Die Geschichte der Damenkapellen

Frauen haben schon immer Musik gemacht

Damenkapelle in "Adam Weiningers Restaurant und Café" in Wien
Damenkapelle in "Adam Weiningers Restaurant und Café" in Wien © imago
Von Christian Berndt und Ralf Bei der Kellen · 14.03.2018
Es gab Zeiten, in denen musizierende Frauen zwischen Schlangenmenschen und der bärtigen Dame auftraten, also als Kuriosität präsentiert wurden. Vor allem im 19. Jahrhundert zogen sogenannte Damenkapellen von Etablissement zu Etablissement – wobei es nicht nur um die Musik ging.
"Ich saß mit Ruhmann im Volkskeller. Die Damenkapelle spielte. Wir brüteten."
Alexander Roda Roda: "Die Damenkapelle"
"Gesucht für 16. Januar oder 1. Februar eine junge 2. oder 1. Geigerin mit schöner Erscheinung. Für sofort oder zum 16. eine junge Harmoniumspielerin zu erstklassiger Damenkapelle gesucht."
"Die Susi bläst das Saxophon.
Die Susi hat den richt’gen Ton.
Sie hat 'ne feine Musi, die Susi, die Susi."
Dorothea Kaufmann: "Es gab Überlegungen in bürgerlichen Kreisen, dass Instrumente wie Trompeten oder Bass oder Cello absolut nichts für Frauen sind. Für Schlagzeug sind sie zu zierlich, beim Cello machen sie die Beine breit und solche Sachen."
"Schöne, schlanke, elegante Erscheinung Bedingung."
"Eine gute Bläserin kann sich ebenfalls melden."
"Pikkolo! Pikkolo! Obst hergehst, Lausbua?! Siegst das Fräuln oben, die was Cello spielt? Augenblicklich sagst ihr: "Fräuln", sagst ihr, "unten is a Herr", sagst ihr, "in geordnete Verhältnisse, der bietet Ihna Herz und Hand fürs Leben." - "Oder weißt' was, Pikkolo? Sag’s lieber der Trommlerin." (Alexander Roda Roda: "Die Damenkapelle")
Kathrin Lemke: "Ich habe mal in einem peinlichen Saxophon-Damen-Quartett gespielt. Also, bestimmte Damenkapellen, da habe ich auch voll Respekt vor und denke: Wow! Aber das war halt so Gemucke, weißt du, wo: Der Kunde möchte erst einmal einen Rock an der Frau, und der Rest – das sieht man dann."

Die berühmteste Damenkapelle der Kinogeschichte

Es war dieser Satz der Anfang 2016 verstorbenen Saxophonistin Kathrin Lemke, der mich aufhorchen ließ. Schon öfter war ich auf Trödelmärkten und in Antiquariaten auf Postkarten von sogenannten "Damenkapellen" gestoßen. Meist weiß gekleidete, junge Musikerinnen, saßen kerzengerade und züchtig an ihren Instrumenten, während im Hintergrund ein oder zwei streng dreinblickende Herren anscheinend die Aufsicht hatten.
Sucht man im Internet nach dem Begriff "Damenkapelle", wird vor allem auf Filme verwiesen – nicht zuletzt auf Billy Wilders "Manche mögen's heiß".

Sie sind wohl die berühmteste Damenkapelle der Kinogeschichte: Sweet Sue's Society Syncopators mit Sängerin Sugar Kane, gespielt von Marilyn Monroe. "Manche mögen’s heiß" war eine Reminiszenz an die "Roaring Twenties" und eines ihrer ikonografischen Symbole: die Damenkapelle. Der junge Samuel Wilder lebte ab 1916 in einer der Hochburgen der Damenkapellen, in Wien. Später, in Berlin, verdingte er sich zeitweise als Eintänzer, wahrscheinlich hat er Damenkapellen aus eigener Anschauung gekannt.
Im Film "Manche mögen's heiß" (1959) müssen die Musiker Joe (Tony Curtis) und Jerry (Jack Lemmon) vor der Mafia fliehen - und verdingen sich in einer Damenkapelle.
Im Film "Manche mögen's heiß" (1959) müssen die Musiker Joe und Jerry vor der Mafia fliehen - und verdingen sich in einer Damenkapelle.© imago / United Archives

Musikerinnen in der Antike

Band-Musikerinnen waren ein Signum moderner Großstadtunterhaltung. Dabei war die große Zeit der Damenkapellen schon nach dem Ersten Weltkrieg vorbei. Heute sind Frauen als Instrumentalistinnen in der Unterhaltungsmusik im Vergleich zu früheren Zeiten erstaunlich unterrepräsentiert. Dabei zählt der Beruf der Musikerin zu den ältesten, qualifizierten Frauenberufen. Elisabeth Brendel arbeitet im Archiv Frau und Musik in Frankfurt am Main:

Elisabeth Brendel: "810 ist ungefähr Kassia geboren worden, die erste Komponistin, die mit Namen bekannt ist. Man weiß aber auch, dass im alten Griechenland, im alten Rom, in der Antike Frauen auf jeden Fall Musik gemacht haben. Das wissen wir von Abbildungen und von einzelnen Überlieferungen, die erhalten geblieben sind."
Im antiken Griechenland waren die Hetären für musikalische Unterhaltung zuständig, im Mittelalter gab es nicht nur professionelle Instrumentalistinnen, sondern auch bedeutende Komponistinnen – wie Hildegard von Bingen. Die Musikgeschichtsschreibung hat sich allerdings kaum für die musizierenden Frauen interessiert.
"Grundsätzlich kann man sagen, dass Frauen zu allen Zeiten immer Musik gemacht haben, und dass wir darüber weniger Bescheid wissen, ist eine Frage des Blicks", hat Musikwissenschaftlerin Gesa Finke festgestellt.
"Das ist natürlich auch bei den Damenkapellen ein Thema, dass sich die Musikkultur sehr lange auf schriftliche Überlieferungen verlassen hat, und da sind die ersten Zeugnisse von Hildegard von Bingen aus dem 12. Jahrhundert zu verzeichnen. Dass insgesamt von Frauen viel weniger Zeugnisse überliefert sind, das ist auch eine Frage der Erinnerungskultur, die sozusagen Zeugnisse von Männern immer als wertvoller erachtet hat."

Wandermusikerinnen und Spielweiber im Mittelalter

Das gilt besonders für die Unterhaltungsmusik, in der gerade im Mittelalter Frauen sehr aktiv waren:
Gesa Finke: "Es gibt auch eine reiche Musikkultur im weltlichen Bereich im Mittelalter, von Spielweibern und Troubairiz, das Pendant des Troubadours, und da ist natürlich nur sehr wenig überliefert, weil das eigentlich eine mündliche Kultur war."
Als Wandermusikerinnen waren Frauen fester Bestandteil der Unterhaltungskultur bis ins 20. Jahrhundert. Im Bereich der klassischen Musik war es schwieriger, in Orchestern fanden Frauen in der Regel keine Aufnahme, nur wenige konnten als Opernsängerinnen reüssieren.
Von Italien aus breiteten sich im 18. Jahrhundert die ersten musikalischen Ausbildungsstätten für Frauen aus, Konservatorien im modernen Sinne entstanden Anfang des 19. Jahrhunderts. Diese Zeit der beginnenden Industrialisierung bedeutet in mehrerer Hinsicht einen Einschnitt für die Rolle der Frau in der Musik.
Gesa Finke: "Frühe Formationen von Damenkapellen gab es tatsächlich schon Ende des 18. Jahrhunderts, und die gingen aus sogenannten Wanderkapellen hervor. Diese tauchten vor allem in den Anfängen der Industrialisierung auf, denn viele Frauen im handwerklichen Gewerbe haben dann ihre Arbeit verloren und sich nach neuen Erwerbsmöglichkeiten umgesehen und sich zu Damenkapellen zusammengeschlossen."
Die Krise der frühen Industrialisierung bedeutete eine dramatische Veränderung der Arbeitswelt. Frauen wurden häufig als erste aus der gesellschaftlichen Produktion verdrängt, deshalb waren sie eher als Männer gezwungen, nach Alternativen zu suchen. Und das war mancherorts der Musikerberuf, wie Dorothea Kaufmann erzählt, die über das Thema Damenkapellen promoviert hat.
"Man muss sich das so vorstellen, dass die Frauen angefangen haben, zu wandern und sich unter anderem als Wandermusikanten woanders Arbeit zu suchen, während die Männer teilweise noch in der Landwirtschaft, im Bergbau oder in den niederbrechenden Gewerken gearbeitet haben."

Frauen-Ensembles entstehen im Zuge der Industrialisierung

Eine wichtige Rolle für die Verbreitung von Damenkapellen im frühen 19. Jahrhundert spielten drei Musikanten-Städte: Das hannoveranische Salzgitter, das böhmische Preßnitz und das heute thüringische Hundeshagen. Alle drei lagen in vom Strukturwandel besonders betroffenen Regionen. Hier entschieden sich mitunter mehr Frauen als Männer für den Musikerberuf, in Preßnitz, wo eine spezielle Schule für Wandermusikanten gegründet wurde, war das zeitweise ein Drittel der Schulmädchen.
In diesen Städten wurden wahrscheinlich die ersten wandernden Frauen-Ensembles gegründet, aus denen sich dann die professionellen Damenkapellen entwickelten. Zur gleichen Zeit entstanden die modernen Konservatorien, in denen man auch Mädchenabteilungen einrichtete. Hier wurde allerdings eher für den privaten Bereich oder den Lehrer-Beruf ausgebildet. Für Töchter aus gutem Hause galten Kapellen als unschicklich. Während Frauen seit der Antike sämtliche Instrumente erlernen konnten, stand den Schülerinnen der modernen bürgerlichen Konservatorien nur eine sehr eingeschränkte Instrumenten-Auswahl zur Verfügung:
Gesa Finke: "Ich denke schon, dass es einen Bruch gibt in der Moderne, denn mit dem bürgerlichen Geschlechterdiskurs werden bestimmte Instrumente als männlich und weiblich klassifiziert. So schrieb zum Beispiel Carl Ludwig Junker 1783, dass Frauen eher das Klavier, die Laute, die Zither und die Harfe spielen sollten. Daraus entwickelte sich ja auch das Klavier als bürgerliches Instrument par excellence. Das heißt, andere Instrumente wie Blasinstrumente waren ausgeschlossen eigentlich für Frauen, weil dem bürgerlichen Geschlechterdiskurs zufolge sie eben das Gesicht verzerrten oder Streichinstrumente wie Cello oder Kontrabass aufgrund der Haltung eben als nicht sittsam angesehen wurden."

In den Wanderkapellen spielten die Musikerinnen sämtliche Instrumente. Es galt das Lehrlingsprinzip, in der Regel ab dem 14. Lebensjahr begannen die Mädchen eine dreijährige Ausbildung in einer Kapelle und lernten Instrumente, die gerade gebraucht wurden. Der Aufstieg der Damenkapellen erfolgte mit dem Durchbruch der modernen Massen-Unterhaltungskultur Mitte des 19. Jahrhunderts. Aus Schaubuden auf Marktplätzen wurden feste Varieté-Bühnen, Lokale etablierten Unterhaltungsprogramme, und es entstanden Agenturen für Künstlervermittlung.

Dorothea Kaufmann: "Das habe ich die Professionalisierung des Unterhaltungsgewerbes genannt. Und in dem Zusammenhang ist es interessant, wenn sich Damenkapellen auch als solche zu erkennen geben. Dass sie als Besonderheit haben, dass sie viele Frauen sind."
Und das kam an:
Dorothea Kaufmann: "Es gab durchaus eine Nachfrage nach diesen Besetzungen. Es war etwas anderes, wenn eine Damenkapelle spielte oder ein Herrenorchester. Es war ein Publikumsmagnet. Man war neugierig darauf."

"Zwischen lebemännischer Freiheit und bürgerlicher Moral"

Die Damenkapelle wurde zur eigenen Form der musikalischen Unterhaltung. Um 1890 etablierte sich die Formation des Salon-Orchesters, denn für Cafés und Tanzlokale waren kleinere Besetzungen als in Konzertsälen gefragt. Gleichzeitig mussten sie laut genug sein, um den Gastronomiebetrieb zu übertönen - dafür brauchte es Blasinstrumente.
Die Damenkapellen wurden zu einer Attraktion. Deren Wirkung auf das männliche Publikum im Wiener Prater beschrieb 1911 der Schriftsteller Felix Salten so:
"Es ist eine besondere Stimmung in den Wirtsgärten, in denen eine Damenkapelle aufspielt. Irgendwie ist ein Jux dabei, wenn junge Mädchen in weißen Kleidern auf dem Podium sitzen und Musik machen, während man nachtmahlt. Und irgendwie ist es ein Kompromiss zwischen Pikanterie und unterhaltsamem Anstand, zwischen lebemännischer Freiheit und bürgerlicher Moral."
Der Begriff Damenkapelle kam in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf, beschrieb aber nicht nur reine Frauen-Ensembles, sondern auch solche, die mehrheitlich aus Frauen bestanden. Dem Mann kam dabei oft die Dirigenten- und Führungsrolle zu, wie man auf den Werbefotos der Kapellen sehen kann:
Dorothea Kaufmann: "Der Mann in der Mitte als Patriarch. Der hatte ja auch oft die Rolle des Kapellmeisters inne, der die Verträge abschloss und auch ein bisschen als Beschützer fungierte."
Auf den Fotos werden die Männer – bis auf den Dirigenten – zumeist in die hinteren Reihen verbannt. Es gab auch Fälle, in denen Männer Frauenkleider tragen mussten. Im Frankfurter Archiv Frau und Musik gibt es eine Postkartensammlung zu Damenkapellen, und dort finden sich in Bezug auf Geschlechterrollen kuriose Beispiele, wie Elisabeth Brendel vorführt:
"Das ist ja auch ein sehr interessantes Foto. Wir sehen hier mehrere – scheinbar – Damen mit weißen Kleidern, fast mädchenhaft. Steht dick und fett Wiener Damenkapelle drunter. Aber die Körperhaltung spricht nicht für eine Dame, und die Gesichter sind schon sehr männlich. Ist eine gute Frage, ob das eine Scherzpostkarte ist oder der Wiener Humor."

Ein erotisches Spiel mit Frauen in Uniform

Man sieht Musikerinnen im Dirndl, in ungarischen Trachten, oft auch als Matrosen und Soldaten. Aufgrund der wachsenden Bedeutung des Militärs nach der Reichsgründung wurden auch in der Unterhaltungskultur Militärkapellen immer wichtiger, und in Varietés trieb man gerne ein ironisches und erotisches Spiel mit Frauen in Uniform. Damenkapellen versuchten nicht selten, mit Militärkostümen und Marschmusik im Programm an den Erfolg der beliebten Militärkapellen anzuknüpfen.

Mit den Varietés und Tanzpalästen, die im letzten Drittel des 19. Jahrhundert wie Pilze aus dem Boden schossen, etablierten sich die Damenkapellen vollends. Die Musikwissenschaftlerin Margaret Myers sieht in ihnen sogar die wichtigsten Träger moderner, städtischer Kultur. Von 1894 bis 1914 stieg die Zahl der Damenkapellen in Deutschland von 43 auf knapp 300. In Varietés waren mehr Frauen als Männer für die Musik zuständig. Das Fachblatt für Unterhaltungskultur "Der Artist" schrieb 1896:
"Würden die Damen fehlen und nur Herren auftreten, so sind wir sicher, dass der Direktor schlechte Geschäfte machen würde. Der Besuch würde sich mindestens um die Hälfte verringern."
Die "Sudetendeutsche Damenkapelle" im Restaurant "Geschwister Anger"
Die "Sudetendeutsche Damenkapelle" im Restaurant "Geschwister Anger"© imago

"Nur hübsche, große, ansehnliche Damen"

Die Musikerinnen wurden dabei regelrecht zur Schau gestellt. Sie mussten zumeist auf der Bühne in einer Reihe sitzen, obwohl das den Klang negativ beeinflusste, und auch in den Pausen oft auf der Bühne sitzen bleiben, um als Blickfang zu dienen. Ältere Musikerinnen wurden nach hinten gesetzt. In Anzeigen von Varieté-Bühnen, die Damenkapellen suchten, fanden sich – wie hier in einem Gesuch des Tivoli in Eisenach - entsprechende Texte:
"Zur Gründung einer ständigen Damen-Hauskapelle werden für dauernd 1a Musikerinnen gesucht. Nur hübsche, große, ansehnliche Damen wollen umgehend Offerten mit Fotografie senden."
Besonders demütigend war die Animier-Pflicht. Obwohl es gesetzlich verboten war, forderten viele Veranstalter von den Musikerinnen, sich nach dem Konzert zu den männlichen Gästen zu setzen und sie zum Weitertrinken zu animieren. Im "Artist" stand zu lesen:
"Bis oft zur Polizeistunde müssen die armen, zarten Mädchen sitzen bleiben und warten, bis irgendein pomadierter Jüngling durch die so trocken dasitzende Unschuld gerührt wird und zwecks Spendierens gebrauter Flüssigkeiten sich zu näherer Bekanntschaft entschließt."
Musikerinnen, die sich weigerten, drohte Gagenabzug. Es war diese Praxis, die die Damenkapellen oft ins Zwielicht setzte.
Dorothea Kaufmann: "Ich fand es schon sehr erstaunlich, dass in vielen Aufsätzen in dieser Zeitschrift 'Der Artist', dass es da oft um dieses Thema ging: Sind das nun Prostituierte oder nicht? Es sind fließende Grenzen, wenn es solche Arbeitsbedingungen gibt, dass die Frauen dazu angehalten werden zu animieren.Und es ist auch durchaus vorgekommen, dass die Frauen im Publikum Geld gesammelt haben, um etwas dazuzuverdienen zur Gage."

Ständig unterwegs, ständig auf Reisen

In Hamburg mussten Musikerinnen eine Unbedenklichkeitserklärung der Sittenpolizei vorlegen, um zu beweisen, dass sie keine Prostituierten sind. Immer wieder gab es den Vorwurf der Sittenlosigkeit, in Dresden forderten Musikvereine ein Verbot von Damenkapellen. Und auch der Begriff Damenkapelle selbst weckte negative Assoziationen, wie die Musikwissenschaftlerin Gesa Finke meint:
"Das Wort Dame war im 19. Jahrhundert auch ironisch gebräuchlich für Frauen unterer Gesellschaftsschichten und eben auch Prostituierte. Das Wort Kapelle ist seit dem 19. Jahrhundert eher eine Bezeichnung für Laienensembles und Ensembles aus dem Unterhaltungsbereich. Das heißt, die sind grundsätzlich gesellschaftlich weniger angesehen als Berufsorchester, und deshalb würde ich schon sagen, in einem doppelten Sinne ist damit eine Abwertung verbunden."
Die meisten Damenkapellen tourten, Engagements dauerten in der Regel nicht länger als zwei Wochen. Für die abendfüllenden Programme mussten sie ein Repertoire von knapp 300 Stücken aufweisen. Es war Knochenarbeit: Vormittags Probe, vom späten Nachmittag bis in die Nacht Auftritt, an Sonntagen zusätzlich Mittagskonzerte. Kost und Logis, die vom Veranstalter gestellt wurden, waren oft erbärmlich.
"Da kriegten die Kapellen, wie es mir passiert ist, zu Mittag Würste voller Würmer. Und die Betten waren voller Schmutz, ja, es graut mir zu beschreiben, was ich sonst noch alles in den Betten vorgefunden habe."
Das berichtete eine Musikerin 1897 im "Artist". Die Damenkapellen waren eine solche Attraktion, dass sie auf ausgedehnte Tourneen in alle Welt, nach Afrika, Sibirien, Korea oder Australien gingen. Das Elite Orchester Quinta reiste bis nach Lima. Mitunter waren die Frauen jahrelang unterwegs. Trotz dieser Mühen hatte der Beruf aber seine Attraktivität:
Dorothea Kaufmann: "Wenn man es ausgehalten hat, jede zweite Woche woanders zu sein, dann war es bestimmt ein faszinierender, toller Beruf. Es konnten sich nicht viele Leute leisten zu reisen. Sie waren relativ unabhängig – beruflich gesehen – insofern, weil sie die Engagements nur kurz hatten. Wenn ihnen ein Arbeitgeber blöd kam, konnten sie sagen, wir sind bald wieder weg. Ein Dienstmädchen war auf Gedeih und Verderb auf seinen Dienstherren angewiesen."

Damenkapellen als Vorreiter der Emanzipation

Der Verdienst lag, auch wenn die Männer fast das Doppelte bekamen, über dem von Fabrikarbeiterinnen oder Schreibkräften. Außerdem konnten Musikerinnen, wenn sie mit Männern aus den Kapellen verheiratet waren, ihre Kinder mitnehmen. Ehepaare waren keine Seltenheit in Damenkapellen. Zwar traten viele Frauen, wenn sie heirateten, aus den Kapellen aus – weshalb die Ensembles im Durchschnitt sehr jung waren. Trotzdem waren die Damenkapellen in gewisser Weise auch Vorreiter der Emanzipation.
Gesa Finke: "Einerseits konnten Frauen sozusagen rollenkonform damit umgehen, indem sie solange nur in dem Orchester spielten, solange sie ledig waren. Andererseits muss man sagen, dass sie, wenn sie länger im Orchester tätig waren, meistens auch brechen mit ihrer Herkunft und auch anecken und auch einen emanzipatorischen Anspruch damit darstellen."
Aber die Damenkapellen wurden nicht zum Vorbild der Emanzipation. Anders als die ebenfalls in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstehenden Frauen-Orchester, in denen sich klassisch ausgebildete Musikerinnen zusammenschlossen und von denen einige – wie das Damenorchester Josephine Ammann-Weinlich – weltberühmt wurden, hatten Damenkapellen einen halbseidenen Ruf. Damit schienen sie für den Kampf um Frauenrechte ungeeignet. Dabei spielte Musik für die Emanzipationsbewegung durchaus eine Rolle.
Gesa Finke: "Vor allem, als die Frauenbewegung Ende des 19. Jahrhunderts Fahrt aufnimmt, und Frauenorchester tatsächlich auch als Form der Emanzipation wahrgenommen und auch genutzt worden sind. Es gab zum Beispiel Ethel Smyth, eine Komponistin, die als Suffragette tätig war, und die ein Frauenorchester gründete, um ihre politischen Ziele damit durchzusetzen."
In den Zwanzigerjahren leitete mit Edith Lorand eine Frau eines der berühmtesten Tanzorchester der Weimarer Republik. Aber die große Zeit der Damenkapellen war nach dem Ersten Weltkrieg vorbei. Ihre Anzahl betrug am Ende der Weimarer Republik weniger als zehn Prozent des Vorkriegsstandes. In den wirtschaftlichen Krisenjahren und mit Beginn des Tonfilms wurden Musikerjobs knapp, und die Frauen verdrängte man als erste aus dem Unterhaltungsbereich. Zugleich entwickelten sich in den Zwanzigerjahren neue Berufsfelder für Frauen, die den Musikerinnenberuf weniger reizvoll aussehen ließen. Und das Bild der Damenkapellen wandelte sich, sie wurden nun zu Show-Bands mit eher frivolem Charakter, wie man auf den Postkarten-Fotos von Damenkapellen aus den Zwanzigerjahren sehen kann. In der Nazi-Zeit wuchs die Zahl der Damenkapellen zunächst, aber sie verloren ihren Ensemble-Charakter:
Dorothea Kaufmann: "Der Star der Kapelle wurde hervorgehoben, und – das fand ich erstaunlich – die Kapellen wurden an sich auch sehr viel kleiner, es gab sehr viel weniger Musikerinnen."
Für die Dirigentin und Musikwissenschaftlerin am Frankfurter Archiv Frau und Musik, Mary Ellen Kitchens, haben sich Frauen in der Kaiserzeit in einer Weise musikalisch entfaltet, die nie wieder erreicht wurde.
"Auf der anderen Seite war es natürlich ganz fantastisch, dass Frauen auf die Bühne gekommen sind, zum Teil mit Instrumenten, die bis heute Frauen wenig spielen. Man findet ja Bilder, wo Frauen mit Posaune und Tuba dasitzen. Das ist bis heute nicht üblich in den Orchestern. Also, dieser Aspekt ist extrem interessant, auch für die Frauenbewegung."

"Wenn es Frauen machen, dann ist es was Spezielles"

Erst mit der Frauenbewegung der 1960er-Jahre erlebten Frauengruppen eine gewisse Renaissance. So entstand 1974 die erste reine Frauenrockband in Deutschland, Flying Lesbians.
Mit der Punkbewegung entstand im Umfeld der Band "Ton Steine Scherben" eine weitere Frauen-Rockband: Carambolage.
Christiane Rösinger: "Als ich angefangen habe, Musik zu machen, das war so Anfang 1980 in Baden – übrigens weil ich bei der Band Carambolage war in Karlsruhe, das weiß ich noch."
Christiane Rösinger, Musikerin und Autorin, gründete 1988 die Lassie Singers, bis heute eine der bekanntesten deutschen Gruppen, in der nur Frauen spielten.
Christine Rösinger: "Und ich weiß, dass ich mit einer Freundin da war. Und es hat uns so inspiriert – am nächsten Tag haben wir Typen, die wir kannten, gefragt, ob wir mal in den Proberaum dürfen, und haben dann angefangen, irgendwie da so rumzumachen, alles mal anzumachen, auf das Schlagzeug zu schlagen und Gitarre zu spielen, obwohl wir es noch nicht konnten. Da habe ich eben Britta Neander zum ersten Mal gesehen."
Wir sitzen in der Markthalle in Berlin-Kreuzberg, wo Christiane Rösinger Britta Neander kennenlernte und schließlich mit ihr die Band "Britta" gründete – auch eine Band, die nur aus Frauen bestand. Wobei Rösinger für den Begriff "Frauenband" nicht viel übrig hat:.
"Eigentlich kann man nur Frauenband als Begriff nutzen, wenn man alle Bands, in denen Männer spielen, als Männerband bezeichnet. Die Toten Hosen, Tocotronic, Sterne – alles Männerbands. Dann darf man auch Frauenband sagen. Wenn es Frauen machen, dann ist es irgendwie was Spezielles, so, es ist nicht normal. Das spielt da schon mit. Und ich würde sagen, so ist es bis heute geblieben im Großen und Ganzen."
Gab es in den 1990er-Jahren eine ganze Reihe von Gruppen, die sich nur aus Frauen rekrutierten, verzeichnet Christine Rösinger heute eher einen Backlash.

"Ich habe das Gefühl, als ich angefangen habe, so in den Achtzigern, dass wir da schon weiter waren."

Ein Saxophon - zu wenig weiblich

Für mich stellt sich noch eine andere Frage: Kann man heutige Frauenbands als Fortsetzung der Damenkapellen bezeichnen?
Im Hinterhof eines alten Kreuzberger Fabrikgebäudes erwartet mich eine Gruppe Frauen. Es ist die Berliner Band "Die Damenkapelle". Zu Beginn ihrer Karriere spielten sie Musik aus der Zeit der Weimarer Republik – heute bewegt sich "Die Damenkapelle" in vielen Genres.
Nach der Probe erzählen die Musikerinnen von ihren Erfahrungen mit der "Damenkapelle" im neuen Jahrtausend. Bandleiterin Susanne Ockert ist in den Jahren als Musikerin vielen Stereotypen begegnet, die man für ausgestorben hielt. Etwa, wenn es um typisch weibliche Instrumente geht. Bei einem Playback-Termin empfand ein Regisseur ihr Saxophon als unweiblich.
"Was hat denn die in der Hand da? Ach, ein Saxophon. Das sieht aber voll Scheiße aus! Kann mal jemand eine Oboe besorgen? Und dann musste ich, obwohl auf dem Band ein Saxophon war – damals habe ich mich noch nicht getraut zu sagen: Nein, das ist mit meinem künstlerischen Dings nicht zu vereinbaren – habe ich mich dann halt mit einer Oboe hingestellt, gedacht: Scheiße, Geld auf das Konto, spiel ich halt mit der Oboe und imitiere ein Sopransaxophon." – "Ist nicht wahr." - "Doch, bei Dieter Thomas Heck noch." – "Verrückt."
Ich habe eine Annonce aus der Kaiserzeit dabei, die Musikerinnen staunen nicht schlecht. Unter anderem über die relativ ordentlichen Gagen.
"Ja, aber: Nicht über 25 Jahre steht hier. Nein! Da sind wir alle, alle aus dem Rennen… vorbei!"
"Was, echt? Da steht Nicht über 25 Jahre?"
"Ja, hier: Alter nicht über 25 Jahre, sowie strenge Solidarität Bedingung. Solidarität jetzt wem gegenüber?"
Die Verhältnisse sind nicht mehr so, wie sie mal waren, aber sie sind auch nicht so, wie sie eigentlich sein sollten, findet Julia Games Martin:
"Ja, also irgendwie haben die Leute nicht das Vertrauen in eine reine Frauenband oder so. Also, ich meine, wir müssen sowieso ständig mit Vorurteilen kämpfen, dass Kollegen sagen, wir kriegen bestimmte Jobs nur, weil wir Brüste haben, und so richtig spielen können wir aber nicht – und lauter solche Geschichten. Da muss man sich halt leider Gottes immer noch total mit rumschlagen, obwohl es ja massig Musikerinnen in Deutschland gibt – aber da muss man immer noch mit kämpfen."
Geld verdienen könne man vor allem bei Gala-Jobs für große Firmen. Oder auch mal bei einem Engagement im Theater – zum Beispiel wenn "Cabaret" aufgeführt wird. Susanne Ockert nennt diese Jobs das "Ausweichmanöver" der Band.
"Wenn die Zeiten etwas schlimmer sind, dann gehen wir ins Theater. Sind wir halt die KitKat Girls im Theater – da ist es wenigstens vom Regisseur durchgedacht, wer was zeigt."

Der Fortschritt ist eben eine Schnecke, aber die "Damenkapelle" hat Selbstbewusstsein. Sie weiß, was sie kann.
"Wir haben noch nicht aufgegeben. Wir sind im Moment auf dem Durchbruch ganz nach unten!" - "Das ist unser Ziel!" – "Zeig mir den Weg nach unten – denn ich hasse das Licht…"
"Diese Damenkapellen in der Kaiserzeit, das war mir total neu. Kann man mal sehen – wieder was gelernt!"
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