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Aberdeen und das Öl (2/5)
Schottische Zukunftspläne nach dem Brexit

Die Diskussion um eine Unabhängigkeit Schottlands nimmt wieder an Fahrt auf. Auslöser ist der bevorstehende Brexit, den die schottische Regierung und die meisten Bürger ablehnen. Das Ende des Ölbooms wirft die Frage auf, wie Schottland wirtschaftlich alleine zurechtkäme.

Von Erik Albrecht | 25.09.2018
    Schottlands Erste Ministerin Nicola Sturgeon vor blauem Himmel, im Hintergrund ist ein Windrad in der Nordsee zu sehen
    Schottlands Erste Ministerin Nicola Sturgeon bei der Eröffnung einer Offshore-Windkraftanlage nahe der Küste bei Aberdeen: Sieht so die Zukunft nach dem Öl aus? (picture alliance/Michal Wachucik/PA Wire)
    Ruhig rollt der Verkehr um die Mittagszeit über die Union Street von Aberdeen. An einer Straßenecke blickt King Edward VII., Zepter und Reichsapfel in der Hand, stolz auf die Granitfassaden der Hauptstraße. Auf den Bänken hinter der Statue essen ein paar Handwerker ihre Sandwiches. Ein Tourist mit Rollkoffer wartet auf sein Taxi.
    Die Union Street im Herzen Aberdeens ist zu Ehren des Vereinigten Königreiches so benannt. Und die Stadt stimmte 2014 auch entschlossen für diese Union zwischen Schottland und den anderen Nationen des Königreichs. Knapp 60 Prozent waren hier bei dem Unabhängigkeitsreferendum für den Verbleib.
    Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Aberdeen in Schottland - Das Ende vom Öl" in der Sendung "Gesichter Europas".
    In Aberdeen sind aber auch die Proeuropäer in der Mehrheit. Und seit der Brexit gegen den Willen Schottlands vorangetrieben wird, hoffen Schottlands Erste Ministerin Nicola Sturgeon und ihre schottische Nationalpartei SNP, ihre Landsleute doch noch für einen eigenen Staat zu begeistern – und in der EU bleiben zu können.
    Die geschäftige Union Street im Herzen der schottischen Stadt Aberdeen
    Die Union Street im Herzen der schottischen Stadt Aberdeen, so benannt zu Ehren des Vereinigten Königreiches (Imago)
    "Schottland fehlt der Plan für die Unabhängigkeit"
    "Der Brexit hat große Auswirkungen auf die Wirtschaft und auf die Stimmung in Schottland. Aber er beeinflusst die Debatte über die Unabhängigkeit längst nicht so, wie die SNP sich das wünscht."
    Für Allan Sutherland war das Brexit-Referendum ein großer Schock. Der Schotte lebt seit vielen Jahren mit einer Deutschen zusammen. Gemeinsam haben sie ein historisches Fischerhäuschen in Stonehaven gekauft, etwa 30 Kilometer südlich von Aberdeen. Die Decken des alten Steinhauses sind so niedrig, dass er mit seinen 1,90 Meter kaum aufrecht stehen kann.
    "Natürlich sind auch die Menschen im Vereinigten Königreich nicht glücklich mit der derzeitigen Lage. Großbritannien hat viele Probleme. Aber sie werden nicht dadurch gelöst, dass Schottland das Königreich verlässt und unabhängig wird. Denn Schottland fehlt der Plan dafür."
    Sutherland, um die 60, volles weißes Haar, ist Aktivist von "Scotland in Union", der Kampagne für den Verbleib seiner Nation im Vereinigten Königreich. Heute, nach dem Zusammenbruch der Öl-Branche, fühlt er sich in seiner Skepsis bestätigt:
    "Der schottischen Wirtschaft geht es schlecht und das liegt vor allem am Öl. Für Schottland bedeutet das, wir müssen unsere traditionellen Industrien stärken und dazu müssen wir ein Teil des Königreichs sein."
    Sutherland ärgert, dass die Scottish National Party die Frage nach dem verlorenen Unabhängigkeits-Referendum nicht ruhen lasse. Statt weiter über die Loslösung von London zu diskutieren, solle die Partei sich besser um die Probleme Schottlands kümmern: Arbeitslosigkeit, Gesundheitsversorgung, Immobilienpreise.
    Kritik am Sparkurs der Regierung in London
    Fiona Robertson managt die Unabhängigkeitsbewegung in Aberdeen. Für sie ist die eiserne Sparpolitik der konservativen Regierung in London der wichtigste Grund, das Vereinigte Königreich zu verlassen.
    "For me I saw the risk in staying."
    Robertson, um die 40, lebt seit knapp 20 Jahren mit einer Behinderung. Die tiefen Einschnitte der vergangenen Jahre in die Sozialsysteme haben ihr Leben härter gemacht. Und wegen des Mehrheitswahlrechts hat die derzeitige konservative Regierung in London kaum Abgeordnete aus Schottland. Das frustriert die Menschen.
    Dann erzählt Robertson vom Unabhängigkeits-Referendum 2014. Damals seien viele Schotten vor den Unwägbarkeiten, einen neuen Staat aufzubauen, noch zurückgeschreckt, glaubt Robertson:
    "Die Menschen tendieren zum Status quo. Wandel erscheint immer riskanter, als alles beim Alten zu belassen. Ich denke, wir müssen den Menschen erklären, dass es von nun an keinen Status quo mehr gibt. Alles wird sich ändern."
    Der Brexit hat die Lage verändert. Deshalb ist Robertson für ein zweites Unabhängigkeits-Referendum. Danach könnten die Schotten selbst entscheiden, ob ihr Land EU-Mitglied sein soll oder nicht. Doch Robertson weiß auch, dass ihre Bewegung gerade in Aberdeen einen schweren Stand hat:
    "Es gibt hier so viel Reichtum. Und es gab diese Gruppe von Menschen, denen es so gut ging, dass sie nichts riskieren wollten. Und dann gab es eine andere Gruppe, der es nicht so gut ging, und die deshalb mit der Unabhängigkeit kein weiteres Risiko eingehen wollte."
    Fiona Robertson managt die Unabhängigkeitsbewegung in Aberdeen
    Fiona Robertson managt die Unabhängigkeitsbewegung in Aberdeen (Deutschlandradio/ Erik Albrecht)
    Weichenstellungen für die Zukunft nach dem Öl
    Ein unabhängiges Schottland könnte einen Wohlfahrtstaat nach skandinavischem Vorbild aufbauen, hofft Robertson. Schon heute federt die schottische SNP viel der konservativen Sparpolitik in London aus ihrem eigenen Budget ab.
    "Norwegen ist meines Wissens das reichste Land der Welt und der Unterschied zu Großbritannien lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Statoil."
    Der staatliche Ölkonzern Norwegens. Auch für Gewerkschafter Jake Molloy ein Vorbild. Gerade jetzt, wo die Ölreserven zu Neige gehen, könnte der Staat die restlichen Vorkommen besser ausbeuten als private Unternehmen. Auch er plädiert für einen Ausbau des Wohlfahrtsstaates. Und für ein unabhängiges Schottland.
    Zudem stünden gerade jetzt wichtige Weichenstellungen für eine Zukunft nach dem Öl an, im Bereich der Windenergie etwa. Doch dafür ist Westminster zuständig, das britische Parlament in London.
    "Wir können in Schottland viel Geld mit Wind machen. Wir haben also immer noch eine große Zukunft vor uns. Aber es müssen Entscheidungen getroffen werden. Und Westminster ist das völlig egal."
    Aber die Situation ist kompliziert: Die Gewerkschaft RMT habe sich sowohl für die Unabhängigkeit Schottlands als auch für den Austritt Großbritanniens aus der EU ausgesprochen, erzählt Molloy. Auf Wunsch ihrer Mitglieder. Und noch ist nicht klar, wie der Brexit genau aussieht. Nicola Sturgeon von der SNP will das Ende der Verhandlungen erstmal abwarten, bevor sie sich für ein zweites Unabhängigkeits-Referendum ausspricht:
    "Es ist ein großes Durcheinander. Selbst wir, die wir noch etwas von Politik verstehen, blicken nicht mehr durch. Das ist die Quadratur des Kreises."