Die innere Wand

Von Sandra Doedter und Esther Körfgen · 26.04.2008
Kein Gefühl ist so quälend, so überwältigend und so abgrundtief wie die Scham. Der Pickel im Gesicht, die anhaltende Arbeitslosigkeit, das nicht geschaffte Examen: Welche Schmach! Die Scham ist der genetische Oberaufseher, von der Natur geschickt, uns im Zaum zu halten.
Ihr Werkzeug ist die Furcht: Von der Norm abzuweichen, sich lächerlich zu machen, nicht mehr dazu zu gehören. Einen stärkeren Garanten für die bestehende Ordnung gibt es nicht.

"Scham fühlt sich sehr körperlich an. Die Haut wird ganz heiß und ganz rot, und man setzt sich erst mal wo hin und ist in so einem - Schockzustand ist das falsche Wort, aber als wenn man voll mit so einem Hormon ist, oder irgendetwas, das einen so durchflutet. Etwas, das einen erst mal nachdenklich macht. Oder traurig." (Eine Frau, 39)

Seit der Vertreibung aus dem Paradies ist die Scham Motor und zugleich Bremse menschlichen Verhaltens. Nützlich für das gesellschaftliche Miteinander, doch für den einzelnen oft eine hemmende Last.

Über das, wofür man sich schämt, kann man nicht sprechen. Die "Lange Nacht" tut es trotzdem. Sie spricht von der natürlichen Scham, die uns davor bewahrt, nackt durch die Stadt zu laufen. Und dem Horror des Käfigs, den eine krankhafte Scham errichtet.


"In der Enge meiner Wahrnehmung war mir nicht bewusst, wie sehr mein Verhalten von eingefahrenen Verhaltensmustern bestimmt wurde. Scham und Angst legten den engen Spielraum fest, in dem ich mich anderen gegenüber sicher fühlte und ihnen begegnete. Das führte dazu, dass ich zwar mit vielen Menschen ein sehr geselliges Verhältnis eingehen konnte, diesen Beziehungen in der Regel jedoch die Tiefe fehlte. Meine Angst, das verängstigte, mir selbst unzugängliche Ich meines Innersten den anderen gegenüber zu öffnen, verhinderte Nähe. Ich habe dadurch viele Bekannte, die mich durchaus sehr nett finden, aber keine Freunde, die um mein Persönlichstes wissen und mir ihr Persönlichstes anvertrauen würden. Das vorsichtige Tasten ihrer Seelen fand in mir keinen Halt, und damit blieb jede Beziehung im Allgemeinen hängen.

In der Therapie habe ich die richtigen Ansätze gefunden, Probleme anders zu bewerten und dadurch zu erreichen, dass sie ihre Macht über mich verlieren. Eine wichtige Rolle spielt ganz sicher mein Schamgefühl. Ich versuche mit aller Kraft, meine "Schwächen" vor meiner Umwelt zu verbergen. Ich denke jetzt oft in den entscheidenden Situationen, vor allem im Kontakt mit anderen Menschen, daran, was passieren würde, wenn ich mich so zeige, wie ich bin. Was kann mir passieren? Warum denke ich so beharrlich, dass sich meine Mitmenschen über mich lustig machen oder sich sogar von mir abwenden könnten oder mir etwas anderes schlimmes passieren könnte? Und selbst wenn, was wäre so schlimm daran?"

So der Tagebuch-Eintrag eines Mannes, der erkannt hat, welch entscheidende Rolle die Scham in seinem Leben spielt. Und erste Wege aus diesem Käfig heraus findet.

Meistens sehen wir nicht, dass die Scham in fast allen Lebensbereichen existiert. Wir wollen sie nicht sehen, denn sie zu spüren ist schmerzhafter als alles andere, das wir fühlen können. Sich und anderen einzugestehen, dass man beschämt wurde, dass man schwach war, fällt nicht leicht.

"Ich war als Kind schon immer sehr pummelig und dick, das hat sich später auch in der Pubertät fortgesetzt. Ich hatte einen Körperbau, der nicht männlich genug war, ich hatte im oberen Bereich so eine richtige Problemzone, ich hatte da schon erheblich zu viel. Und meine Scham, die habe ich überspielt, indem ich mich immer krumm gehalten habe. Oder wenn ich mich mal nackt präsentieren musste, habe ich die Arme so in eine geschlossene Haltung gebracht, so dass diese Proportion nicht auffiel. Ich habe in der Kindheit und auch in der Jugend Hänseleien erfahren müssen, und die taten dann schon weh."(Mann, 37)

In unserer medialen und hochtechnologischen Gesellschaft wird der Druck auf das Individuum immer größer. Wir bekommen "perfekte" Menschen präsentiert und die Möglichkeit, selber perfekt zu werden - nach dem Motto: Wer Segelohren, schlechte Haut oder dicke Beine hat, ist selber schuld. Und Schuld führt zu Scham.

"In Amerika als junge Studentin 1951 war ich in einer University und wurde in eine jüdische Sorority eingeladen, um da zu wohnen und mit den jüdischen Mädchen zusammen zu leben. Und eine von den jüdischen Mädchen sagte: Ich möchte dich gerne einladen, Ostern bei uns zu Besuch zu kommen, ich fahr nach Hause in den Osterferien und du kommst mit. Ich war natürlich begeistert, die wohnten in New York und ich sagte sofort zu, und kurz bevor wir fahren wollten, kommt sie plötzlich ganz traurig zu mir und sagt: Du ich muss dir sagen, meine Eltern wollen kein deutsches Mädchen bei sich im Haus haben. Zunächst war das ein richtiger Schock für mich, und ich musste das erst mal verarbeiten. Und das war mir ein wirklich furchtbares Erlebnis. Das was mein Volk getan hatte, das war eben so entsetzlich, dass ich mich wirklich nur schämen konnte. Und gar nichts weiter sagen konnte als: Okay, ich kann das gut verstehen." (Frau, 77)

Scham wird über Generationen weitergegeben, bei den Deutschen schon seit dem Dreißigjährigen Krieg, so die These unseres Studiogastes Dr. Stephan Marks. So hatte Hitler eine Chance, weil sich das deutsche Volk durch die Niederlage des 1. Weltkriegs erniedrigt fühlte. Hinzu kam, dass die Männer, die aus dem Krieg zurückkehrten, von der Brutalität traumatisiert waren, und viele Frauen zu Hause durch Vergewaltigung. Gesprochen wurde über die Scham nie. Hitlers Größenwahn und seine Verachtung gegenüber anderen Völkern machte die Deutschen wieder groß.

So funktioniert es auch im Kleinen: Wer sich schämt - für sich, seine Herkunft, sein Aussehen, im schlimmsten Fall für sein So-Sein - behandelt andere schlecht, macht sich lustig über sie.

""Wir lebten mit mehreren Familien auf einem Bauernhof und es war eben üblich, dass man auch als Kind die Haushalte wechseln konnte, mal hier schlafen, mal da, mal hier essen, mal da. Es gab keine Kernfamilie in dem Sinne, wie es bei meinen Freunden der Fall war. Vater, Mutter, Kind, so was gab es nicht. Die meisten waren auch allein erziehend, man hat sich da zusammen getan.

Ich hab mich immer als Außenseiter gefühlt. Ich wollte in normalen Verhältnissen leben. Es war mir peinlich vor meinen Klassenkameraden, vor Lehrern, im Schulbus wurden wir regelmäßig gehänselt, einfach für dieses Anderssein, dafür dass zum Beispiel ein Pferd im Garten stand und nicht auf einer Weide oder im Stall, ich hab mich geschämt für das Anderssein, für das Nicht-Normal-Sein." (Frau, 32)

Mit zunehmendem Alter wird es schwieriger, die eigene, ganz natürliche Schamgrenze aufrecht zu erhalten. Wenn die eigene Autonomie nachlässt, braucht man Hilfe. Doch unsere Gesellschaft ist - noch - nicht darauf vorbereitet, die Scham eines jeden einzelnen anzuerkennen und angemessen darauf zu reagieren. Glück hat, wer sie noch verteidigen kann.

""Ich wurde kürzlich von einem Pfleger gepflegt, der dann ausfiel. Und die Hausleitung empfahl mir eine Pflegerin, die dann bei mir erschien, und ich stellte fest, das ist eine ältere Dame, vor der ich mich zu entkleiden genierte. Ausgesprochen. Es wurde mir zwar immer wieder gesagt, dass das erfahrene Leute seien, denen solche Begegnungen sozusagen zum täglichen Geschäft gehört, aber trotzdem habe ich mich geniert. Und habe gesagt: Nein, ich möchte darauf verzichten, vielen Dank." (Mann, 80)

Wer anders ist als die Mehrheit, droht beschämt zu werden. Das gilt für Arbeitslose, die mit ihrer Arbeit einen großen Teil ihrer Identität verloren haben, ebenso wie für Migranten. Eine große Herausforderung der nächsten Jahrzehnte wird sein, dass verschiedene Kulturen in unserem Land lernen, trotz ihrer unterschiedlichen Auffassung von Scham und Schuld friedlich miteinander zu leben. Helfen könnte, der jeweils anderen Kultur mit mehr Respekt zu begegnen. Und anzuerkennen, dass jede Kultur sensible Bereiche hat, in denen besonders schnell Beschämung und somit Scham entstehen können.

Weitere Informationen zum Umgang mit Scham

Die Studiogäste:

Dr. Stephan Marks, Sozialwissenschaftler an der PH Freiburg. Außerdem Supervisor, leitet Fortbildungen für Berufstätige in pädagogischen und psychosozialen Arbeitsfeldern zum Thema Scham und Menschenwürde.

Die Scham ist ein Tabu und wird völlig vernachlässigt, sagt Dr. Stephan Marks:

"Scham ist zunächst einmal ein äußerst schmerzhaftes Gefühl. Es ist entwicklungspsychologisch sehr früh begründet, stark mit Körperreaktionen verbunden und letztlich, wenn wir schauen was im akuten Zustand mit unserem Gehirn geschieht, es wie eine Entgleisung der höheren Gehirnfunktionen wirkt. Deshalb sind wir im akuten Zustand von Scham einfach dumm. "

Webseite zum Thema Scham, Anerkennung und Menschenwürde


Literatur von Stephan Marks:

Scham - die tabuisierte Emotion
Patmos Verlag 2007, ISBN: 978-3-491-42103-5, 19,90 Euro

"Als mein Chef mich vor der kompletten Belegschaft kritisierte, hätte ich vor Scham im Erdboden versinken können!" "Ich geh nicht mehr zum Schwimmen! Die anderen Kinder hänseln mich, ich wäre so dick!"

Scham ist eine Emotion, die jeder kennt und die Menschen im Innersten verletzt und bedroht. Aus diesem Grund wird selten über sie gesprochen. Dabei hat Scham viele Gesichter: Selbst so extreme Taten wie sogenannte "Ehrenmorde" und Selbstmordattentate beruhen auf dem Mechanismus von Scham und Schamabwehr.

Der Sozialwissenschaftler Stephan Marks beschreibt, wie Scham entsteht, welche Auswirkungen sie hat und wie wir konstruktiv mit dieser tabuisierten Emotion umgehen können. Ein Buch, das eindrucksvoll zeigt: Viele zwischenmenschliche Konflikte können vor dem Hintergrund des Scham-Themas verstanden und gelöst werden.


Warum folgten sie Hitler? Die Psychologie des Nationalsozialismus
Patmos Verlag 2007, ISBN: 978-3-491-36004-4, 19,90 Euro

Warum begeisterten sich Millionen von Menschen für Adolf Hitler? Wieso konnten sie sich so verführen lassen? Alles nur Vergangenheit? Durch Interviews mit ehemaligen HJ-Funktionären, SS-Offizieren und NSDAP-Mitgliedern - 24 Männer und 19 Frauen - zeigt Stephan Marks, dass der Nationalsozialismus seine Anhänger begeisterte, indem er ihre Gefühle ansprach, sich ihre emotionale Bedürftigkeit zunutze machte - nicht ihren Verstand. Vor allem Schamgefühle, Kriegstraumata, psychische Abhängigkeiten wurden und könnten auch heute genauso instrumentalisiert werden, so die erschreckende Botschaft des Buches.


Scham - Beschämung - Anerkennung. Erinnern und Lernen. Texte zur Menschenrechtspädagogik, Bd. 3, LIT Verlag 2007


Claudia Haarmann, Journalistin, Buchautorin und Körpertherapeutin

Claudia Haarmann, glaubt nicht, dass die Scham vorbei ist, vor allem nicht für Frauen.

" Heute müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass gerade in Beziehungen, in Partnerschaften die Scham ein ganz großes Thema ist. Natürlich ist die Scham uralt. Wir schämen uns - vor allem wir Frauen schämen uns seit jahrhunderten, seit Jahrtausenden - und wir können nicht meinen, dass wir in ein, zwei Generationen diese Scham ablegen können. "


Literatur von Claudia Haarmann:

Unten rum - Die Scham ist nicht vorbei.
Innenwelt Verlag, ISBN-13: 978-3936360158, 16,90 Euro

Trotz sexueller Aufklärung, trotz Dauerberieselung von sexuellen Botschaften in den Medien: Frauen sind heute weit entfernt von dem, was täglich an tollkühnen erotischen Erlebnissen geboten wird. Viele Frauen sind voller Zweifel: "Ich müsste doch eigentlich besser im Bett ... orgiastischer sein." Fazit: Die übersexualisierten Bilder, die uns auf allen Kanälen vorbeten, wie wir sein sollten, machen nicht an, sondern Stress. Das wird in sehr persönlichen und intimen Berichten von Frauen zwischen 20 und 70 Jahren deutlich. Leserinnen und Leser erfahren viel über Scheu, vermeintliches Unvermögen, nicht wissen wie, den Einfluss der Mütter und auch über die Lust der Frauen. "Ich habe mich jeden Tag gefragt: Wie komm ich zu einer erfüllten Sexualität und wie fühlt sich das überhaupt an? Du kannst doch niemanden fragen: Wie fühlt sich ein Orgasmus an?"
Es gibt sie immer noch - die Scham. Sie ist noch längst nicht vorbei, wenn es um das Verhältnis von Frauen zu ihrem Körper und ihrem ureigensten weiblichen Organ, der Vagina, geht.

Die Autorin beschreibt, wie Sexualität im Alltag erlebt wird. Sie wirft einen Blick auf die Problematik, in der junge Frauen sich heute befinden. Expertinnen berichten über verschiedene Kulturen, die einen anderen Umgang mit dem weiblichen Körper lehren. Claudia Haarmann fragt ganz nüchtern: Wo sind wir wirklich mit unserer Sexualität? Mit diesem Hinschauen, mit dem Anerkennen der Wirklichkeit, meint sie, ist der erste Schritt getan.


Dr. Hans-Joachim Maaz, ärztlicher Psychotherapeut und Leiter des Psychotherapie-Kollegs in Halle an der Saale

" Bei der Frage, ist die Scham vorbei, wird eigentlich schon deutlich, das ist ein Irrwitz, überhaupt so etwas denken zu wollen. Scham kann nicht vorbei sein, Scham wird es immer geben, solange es Menschen gibt. In meiner Arbeit können wir sehr gut unterscheiden zwischen einer normalen, einer gesunden Scham, die zu jedem Menschen gehört, die überhaupt erst soziales Leben ermöglicht und eben einer pathologischen, einer neurotischen Scham, die dann übertrieben ist. Das hat dann aber was mit der Lebensgeschichte dieser Menschen zu tun, die Patienten geworden sind. "


Literatur von Hans-Joachim Maaz:

Gefühlsstau. Ein Psychogramm der DDR
Knaur Taschenbuch Verlag 1991

Die Liebesfalle. Spielregeln für eine neue Beziehungskultur. C.H. Beck 2007


Literaturtipps zum Thema:

Anja Meulenbelt: Die Scham ist vorbei. Eine persönliche Geschichte
Frauenoffensive, ISBN-13: 978-3881040440, 6,00 Euro

Anja schreibt ihre Erfahrungen auf: Beziehung mit Hans, Scheidung, Alleinleben mit Kind, Ausbildung zur Sozialarbeiterin, Politisierung in der Frauenbewegung, Liebe zu einer Frau. Viele kostbare Jahre hat es gedauert, bis sie die Scheuklappen vom Kopf bekam: Schmerz, Selbstmitleid, viel Gefühl, Peinlichkeit. Aber keine Scham.


Jean-Claude Bologne: Nacktheit und Prüderie. Eine Geschichte des Schamgefühls
Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger Weimar 2001, ISBN: 978-3740011383

Am Beispiel historisch prominenter Persönlichkeiten dokumentiert Jean-Claude Bologne die Wandlung des Schamgefühls im Lauf der Jahrhunderte und spiegelt somit den Wandel der Gesellschaft und ihrer Wertvorstellungen wider. Es ist die erste große historische Darstellung dieses gesellschaftlich relevanten Phänomens und hebt sich vom ethnologisch-anthropologischen Ansatz von Hans Peter Duerr ab.


Hans Peter Duerr: Nacktheit und Scham. Der Mythos vom Zivilisationsprozess.
Suhrkamp Taschenbuch 1988, ISBN: 978-3518387856, 14,00 Euro

Eine Kulturgeschichte der sexuellen Scham und Schicklichkeit, die nicht nur die abendländische Geschichte, sondern auch jene Völker einbezieht, die an der Peripherie der so genannten Hochkulturen gelebt haben und leben. Im Gegensatz zu Norbert Elias geht Duerr davon aus, dass die Scham vor der Nacktheit zum Wesen des Menschen dazu gehört, und nicht erst mit der Neuzeit einsetzt.


Norbert Elias: Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen.
Suhrkamp Taschenbuch 2001, ISBN: 978-3518277591, 13,00 Euro

Die langfristigen Transformationen der Gesellschafts- und Persönlichkeitsstrukturen bilden das zentrale Thema des Werkes von Norbert Elias. Wie ging die 'Zivilisation' im Abendland vor sich? Worin bestand sie? Welches waren ihre Antriebe, ihre Ursachen oder Motoren? Bei Elias' Arbeit handelt es sich weder um eine Untersuchung über eine 'Evolution' im Sinne des 19. Jahrhunderts noch um eine Untersuchung über einen unspezifischen 'sozialen Wandel' im Sinne des 20. Jahrhunderts; seine Arbeit ist grundlegend für eine undogmatische, empirisch fundierte soziologische Theorie der sozialen Prozesse.


Micha Hilgers: Scham. Gesichter eines Affekts
Vandenhoeck & Ruprecht 2006, ISBN: 978-3525462515, 24,90

Schamgefühle sind alltäglich und immer peinlich, aber oft doch nicht schädlich. Maßvolle Schamgefühle können zu besseren Leistungen anspornen, zur Entwicklung von Autonomie und Selbstkritik. Erst traumatische oder chronische Schamgefühle wirken verheerend: Gewalt, selbstschädigendes Verhalten, Sucht oder Suizidalität, Rückzug oder destruktives Agieren in psychotherapeutischen Behandlungen können die Folge chronischer Scham sein.

Micha Hilgers entwirft in der dritten, überarbeiteten und erweiterten Auflage eingängig die Dynamik von Schamkonflikten im Alltag und bei der therapeutischen Behandlung psychischer oder somatischer Störungen. Unterschiedliche Schamgefühle (wie existentielle Scham, Idealitätsscham, Kompetenzscham) werden in ein umfassendes und verständliches theoretisches Konzept gestellt und mögliche verbale Interventionen im Therapiegespräch vorgestellt. Gesunde Schamgefühle werden gewürdigt und die Forschungsergebnisse der Neurowissenschaften in das Konzept der Scham integriert.

Zahlreiche Beispiele aus Medizin und Psychotherapie illustrieren den Text und geben dem Praktiker Handlungsanweisungen.
Gesellschaftspolitisch wird Scham im Zusammenhang mit familiärer Gewalt, Migration, Dissozialität, Rechtsextremismus betrachtet und die Rolle von Scham und Schamlosigkeit in den modernen Medien untersucht.


Harriet Lerner: Angst, Furcht und Scham. Vom befreienden Umgang mit schwierigen Gefühlen
Gütersloher Verlagshaus 2006, ISBN: 978-3579065182, 24,95 Euro.

Harriet Lerner empfiehlt, den drei Schlüsselemotionen Angst, Furcht und Scham die Stirn zu bieten. Nur wenn wir lernen, mit diesen ungebetenen Gästen bewusst umzugehen, sie als Teil unseres Lebens zu akzeptieren, können wir ein zufriedeneres, glücklicheres und freieres Leben führen - ohne Angst vor Zurückweisung, Minderwertigkeitskomplexen oder der Hektik am Arbeitsplatz.


Scham.
Konkursbuch 43. Erzählungen, Glossen, Essays & Erinnerungen.
Konkursbuch Verlag Claudia Gehrke 2005