Die heitere Form der Einsamkeit

Urszula Antoniak im Gespräch mit Holger Hettinger · 04.04.2010
In ihrem Film "Nothing Personal" zeigt die Regisseurin Urszula Antoniak die langsame Annäherung zwischen einer Frau und einem Mann, die für sich Ruhe und Einsamkeit suchen. Weil sie die Einsamkeit selber suchen, sei dies "eine zufriedene, heitere Form des Alleineseins", sagt die Regisseurin.
Dieter Kassel: "Nothing Personal" - Der Film der in den Niederlanden lebenden Polin Urszula Antoniak kommt am Donnerstag in die Deutschen Kinos, deshalb hatte mein Kollege Holger Hettinger die Gelegenheit, mit der Regisseurin zu sprechen und er hat sie als erstes gefragt, ob es neben der Frau und dem Mann nicht eigentlich nur zwei weitere Hauptdarsteller in "Nothing Personal" gäbe, nämlich das Haus und die Landschaft.

Urszula Antoniak: Ja, es liegt vielleicht wirklich nahe, zu sagen, dass es sich bei dem Haus und der Landschaft um zwei weitere Protagonisten des Films handelt, die zu den beiden anderen, zu dem Mann und der Frau, dazukommen, gespielt von Lotte Verbeek und von Stephen Rea. Und als einen weiteren Protagonisten würde ich hier auch noch die Musik nennen, die in diesem Film die Rolle der Ruhe spielt. Anders als vielleicht in traditionellen Filmen oder in anderen Filmen ist die Musik hier ein Bestandteil der Ruhe. Wie es auch bei Menschen oft so ist, die die Entscheidung getroffen haben, in Ruhe zu leben, in der Einsamkeit zu leben und keine anderen Menschen als Kontaktperson zu haben, so hören diese Menschen oft Musik.

Und ein weiteres Experiment war es vielleicht auch, diese Menschen 80 Minuten lang im Film agieren zu lassen, ohne etwas über ihre Herkunft, ihre Vergangenheit oder ihre Persönlichkeit zu erzählen, sozusagen den Zuschauer im Ungewissen darüber zu lassen, wo diese Leute herkommen, was ihre Vergangenheit ist. Und ich denke, dass dieses Experiment geglückt ist, da die Leute den Film offensichtlich mochten.

Holger Hettinger: Interessant, dass Sie es sagen, weil genauso hatte ich es eigentlich auch gesehen, dass diese Figuren – die Namen, die sind mir schon gar nicht mehr gegenwärtig –, dass die wie Chiffren für etwas stehen, für etwas sehr Interessantes, wie ich finde, nämlich für eine Einsamkeit, der nichts fehlt. Ich habe nicht das Gefühl, dass diese beiden Menschen unter diesem Alleinsein so leiden, im Gegenteil: Man hat das Gefühl, die sind erfüllt, ausgefüllt, auch sehr stark mit sich selbst ausgefüllt, sehr stark bei sich ruhend. Und doch, die Vereinbarung ist: kein Kontakt, aber es funktioniert nicht, und ich finde das sehr schön zu sehen, wie diese tastende Annäherung, dieses schrittweise ... dieses Bedürfnis, diese Menschen in irgendeiner Weise – obwohl sie es strikt zu vermeiden versuchen – denn doch noch mal aufeinander zugehen. Was war der Hintergrund dieser Überlegung, das filmisch zu fassen?

Antoniak: Ich denke, das Hauptthema des Films "Nothing Personal" ist eine selbst auferlegte Einsamkeit, das Alleinesein, das die Menschen suchen. Es ist ein Film über das Alleinesein als Freiheit, ein gewählter Weg, nicht als Schicksal begriffen, nicht als unentweichbare, negative Wahrheit, wie es im Westen ja oft gesehen wird, da erscheint die Einsamkeit ja oft als etwas sehr Negatives. Wenn man keine 500 Freunde auf Facebook hat, gilt man schon manchmal nicht mehr als normal, so ungefähr. Und hier handelt es sich aber um Menschen, die diese Einsamkeit bewusst gewählt haben und deshalb auch so selbstsicher agieren können, und ich denke, dass das Verlangen nach Einsamkeit ebenso menschlich ist wie das nach Gemeinschaft, nach Kontakt. Mache wollen halt ... oder zu manchen Zeiten möchte man halt mit anderen sein und manchmal allein.

Hettinger: Ich muss gestehen, ich habe was ganz anderes erwartet, als ich die Konstellation Ihres Films gehört habe, denn ich habe bei der Berlinale einen Film gesehen, der zeigt, wie zwei Menschen in einer russischen Eiswüste ganz auf sich zurückgeworfen werden – der Film von Alexej Popogrebski. Eine ganz extreme, unwirkliche Situation, und dann kommt es zu extremen Handlungen. Bei Ihnen ist das ganz anders. Ich hatte so das Gefühl, dass das Haus, dass die Landschaft, dass die Musik die Charaktere umschmeichelt. Gerade die Landschaft wirkt ja oft wie so eine Interpretationsebene, in der Gefühle gespielt werden, in der Empfindungen widergespiegelt werden, das Ganze ganz gelassen erzählt, eine Sinfonie mit fünf langsamen Sätzen, um es prosaisch zu formulieren. Das schafft eine ganz eigene Zeiterfahrung. Was war die Idee dahinter, das mit dieser großen Gelassenheit und meditativen Ruhe zu erzählen?

Antoniak: Ich denke, dass "Nothing Personal" ein vollkommen anderer Film ist als der, den Sie eben erwähnt haben. Hier sind die zwei Protagonisten freiwillig in der Einsamkeit, sie haben die Einsamkeit, das Alleinesein, für sich gewollt, sie sind nicht darin gefangen und sie haben diese Situation für sich gewählt. Und wenn man diese Einsamkeit wählt, bekommt auch die Landschaft einen anderen Charakter für einen, weil es eine gesuchte Umgebung ist, in der man sich aufhält und die sozusagen zu einem Protagonisten dann wird. Und ich habe auch in diesem Fall dadurch eine sehr heitere Form der Einsamkeit gewählt, eine zufriedene, heitere Form des Alleineseins, in der die Menschen die Ruhe genießen können und sich selber hören können – meditativ in dem Sinne, dass sie auch versuchen, eine Beziehung mit sich selber aufzubauen durch diese Ruhe. Und das Alleinesein bringt hierbei keine Konflikte, sondern für diese Personen eine Bereicherung.

Hettinger: Ich war ja ganz hingerissen, Urszula Antoniak, von diesem wundervollen Haus, das allein durch das Betrachten dieser Wände, dieser Einrichtungsgegenstände, dieser sehr präsenten, greifbaren Stimmung, die dieses alte Haus ausstrahlt, ja doch eine Person, ein Charakter, ein Protagonist in diesem Film wird. Was ist das für ein Haus?

Antoniak: Ja, das ist wirklich eine sehr interessante Geschichte, die dieses Haus hat. Es hat eine Zeit lang der Familie von Oscar Wilde gehört, seiner Mutter und seinem Vater, und er selbst hat dort wohl zwei Jahre lang gelebt und er hat diesem Haus auch ein Gedicht gewidmet, ein sehr schönes Gedicht, das "Lotus Land" heißt. Und wir waren sehr froh darüber, dass wir das Glück hatten, dort filmen zu dürfen. In diesem Haus ist wirklich auch alles authentisch, so, wie es einmal war. Wir haben alles so gelassen. Die Wände, die Möbel, die Bücher, die Sie dort sehen, sind so authentisch.

Und das macht vielleicht auch die Aura aus, die dieses Haus immer noch hat. Es ist so authentisch, dass diese besondere Aura bestehen bleibt, und man kann sie, finde ich, sogar beim Betrachten des Films spüren. Man kann merken, dass das Haus diese Aura hat, der Geist des Ortes ist sozusagen noch fühlbar – eine fast spürbare Atmosphäre, die sich hier auf den Betrachter überträgt. Wir hatten beim Filmen das Gefühl, als würde uns Oscar Wilde selbst noch über die Schulter schauen. Man muss aber auch bedenken, dass das Haus keinen Strom hatte und kein fließendes Wasser und dass das Filmen dadurch sehr abenteuerlich war.

Hettinger: Ich stelle mir das wahnsinnig kompliziert vor, mit dieser Aura des Hauses. Auf mich hat das schon wahnsinnig stark gewirkt und das ist auch ein prägendes Moment dieses Films. Ich könnte mir vorstellen, beim Schauspieler ist das einfach, da kann ich sagen, mach so, mach so, mach so – aber bei einem Haus?

Antoniak: Als ich die Idee hatte, den Film "Nothing Personal" zu drehen, hatte ich zunächst einfach nur die Vorstellung, dass er an einem Ort im Nirgendwo, am Ende der Welt irgendwo stattfinden sollte. Davon kann man natürlich verschiedene Vorstellungen haben, wie das aussehen soll, aber mir war klar, dass es das so in Holland nicht geben würde, da ist immer irgendjemand.

Und wir fanden dann also dieses Haus in Irland und erfuhren dann erst über die Geschichte des Hauses, und der Charakter des Hauses offenbarte sich uns sozusagen Stück für Stück, und wir haben uns und unsere Geschichte, die Geschichte des Films, eher der Präsenz des Hauses angepasst, als dass wir dem Haus nun irgendwas gegeben hätten, dass es sich uns anpasst. Also, es war so, als hätten wir ein Talent entdeckt in gewissem Maß und nicht einen Schauspieler oder eine Handlungsperson gesucht.

Hettinger: Ich war ganz angetan davon, welche ästhetischen Komponenten dieser Film bietet. Einerseits ist er sehr klar gegliedert, diese fünf einzelnen Episoden, auf der anderen Seite fragt man sich auch – gerade auch durch diese langsamen Einstellungen auf die Gesichter, die dann plötzlich ihrerseits wie Landschaften wirken: Was ist denn jetzt die Person, was ist die Landschaft? Und man fragt sich dann irgendwann ganz drängend: Was sind das für Leute, welche Identität, welche Persönlichkeit steckt dahinter, wofür stehen die? Hat dieser Film auch in seiner tastenden, sehr sorgfältigen Aura etwas zu tun mit einer Suche nach Identität im weitesten Sinne?

Antoniak: Der Film "Nothing Personal" stellt vor allem eine sehr wichtige Frage, und die besteht für mich darin, wie viel man von einem Menschen wissen muss, wie viel man über seine Person, über sein Leben, über seine Geschichte wissen muss, um ihn zu mögen, um mit ihm zu fühlen, um Empathie zu spüren. Wir präsentieren hier zwei Menschen ohne Vergangenheit und alles, was der Zuschauer über sie erfährt, geschieht während des Films.

Es ist gut, dass Sie sagen, ihre Gesichter erscheinen wie Landschaften. Die Vergangenheit ist ja, wie gesagt, für uns kein Thema, deswegen finde ich, dass man sozusagen die Gefühle der Menschen an den Gesichtern abliest. Wir erforschen sozusagen die Gefühle und die Gesichter der Menschen in diesem Film. So kann man vielleicht auch "Nothing Personal" als eine Metapher der Erfahrungen der Zuschauer des Films bezeichnen, denn man weiß "nothing personal", nichts Persönliches über diese beiden Protagonisten.

Das Publikum fühlt sich diesen beiden aber trotzdem sehr nahe, also es scheint auszureichen, diese als Menschen zu zeigen. Es ist ja ein Film, der komplett die Regeln des Hollywood-Kinos zum Beispiel ignoriert. Es gibt keine Einführung der Charaktere, keine Einführung der Motivation ihres Handelns. Es ist darüber nichts bekannt, und trotzdem stellt sich diese Nähe ein.