutschland ein Superstar. Heute weiß keiner in Deutschland, wer in Frankreich die Superstars sind, außer jetzt noch Gerard Depardieu. Aber die Leute in meinem Alter, oder die jünger sind, die kennt keine Sau mehr in Deutschland, und umgekehrt ist es genau so.

Scholl: Zurzeit wird ja auch viel geredet über großartige amerikanische Fernsehserien und das scheinbare Unvermögen des deutschen Fernsehens, da erfolgreich mitzugehen. Ich meine, Sie sind nun wirklich einer der erfolgreichsten Regisseure und auch besten Drehbuchschreiber in Deutschland, die wir haben. Würde Sie das nicht mal reizen, das mal zu machen, mal eine richtig gute deutsche Fernsehserie zu schreiben, zu beweisen, dass wir das auch können?

Schweiger: Theoretisch könnten wir das ja auch, aber man muss immer ein bisschen die Kirche im Dorf lassen. Also wenn wir in Deutschland, sagen wir mal, mit RTL oder mit Sat.1 oder ZDF so eine Serie machen würden und die hätte dann solche Quoten wie zum Beispiel jetzt - wie heißt sie? - "Homeland", die neue Serie. Die hat in Amerika im Schnitt eine Million Zuschauer gehabt.

Scholl: Das ist ein Witz eigentlich, wenn man sieht ...

Schweiger: Das ist ein Witz, das Land ist dreimal so groß, also hat dreimal so viele Zuschauer, 240 Millionen Zuschauer - eine Million ... wenn du in Deutschland eine Million Zuschauer hast mit so einer Serie, dann weißt du, was der Sender macht, der setzt dieses Ding ab, weil es einfach nur um die Quoten geht. Und Showtime hat - oder HBO, die können eben diese Serie weltweit auswerten. Die verkaufen die Rechte in die ganze Welt, die verkaufen die DVD-Boxen, die machen richtig Geld damit. Und das kannst du in Deutschland nicht.

Insofern - und dazu kommt noch, dass wir nicht so viele Autoren haben, die so was schreiben können. Und dazu kommt noch, dass die ganzen guten Autoren in Amerika vom Kinofilm weggehen und ins Fernsehen gehen, weil sie da qualitativ viel hochwertigere Sachen machen können als im Kino, weil der amerikanische Kinofilm bringt mit wenigen Ausnahmen eigentlich nur noch diese großen Sequels von irgendwelchen Marvel-Comics oder irgendwie Schlag-mich-tot-Filmen ins Kino.

Scholl: Til Schweiger, Sie werden am Ende dieses Jahres 50. Manchmal ist das ja so - bei Männern ist das, glaube ich, das Jubiläum. Ich kann mich erinnern, als ich 50 wurde, haben alle gesagt: Hey, was willst du jetzt noch machen, jetzt ist irgendwie die Hälfte vorbei, oder noch mehr als die Hälfte. Was möchten Sie sich denn vielleicht noch beweisen und uns noch vorführen? Haben Sie noch Träume, oder ist es ein Datum wie jedes andere?

Schweiger: Es ist eigentlich nicht ein Datum wie jedes andere, aber es bringt ja auch nichts, wenn man sich mit dem Datum beschäftigt, weil man kann es ja eh nicht ändern. Also der Gedanke jetzt, dass mehr als die Hälfte vorbei ist, klar, den hat jeder so, also muss man sich einfach sagen, jetzt müssen wir das beste draus machen. Und ich möchte eigentlich - ich glaube eigentlich, dass ich meine besten Werke noch vor mir habe als Regisseur, und daran möchte ich glauben. Aber es ist jetzt nicht so, dass ich denke, ich muss jetzt unbedingt das schaffen oder das, oder ich muss unbedingt einen Film machen über Samuel Beckett oder so, oder ich muss unbedingt das machen. Ich gucke einfach. Aber ich glaube sicher, dass ich noch den einen oder anderen schönen Film inszenieren werde.

Scholl: Til Schweiger, danke Ihnen für Ihren Besuch! Alles Gute für "Kokowääh 2"!

Schweiger: Danke schön!

Scholl: Heute läuft Til Schweigers Film mit ihm in der Hauptrolle in Deutschland an, genau so wie die Berlinale, das größte deutsche Filmfestival, wo Til Schweiger auch dabei sein wird als Schauspieler, in einem internationalen Film, wir im Deutschlandradio Kultur berichten darüber natürlich täglich von der Berlinale hier im "Radiofeuilleton" und jeden Abend in einem Berlinale-Spezial ab 19 Uhr und später dann auch in unserer Sendung "Fazit" ab 23 Uhr.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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