"Die Gründe für den Abwurf waren keine militärischen"

Florian Coulmas im Gespräch mit Marcus Pindur · 06.08.2010
Florian Coulmas, Direktor des Deutschen Instituts für Japanstudien in Tokio, erinnert an den Atombomben-Abwurf auf Hiroshima vor 65 Jahren. Die USA hätten damit demonstriert, dass sie im Besitz einer neuen Waffe seien, sagte Coulmas.
Marcus Pindur: Heute genau vor 65 Jahren um 8.15 Uhr örtlicher Zeit zuckte ein gigantischer Lichtblitz über die japanische Stadt Hiroshima. Gefolgt wurde er von einer gewaltigen Detonation und einer Druckwelle von der Stärke mehrerer Orkane. In einem Radius von 1,6 Kilometern vom Zentrum der Explosion herrschte totale Zerstörung. Die erste Atombombe in einem Krieg war gezündet worden.

Warum musste das sein? War die Entscheidung des amerikanischen Präsidenten Truman, die zum Tod von über 200.000 Menschen letztlich führte, gerechtfertigt? Diese Fragen werden seit Jahrzehnten bereit in den USA und überall auf der Welt debattiert. Wir sind jetzt verbunden mit Florian Coulmas, er ist der Direktor des Deutschen Zentrums für Japanstudien in Tokio. Guten Morgen, Herr Coulmas!

Florian Coulmas: Guten Morgen!

Pindur: Sie haben jüngst ein Buch über den Atombombenabwurf vor genau 65 Jahren in Hiroshima veröffentlicht, zu welchem Schluss sind Sie denn gekommen - musste das sein, diese Bombe abzuwerfen?

Coulmas: Also ich bin sehr deutlich zu dem Schluss gekommen, es musste nicht sein, Herr Pindur, die Gründe für den Abwurf waren keine militärischen, sondern politische.

Pindur: Politische heißt, was sollte damit bezweckt werden?

Coulmas: Es sollte damit bezweckt werden, dass Amerika demonstrieren konnte, die Vereinigten Staaten sind im Besitz einer neuen Waffe, alleine, und sie sind bereit, sie einzusetzen. Denn nach der Kapitulation des Deutschen Reiches zeichnete sich ab, wie die neue Weltordnung aussehen würde, nämlich die ersten Anzeichen des Kalten Krieges waren schon zu bemerken.

Das sieht man insbesondere daran, dass die Regierung Truman die ursprünglich für Juni geplante Konferenz von Potsdam, auf der die Siegermächte die Nachkriegsordnung verhandeln würden, auf Juli verschieben ließ. Der Grund dafür war, dass im Juni noch keine Atombombe einsatzbereit war. So knapp muss man sich vorstellen war diese Entwicklung.

Pindur: Also Sie greifen da die These amerikanischer Historiker aus den 70er-Jahren auf, der sogenannten Revisionisten, es handele sich um ein Signal an die Sowjetunion, mit dem man Stärke demonstrieren wolle. Haben Sie dafür noch irgendwelche andere Belege?

Coulmas: Nun, die amerikanischen Militärs, die an oberster Stelle die Kriegsführung lenkten, inklusive der später zum Präsidenten gewählte General Eisenhower, haben bestätigt, mehrfach, dass um einen militärischen Sieg zu erringen über Japan der Einsatz der Atombomben völlig überflüssig war.

Pindur: Herr Coulmas, Sie leben in Tokio ...

Coulmas: Ja.

Pindur: ... wie geht man denn in Japan mit dem Atombombenabwurf um? Sagt man, das ist ein schlimmes Verbrechen, was an uns begangen wurde oder denkt man auch darüber nach, was die eigene Verantwortung in diesem Krieg war?

Coulmas: Durchaus beides. Und man muss sehen, dass also die amerikanische Sicht der Dinge, dass das unvermeidlich war und das Kriegsende beschleunigt herbeigeführt hat, die ist dank der langjährigen amerikanischen Besatzung Japans bei einem Teil der Bevölkerung durchaus angekommen, wie ja auch international. Das ist die herrschende Sicht der Dinge.

Auf der anderen Seite gibt es viele in Japan, die denken, da ist sozusagen eine Rechnung offen. Und selbst wenn man – was ja zweifellos der Fall ist – eingesteht, dass der japanische Angriff auf Pearl Harbor der Beginn des Krieges mit Amerika war und insofern ein Angriffskrieg war, warum soll man nicht ebenso zugestehen, dass dieser Krieg mit einem Kriegsverbrechen beendet wurde.

Was Nagasaki betrifft, so ist das ganz ohne Zweifel, dass das ein gigantisches Kriegsverbrechen war, was Hiroshima betrifft, da streiten sich die Rechtsgelehrten und die Historiker. Aber es gibt sicherlich in Japan eine starke Fraktion derer, die denken, das war ein großes Verbrechen.

Wenn das nicht gesagt wird, und wenn keine japanische Regierung jemals versucht hat, das geltend zu machen, so hat das rein opportunistische Gründe, sozusagen ein gutes Verhältnis mit Amerika ist mehr wert als die Klarstellung der Verhältnisse gegen Ende des Krieges und eine gerechte Behandlung dieses Tatbestandes.

Pindur: Herr Coulmas, vielen Dank für das Gespräch!