Die Gitarre war ihm in die Wiege gelegt

Von Martin Becker · 09.04.2012
Der Brasilianer Philippe Baden Powell ist sehr vielseitig: Er arbeitet als Pianist, Komponist, Arrangeur und Musiklehrer. Sein Vater Baden Powell de Aquino war einer der berühmtesten Akustik-Gitarristen der Welt.
Das Kulturzentrum "Le Prisme" in Élancourt, einer Kleinstadt in der Nähe von Paris. Philippe Baden Powell sitzt am Klavier und spielt sich vor dem Konzert gemeinsam mit seinem Freund und Musikerkollegen Alexandre Saada warm. Sie lachen viel und machen Späße. Man merkt ihnen die reine Freude an ihrer Musik an. Kurze Zeit später sitzt Philippe Baden Powell entspannt im Sessel, trinkt ein Bier und wartet auf den Beginn des Konzerts. Philippe Baden Powell wurde 1978 in Paris geboren – aufgewachsen ist er einige Jahre lang allerdings in Deutschland. Und die Sprache ist ansatzweise geblieben:

"Das war ja ganz toll. Ich hab all mein Deutsch vergessen, aber ich weiß, wie man ein bisschen spricht. Ich mag Deutschland sehr gern und es gefällt mir sehr, nach Deutschland zu gehen und zu spielen."

Schon im Alter von vier Jahren, erzählt Philippe, beschließt er, Musiker zu werden: Er lernt Gitarre. Ausgerechnet das Instrument, das Philippes Vater berühmt gemacht hat: Der Brasilianer Baden Powell de Aquino gehört bis heute, auch rund elf Jahre nach seinem Tod, zu den bekanntesten Akustikgitarristen der Welt.

Mit seinem Wunsch, Musiker zu werden, folgte Philippe einer langen Familientradition: Sein Großvater war Violinist, sein Urgroßvater Bandleader. Der bekannteste Musiker der Familie, dessen Kompositionen wie "Berimbau" oder "Tempo de Amor" weltberühmt sind, war sein Vater: 1983 entschied Baden Powell, sich mit seiner Familie vom zermürbenden, alkoholgeprägten Musikerleben mit vielen Tourstrapazen zurückzuziehen – ausgerechnet im süddeutschen Baden-Baden fand er sein Refugium. Und der Sohn Philippe einen Ort, an dem er sein frühes, musikalisches Talent in Ruhe entwickeln konnte:

"Ich hatte sehr großes Glück, aus einer Musikerfamilie zu kommen und durch meinen Vater früh mit wichtigen Musikern in Kontakt gekommen zu sein. Mein Vater war bekannt und hat mir immer die Wege gezeigt, denen ich folgen konnte. Zufall war es also gerade nicht, dass ich Musiker geworden bin."

Philippe Powell, klein und zurückhaltend, dunkle Augen und krauses Haar, denkt über seine Antworten lange nach. Er wirkt mal distanziert, mal ironisch – und man kann nicht sagen, ob er sich während des Interviews wirklich wohl fühlt. Aber dann erzählt er doch – und lächelt. Besonders, wenn er an seine Zeit in Deutschland denkt. Dort hat er schon früh entscheidende Impulse für seine musikalische Entwicklung bekommen. Ausgerechnet durch das Fernsehprogramm, genauer, durch Zeichentrickserien, wie er verschmitzt betont:

"Eines der ersten Dinge, die ich gehört habe, war zum Beispiel der Jingle aus "Familie Feuerstein". Da hab ich gedacht: Verdammt, was ist das jetzt? Ein Orchester? Deswegen liebe ich es beispielsweise, für Orchester zu komponieren."

Bis heute hat Philippe Powell ein bewegtes Leben: Nach sechs Jahren in Deutschland zieht er mit seinen Eltern und seinem Bruder Louis Marcel, heute ebenfalls Gitarrist, nach Brasilien. Immer wieder war er seither zwischen Europa und Südamerika unterwegs, oft blieb er für mehrere Jahre, um dann zum jeweils anderen Ort zurückzukehren. Eins ist klar, sagt Philippe: Ich bin Brasilianer. Das sind meine Wurzeln, daher kommen meine Eltern. Dennoch hat sich Philippe dann doch ganz bewusst für ein Leben in Frankreich entschieden: Vor einigen Jahren zog er mit seiner Frau und seiner Tochter endgültig weg aus Brasilien, um in Paris zu leben:

"Ich wollte nur eins: Zurück nach Europa, um vom kulturellen Leben hier profitieren zu können. Was ich an Brasilien mag, ist etwas anderes: Die Gemächlichkeit, die Warmherzigkeit, die Nächstenliebe."

So sehr er Brasilien auch liebe, das sagt Philippe Powell mit ernsthafter Entrüstung, es gäbe schlichtweg viele Probleme im Alltag. Allein schon einen Brief zu verschicken könne kompliziert sein. Und Konzerte verlangten nicht selten Kompromisse – die man als Pianist vielleicht eingehen könne, aber nicht unbedingt immer eingehen wolle:

"Seit 2005 habe ich kein elektronisches Klavier mehr benutzt. In Europa spiele ich ausschließlich auf akustischen Klavieren. Die Konzertveranstalter in Brasilien können einfach nicht immer einen Flügel anbieten, auch, wenn ausgerechnet Brasilien ein Produktionsland von Instrumenten ist."

Als Musiker hat Philippe Baden Powell viele Dinge gleichzeitig zu tun: Es gibt Tourneen durch Brasilien, Auftritte in Pariser Clubs, Aufnahmen mit südamerikanischen Musikgrößen, dazu gibt er Unterricht in verschiedenen Ländern und komponiert selbst. Viel Zeit bleibt nicht übrig für private Dinge – aber das ist es ja gerade, sagt Philippe, was sein Leben ausmacht:

"Musiker zu sein ist schwierig, weil es sich immer an der Grenze zwischen Beruf und Leidenschaft bewegt. Für mich ist es eine tägliche Entscheidung. Ich stehe jeden Morgen auf und sage mir: Ich bin Musiker."