Die Geschichte des Wassers

Kann die Entsalzung von Meerwasser frisches Trinkwasser organisieren?
Kann die Entsalzung von Meerwasser frisches Trinkwasser organisieren? © picture-alliance/ dpa
16.10.2013
Wasser ist der Rohstoff, ohne den der Mensch nicht existieren kann. Aber auch der einzige, der sich der Kontrolle entzieht. In einer Reise über die Kontinente hat der norwegische Historiker Terje Tvedt ein Bild entworfen, wie der zukünftige Umgang mit dem Wasser aussehen könnte.
Im Jahr 813 erfasst eine mächtige Flut den Jangtse-Fluss in China. Die Weisen des Landes erkennen die Ursache in einem Übermaß an weiblich-feuchtem Yin-Prinzip. Kaiser Xianzong greift durch: Er lässt Hofdamen aus dem Palast vertreiben, auf dass die kosmischen Kräfte harmonieren.

Auf welche Ideen Herrscher und Forscher heute verfallen, um sich die Mächte des feuchten Elements untertan zu machen, davon berichtet das Buch "Wasser" von Terje Tvedt. Darin erzählt der norwegische Hydrologe von seinen Reisen in wachsende Wüsten und schwindende Regenwälder, die Quellgebiete des Himalaja und die flachen Weiten der Niederlande, nur zu bewohnen, weil einst Hunderte von Mühlen und heute elektrische Pumpen das Land fortwährend trockenlegen. Das von Andreas Brunstermann in ein dynamisches Deutsch übertragene Buch bietet eine wirklichkeitsnahe Mixtur aus Reisereportage, Frontbericht aus Dürregebieten und Einblicken in megalomanische Bewässerungsprojekte der Zukunft.

Das größte Bauprojekt in der Geschichte der Menschheit
Aktuelle Superlative ersinnt man im Reich der Mitte. Seit Jahrtausenden steht und fällt die Macht der chinesischen Regenten mit ihrer Fähigkeit, der wachsenden Bevölkerung genügend Wasser zu garantieren, erzählt der Autor. Der Drei-Schluchten-Staudamm versenkte gleich mehrere Großstädte im Jangtse. Dennoch könnte er zur Marginalie werden gegen das, was China nun anvisiert: 40 Milliarden Kubikmeter Wasser pro Jahr - das entspricht acht Flüssen von der Größe der Themse - sollen in über- und unterirdischen Kanälen in den trockenen Norden geleitet werden. Es ist das größte Bauprojekt in der Geschichte der Menschheit - halb China ist involviert.

Allerdings könnte der Klimawandel solche Vorhaben Makulatur werden lassen, das macht die Lektüre erschreckend klar. Schon bis zum Jahr 2050 werden sich voraussichtlich über die Hälfte der Himalajagletscher verflüssigt haben. Auf dem Dach der Welt entspringen die großen Ströme Asiens - Indus, Brahmaputra, Ganges, Jangtse und der Mekong, der bis nach Vietnam, Kambodscha, Laos und Thailand fließt. Die Flüsse werden die Wassermassen zunächst in fatalen Überschwemmungswellen in diese Länder ergießen - und danach mangels Gletscherzufluss zu Rinnsalen veröden. Eine Umweltkatastrophe unvorstellbarer Dimensionen geht es hier doch um die Existenz von über einer Milliarde Menschen.

Ist das Wasser nun mächtiger als der Mensch?
Dennoch schafft es der Autor hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken. Die Entsalzung von Meerwasser könne frisches Trinkwasser organisieren und biete eine Lösung gegen die steigenden Meeresspiegel, die die flachen Küstengebiete etwa der Niederlande bedrohen. Sinnvoll erscheint es Terje Tvedt, die Wasserwirtschaft dafür vielerorts in die Hände privater Investoren zu legen, eine politisch höchst umstrittene Frage. So hinterlässt das Buch bei aller Anschaulichkeit und Präzision doch einen leicht widersprüchlichen Eindruck: Ist das Wasser nun mächtiger als der Mensch? Oder werden technische Eingriffe in die Natur uns vor den Folgen eben solcher Eingriffe retten?

Besprochen von Susanne Billig

Terje Tvedt: Wasser. Eine Reise in die Zukunft
Übersetzung von Andreas Brunstermann
Christoph Links Verlag, Berlin 2013
256 Seiten, 19,90 Euro
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