Die Gütersloher Nebenregierung

31.08.2010
Im September wird der Bertelsmann-Konzern sein 175-jähriges Bestehen mit einem Festakt begehen. Eines dürfte dort kaum Thema sein: die seit Längerem umstrittene Verquickung zwischen dem Konzern und der gleichnamigen gemeinnützigen Stiftung. Pünktlich zum Jubiläum liefert der Journalist Thomas Schuler eine Analyse der Machtstrukturen in Gütersloh. Sein Fazit: Die Bertelsmann-Stiftung arbeitet alles andere als selbstlos – auf Kosten des Gemeinwohls.
Gemeinnützige Stiftungen, die Unternehmen verbunden sind, dienen oft nur nachrangig dem öffentlichen Wohl. Möglich wird dies durch Lücken im deutschen Stiftungsrecht. Welche Dimensionen dieser allgemein bekannte Missstand annehmen kann, zeigt Thomas Schuler an dem wohl einzigartigen Beispiel der Bertelsmann-Stiftung. Gleich in zweifacher Hinsicht stellt er deren (vorgeblich) gemeinnütziges Handeln infrage und belegt dies mit Fakten, die er in jahrelangen Recherchen zusammengetragen hat.

Stichwort Geld. Dass Stiftungen (auch) der legalen Steuerersparnis dienen, ist Teil des Spiels. Im Fall Bertelsmann geht es jedoch um mehr. Schuler rechnet vor, wie Stiftungsgründer und Bertelsmann-Konzernchef Reinhard Mohn von Anfang an hohe Beträge vorausschauend vor dem Fiskus sicherstellt. Um die Erbschaftssteuer zu umgehen, überträgt er der Stiftung die Mehrheit des Konzernkapitals, behält aber selbst die Stimmrechte. Rund zwei Milliarden Euro Erbschaftssteuer kann er damit sparen, während beide, Stiftung und Unternehmen, in der Hand der Familie Mohn bleiben.

Weitere Konstruktionen ermöglichen es außerdem, Millionenbeträge zwischen Stiftung und Konzern so zu verrechnen, dass die Steuer niedrig bleibt. In der Summe gibt die Stiftung weit weniger für ihre Arbeit aus, als sie den Fiskus kostet.

Doch es ist nicht nur das Geld. Wie keine andere Stiftung versuchen die Gütersloher, Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen. "Weniger Staat, mehr Wettbewerb" lautet die Stoßrichtung, mit der sie unzählige Forschungsprojekte anschieben. Thomas Schuler beschreibt akribisch, wie die Stiftung gleichzeitig die Nähe zu Politikern sucht und findet und schließlich ihre Ideen in bundesdeutsche Politik einfließen lässt: Das Hochschulfreiheitsgesetz in Nordrhein-Westfalen, die Agenda 2010 mit ihren umstrittenen Hartz IV-Regelungen, die Privatisierung kommunaler Verwaltungen – all das trägt die Handschrift der gemeinnützigen Bertelsmann-Stiftung.

Das Problem: Damit bereitet sie theoretisch vor, was die Bertelsmann AG später kommerziell nutzen kann, etwa, wenn sie Kommunen private Dienstleistungen anbietet. Der Skandal ist die Verquickung von gemeinnütziger Stiftung und kommerzieller Umsetzung. Am deutlichsten wird dies, als die Stiftung Ende der 1990er Jahre eine neue Medienordnung für Deutschland fordert (und scheitert) – und das, obwohl sie mit der Bertelsmann AG Europas größten Medienkonzern im Rücken hat.

Schuler überzeugt mit Fakten und mit seiner Forderung nach der Unabhängigkeit der Stiftung vom Unternehmen Bertelsmann. Dort hat man die Kritik des Journalisten umgehend zurückgewiesen. Die Fakten wurden bislang nicht widerlegt.

Informationen zum Autor:
Thomas Schuler, geboren 1965, Absolvent der Columbia Journalism School in New York, lebt und arbeitet als freier Journalist in München. Er schreibt unter anderem für die Süddeutsche Zeitung und Berliner Zeitung. Er ist Autor der erfolgreichen Familienbiografien "Die Mohns" (2004) sowie "Strauß" (2006) und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Medienimperium Bertelsmann.

Besprochen von Vera Linß

Thomas Schuler: Bertelsmannrepublik Deutschland. Eine Stiftung macht Politik
Campus Verlag 2010
304 Seiten, 24,90 Euro


Links:
Taz.de: Streit um "Bertelsmannrepublik Deutschland"
Stellungnahme der Bertelsmann-Stiftung zum Buch
Nur im eigenen Interesse
Thomas Schuler: "Bertelsmannrepublik Deutschland". Campus Verlag
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