Die Grundsteinlegung Europas

    Von Winfried Sträter · 22.03.2007
    Die Montanunion zur Zusammenarbeit in Kohle und Stahl bestand seit 1951, doch der europäische Plan von einer gemeinsamen Verteidigungsgemeinschaft war ein Jahr später geplatzt. Jetzt, im März 1957, entsteht die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und legt damit die Ausprägung der späteren EU als Wirtschaftsverbund fest. Die Stimmung bei der EWG-Gründung war seltsam gebremst - gilt sie doch als Grundsteinlegung Europas.
    "Noch vor kurzem erschien die Einigung, die wir jetzt vertraglich festlegen, vielen nicht wahrscheinlich."

    Rom am 25. März 1957. In der einstigen Hauptstadt des Römischen Reiches, das weite Teile des antiken Europa erobert, aber auch kultiviert hatte, war Bundeskanzler Konrad Adenauer zufrieden, aber nicht in Jubelstimmung.

    "Nach dem großen Anfang schien vielfach der Wille, Europa zu schaffen, zu erlahmen. Aber die Optimisten haben Recht behalten."

    Das waren bemerkenswert nüchterne Worte angesichts eines Ereignisses, das heute als Grundsteinlegung Europas gefeiert wird. Damals jedoch war die Unterzeichnung der Römischen Verträge erst einmal nur ein Ausweg aus der Krise, in die Europa nach hoffnungsvollen Anfängen gerutscht war. 1951 war die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl gegründet worden – ein erster großer Schritt, um eine Wirtschaftsgemeinschaft aufzubauen. Ihr sollte die Verteidigungsgemeinschaft EVG folgen – ein Schritt auf dem Weg zur politischen Gemeinschaft.

    Kontinentaleuropa, das heißt: Frankreich, Italien, die Beneluxstaaten und die Bundesrepublik waren auf dem Weg, den Traum von der europäischen Einigung zu erfüllen. Gewissermaßen eine kleineuropäische Lösung diesseits des Eisernen Vorhangs. Doch dann bereitete die französische Nationalversammlung Europa eine Niederlage, die bis heute nachwirkt: 1952 lehnte sie die EVG ab. Damit war nicht nur die Europäische Verteidigungsgemeinschaft erledigt: Auch der Traum von einer schnellen politischen Integration war geplatzt.

    Ausschnitt aus Reportage: "Heute morgen begrüßte mich das siebenjährige Töchterchen meiner Nachbarn ganz besonders freudig und rief mir zu: Andiamo vacanza oggi! Wir haben heute schulfrei! Perché fanno le Europa. Weil sie Europa machen."

    Das war nett erzählt vom Rundfunkreporter - an dem Tag, an dem die Römischen Verträge unterzeichnet wurden. Doch die Wirklichkeit war nicht so einfach. Fünf Jahre hatte es gedauert, bis sich die Europäer nach dem EVG-Schock wieder berappelt hatten. Seit 1952 stand Europa nur noch auf dem wackligen Bein der Kohle- und Stahlgemeinschaft. Das war auf die Dauer zu wenig. Vor allem auf Druck der Beneluxstaaten unternahmen die 6 verbündeten Länder im Zentrum Europas 1955 einen neuen Anlauf, um die wirtschaftliche Integration weiter zu treiben.

    Die Verhandlungen waren schwierig, da die nationalen Interessen sehr verschieden waren. Die Bundesrepublik wollte für ihre Industrie den Binnenmarkt, Frankreich hatte Angst vor der starken bundesdeutschen Konkurrenz, wollte aber, was die Deutschen weniger interessierte, eine gemeinschaftliche Entwicklung der Kernenergie.

    Immerhin: Sie rauften sich zusammen, und innerhalb von weniger als zwei Jahren lagen unterschriftsreife Verträge vor, um eine Atomgemeinschaft und eine Wirtschaftsgemeinschaft ins Leben zu rufen, mit einem gemeinsamen Markt ohne Zollschranken als Herzstück.

    "Die Verträge sind umfangreich und verwickelt. Die Fülle der modernen wirtschaftlichen und technischen Probleme hat das notwendig gemacht. Wir dürfen aber nicht vor den Einzelheiten das wahrhaft Große des erreichten Fortschrittes übersehen."

    Das bemerkte Konrad Adenauer lakonisch nach der Zeremonie am 25. März 1957 in Rom. Das Vertragswerk war höchst kompliziert; auch die künftigen Entscheidungswege waren verschlungen, weil die nationalen Regierungen das letzte Wort behalten wollten. Rudolf Augstein bezeichnete im "Spiegel" die EWG verächtlich als "Zollverein" und argwöhnte:

    "Jetzt rundet sich der Tanz beamteter Illusionen, wieder soll eine wirtschaftliche Institution von zweifelhaftem Funktionswert wie von Zauberhand Europa schaffen."

    Doch allen Unkenrufen zum Trotz erwies sich die Gründung der EWG als Befreiungsschlag. Die Römischen Verträge überwanden die Krise Europas und schufen die Voraussetzung für eine beispiellose wirtschaftliche Erfolgsgeschichte, die schließlich auch die politische Integration vorangebracht hat.

    Walter Hallstein, der erste Kommissionspräsident der EWG, war nicht zu Unrecht fasziniert, dass es nach den Dramen der europäischen Geschichte möglich war,

    "..ein Unternehmen von der Verwegenheit, von dem Mut einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in einer so verhältnismäßig kurzen Zeit zu Wege zu bringen."