"Die Hälfte der Sitze, das wäre Gleichberechtigung"

Christine Hohmann-Dennhardt im Gespräch mit Frank Meyer · 11.11.2010
Christine Hohmann-Dennhardt, seit elf Jahren Mitglied des Ersten Senats in Karlsruhe, fordert mehr Frauen am Bundesverfassungsgericht. Wenn sie und ihr männlicher Kollege demnächst ausscheiden, sollten zwei Frauen als Nachfolgerinnen gewählt werden, sagt die Juristin.
Frank Meyer: "Ich bin stolz darauf, eine Quotenfrau am Bundesverfassungsgericht zu sein", das hat Christine Hohmann-Dennhardt gesagt. Sie ist seit elf Jahren Richtern am Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts, dem sogenannten Schneewittchen-Senat, weil da eine Frau und sieben Männer Recht sprechen. In der nächsten Zeit sind fünf Richterstellen am Bundesverfassungsgericht neu zu besetzen, drei neue Richterinnen und Richter wurden heute Vormittag vom Bundestag gewählt, und darüber wollen wir reden mit Christine Hohmann-Dennhardt. Seien Sie herzlichen willkommen!

Christine Hohmann-Dennhardt: Guten Tag, Herr Meyer!

Meyer: Warum sind Sie denn stolz darauf, eine Quotenfrau an diesem höchsten deutschen Gericht zu sein?

Hohmann-Dennhardt: Ich betone das immer wieder, weil manche Frauen ja den Eindruck haben, wenn über Quoten geredet wird, dass das dann Frauen diskriminieren würde, und ich sehe das nicht so. Bisher haben wir gerade in Spitzenpositionen immer Quotenmänner, nämlich fast 100 Prozent. Und wenn da mal eine Quotenfrau hineinkommt und dann auch mitmischen kann, dann halte ich das für gut, und insofern bin ich auch stolz darauf.

Meyer: Warum gibt es überhaupt so wenig Richterinnen am Bundesverfassungsgericht, hat das irgendetwas zu tun damit, dass es nicht genug qualifizierte Bewerberinnen gebe?

Hohmann-Dennhardt: Das glaube ich nicht. Sie müssen diejenigen, die die Richter wählen, fragen, warum es so wenig gibt. Ich glaube, es hängt maßgeblich auch vom Willen ab, ob man sich vornimmt, etwas mehr für Gleichberechtigung zu tun und dann nach Frauen zu suchen. Die Erfahrung lehrt, auch im Blick in die Vergangenheit: Jedes Mal, wenn man eine Frau küren wollte im Bundesverfassungsgericht, man dann auch eine geeignete und gute Frau gefunden hat.

Meyer: Und wie haben Sie das geschafft, Frau Hohmann-Dennhardt, mussten Sie auf dem Weg dahin, mussten Sie immer doppelt so brillant sein wie ein Mann?

Hohmann-Dennhardt: Ich will mal sagen, genauso wie andere Frauen muss man auf einem Weg, den ich ja auch gemacht habe, in Zeiten, in denen noch große Skepsis herrschte gegenüber Frauen mit beruflichen Karrieren, musste man schon unter Beweis stellen, dass man qualifiziert ist. Und wenn man Fehler gemacht hat, wurde es der Fraulichkeit dann eher zugeschrieben als, wie bei männlichen Kollegen, oftmals zu sagen: Na ja, er hat heute mal einen schlechten Tag.

Meyer: Sie in Ihrem Schneewittchen-Senat, wie das immer etwas spöttisch genannt wird, also im Ersten Senat, waren eben die einzige Frau unter lauter Männern – haben Sie denn Unterschiede festgestellt während Ihrer Tätigkeit dort im juristischen Denken von Frauen und Männern oder auch in den juristischen Interessen?

Hohmann-Dennhardt: Zunächst einmal, als ich anfing im Ersten Senat, waren wir drei Frauen, und das war ein sehr schönes Team insgesamt. Wir konnten uns ein wenig die fraulichen Bälle zuspielen.

Meyer: Das haben Sie auch getan, Sie haben sich verbündet sozusagen.

Hohmann-Dennhardt: Ach, da muss man sich nicht vorher verbünden, sondern ich sag mal, es sind Verstärkungen: Frauen haben zum Teil andere Sichtwesen, bringen andere Aspekte mit in die Diskussion, und da kann man sich gegenseitig unterstützen, wenn man ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Frauen sprechen ja kein anderes Recht in dem Sinne. Sie sind gebunden an dasselbe Gesetz, sie kennen ihr Handwerk als Juristin und versuchen, damit auch zu bestechen und zu brillieren.

Was anders ist, sind wie gesagt die Erfahrungen, die Frauen einbringen in eine solche juristische Diskussion. Und so ist die Entscheidungsgrundlage, die man hat, auch größer in einem solchen Gremium. Sehen Sie, wenn jemand aus der Wissenschaft kommt oder aus einer Gerichtsbarkeit, der bringt ja auch jeweils unterschiedliche Perspektiven mit. Und die Sozialisation von Frauen, insbesondere solchen, die die Doppelrolle von Beruf und Familie auf sich genommen haben und die da ganz spezifische Erfahrungen auch gemacht haben, die einzubringen, ist halt wichtig und bereichernd.

Meyer: Können Sie uns das an einem Beispiel noch mal erklären, wo tatsächlich soziale Erfahrungen von Frauen in Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes eingeflossen sind in Ihrer Zeit?

Hohmann-Dennhardt: Ja – wir hatten zum Beispiel zu entscheiden, ob denn die Art und Weise der Bezahlung von Mutterschaftsgeld sich auf Frauen und deren Einstellungen in Betriebe auswirkt. Das war eine Frage der mittelbaren Diskriminierung, nicht der direkten, aber der mittelbaren Diskriminierung von Frauen. Wenn Arbeitgeber dieses Mutterschaftsgeld zu zahlen haben, dann scheuen sie vielleicht eher davor zurück, Frauen einzustellen im gebärfähigen Alter. Und dieses herauszuarbeiten, zu sagen, hier kann eine mittelbare Diskriminierung vorliegen durch eine bestimmte Rechtskonstruktion, darauf sind die Frauen als Erstes im Senat gekommen.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen mit Christine Hohmann-Dennhardt, sie ist Richterin am Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts, eine von derzeit drei Richterinnen am höchsten deutschen Gericht. Frau Hohmann-Dennhardt, Sie haben, soweit ich weiß, ein großes Vorbild: die erste und lange Zeit einzige Bundesverfassungsrichterin Erna Scheffler. Was hat Erna Scheffler denn an dieser Stelle im Bundesverfassungsgericht tun können für die Gleichberechtigung in Deutschland?

Hohmann-Dennhardt: Erna Scheffler war eine der ersten Juristinnen, die Richterinnen wurden, im Deutschen Reich noch. Sie wurde verfolgt, sie durfte diese Tätigkeit nicht ausüben während der Nazizeit, war dann eine der ersten Richterinnen wieder in der Bundesrepublik, hat sich ganz massiv für die Gleichberechtigung von Frau und Mann eingesetzt. Und als sie dann auf den Richterstuhl kam, hat sie dafür gesorgt, dass das, was in unser Grundgesetz geschrieben wurde – der Artikel 3 Absatz 2, der sagt: Männer und Frauen sind gleichberechtigt –, dass dieser Satz auch von den Gerichten und vom Gesetzgeber ernst genommen wird. Es gibt eine Entscheidung ganz zu Beginn der Tätigkeit des Verfassungsgerichts, wo dieses sehr deutlich zum Ausdruck gekommen ist und insofern dann auch dem Gesetzgeber Beine gemacht hatte also. Und das als einzige Frau in einem solchen Gremium zur damaligen Zeit: Alle Achtung, Chapeau!

Meyer: Was war das für eine Entscheidung, die Sie gerade angesprochen haben?

Hohmann-Dennhardt: Das war die Entscheidung, ob denn das Familienrecht, das sehr viele Normen hatte zur damaligen Zeit, die gegen die Gleichberechtigung verstießen, ob dieses Familienrecht überhaupt noch Anwendung finden darf. Ein Gericht, das OLG Frankfurt, hatte dem Verfassungsgericht diese Frage vorgelegt, und das Verfassungsgericht hat eindeutig gesagt, dass Artikel 3 Absatz 2 nicht nur irgendwie ein Gebot an den Gesetzgeber ist, sondern unmittelbar wirkendes Recht, und dass familienrechtliche Normen, die gegen den Gleichberechtigungsparagrafen verstoßen, damit verfassungswidrig und nichtig sind und von den Gerichten nicht mehr angewandt werden dürfen.

Meyer: Das heißt, Erna Scheffler ist sozusagen ein historisches Beispiel dafür, dass es schon wichtig ist, ob in so einem Gremium wie dem Bundesverfassungsgericht eine Frau oder ein Mann sitzt?

Hohmann-Dennhardt: Ganz bestimmt. Sie hat die Entscheidung natürlich nicht alleine getragen, sondern konnte die Kollegen überzeugen, aber sie saß auf dem familienrechtlichen Stuhl im Gericht, im Senat, sie hat die Vorlage erarbeitet, also das Votum erstellt, und sie hatte so viel Überzeugungskraft, dass alle mitgezogen haben und eine solche ganz maßgebliche Entscheidung für die Bundesrepublik getroffen haben.

Meyer: Wenn wir mal über das Verfassungsgericht und die Rechtsprechung hinausschauen: Sie haben sich auch geäußert zu anderen Themen, zum Beispiel Elterngeld – das kommt ja, die Neuregelung des Elterngeldes, bei den Männern einigermaßen an, jedenfalls besser, als es erwartet wurde, aber die Männer nehmen doch meistens nur diese zwei Mindestmonate, die sie sozusagen neben müssen, damit das ganze Geld fließt. Ihr Vorschlag ist nun, das Elterngeld halbe-halbe aufteilen, damit die Väter sieben Monate zu Hause bleiben und die Frauen sieben Monate zu Hause bleiben – weil sie denken, man muss da die jungen Väter zu ihrem Glück zwingen?

Hohmann-Dennhardt: Es geht ja nicht um zwingen, man muss es nicht machen. Ich glaube aber, dass wenn wir von Gleichberechtigung reden, es auch um die Gleichberechtigung der Männer geht, nicht nur der Frauen. Die Frauen haben immerhin es geschafft, zwei Rollen miteinander zu verbinden. Männern wird eigentlich nur der Berufsweg zugewiesen, und das in Ausklammerung immer noch – unter den arbeitsrechtlichen Bedingungen, unter denen wir leben – immer noch in Ausklammerung der Kinder und der Familie.

Und ich glaube, gerade jüngere Väter zeigen doch sehr deutlich, dass sie da durchaus auch eigene Ansprüche und Wünsche haben. Insofern sollten sie Unterstützung finden. Und wenn es gesetzlich ermöglicht wird, ein halbes Jahr auch Elterngeld zu beziehen für Männer, dann haben Männer vielleicht mehr den Mut und es wird mehr üblich, dass Männer auch diese Zeit sich in ihrem Kind widmen können. Das wäre doch von Vorteil für Männer, oder nicht?

Meyer: Würde ich sagen, aus meiner Sicht ganz unbedingt. Frau Hohmann-Dennhardt, Sie müssen im kommenden Jahr nun nach zwölf Jahren Ihren Platz im Bundesverfassungsgericht räumen, es ist aber nicht ausgemacht, dass Ihnen dann eine Frau nachfolgt, oder?

Hohmann-Dennhardt: Ich hoffe doch sehr. Ich gehe davon aus, dass die Politik so klug sein wird, diesmal nicht nur eine Frau in den Ersten Senat zu schicken, sondern zwei Frauen. Zwei scheiden aus, meine Kollege Bryde und ich, und ich wünsche mir und bin guten Mutes, dass jetzt zwei Frauen einziehen in den Ersten Senat. Dann haben wir wenigstens im Zweiten und im Ersten Senat jeweils zwei Frauen. Wir waren mal fünf, es könnten aber auch sechs oder sieben oder acht sein. Bei acht hätten wir die Hälfte der Sitze, das wäre Gleichberechtigung.

Meyer: Heute wurden zwei neue Richterinnen und ein Richter für das Bundesverfassungsgericht gewählt. Die Frauenquote am höchsten Gericht ist aber nach wie vor stark ausbaufähig. Darüber haben wir gesprochen mit Christine Hohmann-Dennhardt, im Moment im Schneewittchen-Senat des Bundesverfassungsgerichts die einzige Richterin neben sieben Männern. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!

Hohmann-Dennhardt: Ich danke auch, Herr Meyer!
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