Die Geschichte vom großen Aufbegehren

26.03.2012
Im 12. und 13. Jahrhundert stellen die Katharer die geltende kirchliche Lehre in Frage. Menschen aus allen Schichten der Gesellschaft vor allem in Frankreich schlossen sich ihnen an. Warum das so war, erklärt äußerst spannend und detaillreich der französische Autor Michel Roquebert.
Sekten, Abspaltungen von der herrschenden Linie, gibt es in jeder monotheistischen Religion, im Christentum nicht minder. Aber warum interessieren wir uns noch immer für die sogenannten Katharer, deren Zeit streng genommen nur 200 Jahre währte und seit gut 700 Jahren vorbei ist?

Darauf gibt der 83-jährige französische Journalist und Autor Michel Roquebert eine politische und eine religionsgeschichtliche Antwort. Erstens, sei das Katharertum und mehr noch der unerbittliche Kampf dagegen eine "wichtige Etappe auf dem Weg zur Entstehung Frankreichs" gewesen. Zweitens, seien die Katharer gar keine Sekte, sondern eine Kirche gewesen, mithin eine "Form des Christentums".

Einführend stellt Roquebert das wichtigste Erkennungsmerkmal der Katharer vor, den Dualismus. Dieser besagt, dass ein und dieselbe Ursache, das heißt Gott, nicht zwei gegensätzliche Wirkungen hervorbringen kann. Nach Auffassung der Katharer ist die sichtbare Welt in sich böse, ihr Schöpfungsprinzip muss sich also von Gott unterscheiden. Die Welt und Gottes Reich schließen einander aus.

Dies widersprach natürlich elementar den Dogmen der herrschenden Kirche in Rom, die von einem einzigen Schöpfer ausgeht. Jahrhundertelang fußte das Wissen über die Katharer in erster Linie auf den Aussagen und Arbeiten der Inquisitoren, also ihrer Gegner; die Geschichte der Katharer ist, wie Roquebert schon in der ersten Zeile feststellt, die Geschichte ihrer Verfolgung. Erst 1939 entdeckte man in Florenz die Zusammenfassung eines katharischen theologischen Werks, des "Liber de duobus principiis", des Buchs der zwei Prinzipien.

So verständlich wie die theoretischen und religionsphilosophischen Passagen, so lebendig und spannend sind die Beschreibungen der dramatischen, oft genug grausamen Ereignisse in jenen 200 Kernjahren. Das reicht von der Anti-Ketzer-Mission Bernhards von Clairvaux 1145 über das grauenvolle Massaker an den Bürgern von Beziers und die Erstürmung der mächtigen Festung Montségur, bis hin zu den vier letzten Katharern, die 1329 in Carcassonne verbrannt wurden. Roquebert macht das sehr geschickt, weil sein Buch dramaturgisch gut aufgebaut ist und weil er den einzelnen Menschen ernst nimmt und ihm ein eigenes Schicksal gibt, wodurch das Buch fast literarisch wirkt: Nicht umsonst ist Roquebert im Languedoc ausgesprochen populär.

Im Gegensatz zu Lothar Baiers wieder aufgelegtem Essay "Die große Ketzerei", der ein erzieherisches, antitotalitäres Ziel verfolgte, will Michel Roquebert die Katharer vor allem vom Stigma der Häresie befreien: Sie seien keine radikalen Gläubigen gewesen, sondern hätten nur eine radikale Lebensführung gehabt. Er ist ein passionierter Lokalhistoriker , der übrigens als Journalist in Toulouse durch die Begegnung mit dem studierten Historiker Jean Duvernoy zu seinem Lebensthema gekommen ist, und er bietet mit seinem Buch eine spannende Ereignisgeschichte, in der er, gestützt auf zahlreiche Quellen, die Abläufe nachvollziehbar und - was nicht selbstverständlich ist - bis zu Ende erzählt.

Besprochen von Peter Urban-Halle

Michel Roquebert: Die Geschichte der Katharer. Häresie, Kreuzzug und Inquisition im Languedoc
Aus dem Französischen von Ursula Blank-Sangmeister, unter Mitarbeit von Erika Ries-Proksch
Mit 36 Abbildungen
Reclam Verlag, Stuttgart 2012
533 Seiten, 39,95 Euro
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