"Die geben dem Land noch ein, zwei Jahre"

David Wnendt im Gespräch mit Dieter Kassel · 18.01.2012
Der Dokumentarfilmer David Wnendt war zwei Jahre in der Neonazi-Szene unterwegs, um mit rechtsextremen Frauen zu sprechen. Es gibt immer mehr von ihnen - sie glauben an ein baldiges Ende der Demokratie und sehen auch ihre eigene Zukunft sehr kritisch.
Joachim Scholl: Morgen kommt "Kriegerin" in unsere Kinos, mein Kollege Dieter Kassel hatte schon im vergangenen Jahr die Gelegenheit, mit David Wnendt über seinen Film zu sprechen, als dieser beim Münchner Filmfest Premiere hatte. Von den Zwickauer Naziterroristen war damals natürlich noch keine Rede. Dieter Kassel fragte David Wnendt als Erstes damals, warum er eigentlich Mädchen als Neonazis zeigen will, die Szene besteht doch zu 80, 90 Prozent aus Männern?

David Wnendt: Gerade das fand ich halt eben das Spannende daran, also es gibt Frauen in der rechten Szene in verschiedenen Positionen, verschiedenen Arten, und die haben auch immer mehr Zulauf, also es gibt immer mehr Frauen in diesem Bereich. Trotzdem sind sie noch eine Minderheit, das heißt, sie sind auch noch in einer besonders schwierigen Position, also in einer sehr widersprüchlichen Position, und das hat es für mich halt besonders spannend gemacht. Außerdem gibt es noch gar keinen Film, der eben den Fokus so auf Frauen in der rechten Szene legt.

Kassel: Das steht dann natürlich überall, hat zwei Jahre recherchiert in der Szene vor Ort – das klingt so leicht. Wie macht man das? Kann man da als Regisseur einfach hinfahren in irgendeine ostdeutsche Kleinstadt, stellt sich auf den Bahnhof und wartet, bis einer kommt?

Wnendt: Also ich habe da ganz verschiedene Wege probiert, um das zu machen. Zum einen bin ich bei Neonazidemos mitgelaufen und habe mich dann nicht zu erkennen gegeben, sondern versucht sozusagen wirklich, als ob ich da normaler Teilnehmer wäre, da mitzugehen. Das hat auch geklappt, allerdings war das da nicht möglich, jetzt wirklich richtig an einzelne Personen ranzukommen, also um mehr von denen zu erfahren. Da ist dann das Misstrauen doch ein bisschen zu groß. Und dann habe ich nach anderen Wegen geguckt: Ich bin zu Jugendklubs gegangen, also teilweise waren es auch Jugendklubs, wo bekannt war, dass da eher rechte Jugendliche sind.

Und um Frauen speziell zu treffen, habe ich dann über Internet recherchiert. Da gibt es Kontaktbörsen, die heißen beispielsweise "Odins Kontaktanzeigen" oder "Germania Dating", das sind wirklich Kontaktbörsen für Rechte von Rechten, die auf Partnersuche sind, können sich da ein Profil erstellen und einen Partner suchen, und das habe ich dann genutzt. Also ich habe da selbst ein Profil erstellt, und dann konnte man eben an alle weiblichen Mitglieder E-Mails verschicken, und das habe ich dann getan. Allerdings jetzt nicht eben verstellt oder so, sondern da habe ich direkt geschrieben: Es geht um einen Film, ich suche für eine Recherche Leute, mit denen ich sprechen könnte und die bereit sind, mir ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Da habe ich also wirklich Hunderte E-Mails verschickt, und bei einigen ist dann tatsächlich auch so eine Art Gespräch, Interview zustande gekommen.

Kassel: Wie groß war das Misstrauen? Ich könnte mir vorstellen, dass jemand in dieser Szene doch schon geahnt hat, dass Sie wahrscheinlich einen Film drehen, der das nicht gerade als positiv und als tolles Lebensziel darstellt.

Wnendt: Also das Misstrauen war sehr groß, wie gesagt, ich habe Hunderte Mails geschrieben, da kam entweder gar nichts zurück, Beschimpfungen oder Drohungen oder einfach nur Ablehnung, und auch die, mit denen ich Interviews geführt habe, da war das Misstrauen zuerst sehr groß, also da ging erst noch ein längerer Mailwechsel vorweg. Also die hatten dann auch Angst, dass das vielleicht eine Falle der Antifa wäre, dass ich die irgendwo in eine Art Hinterhalt locken würde, oder eben, genau was Sie jetzt sagen, die Sorge war dann doch da, dass der Film es eben ganz falsch darstellen könnte oder so was.

Und die haben halt auch Sorge, also weil die eben in ihrer Szene auch sehr vorsichtig sind, was Medien angeht, hatten die einzelnen Mädchen und Frauen auch Angst, dass ihre Kameraden oder Kollegen und Freunde erfahren würden, dass sie mit jemandem gesprochen haben. Deswegen haben diese Treffen sozusagen im Geheimen quasi stattgefunden, weil die auch nicht wollten, dass jetzt ihre Umgebung mitbekommt, dass sie da mit jemandem reden.

Kassel: Interessant ist ja schon an dem Film, dass selbst diese beiden Mädchen Marissa und Svenja, die da auch im Mittelpunkt stehen, ja eben auf unterschiedliche Art und Weise Probleme mit dem Elternhaus, Probleme mit dem Leben haben, auf unterschiedliche Art und Weise in diese Szene reinkommen und dann auch in der Szene sich völlig unterschiedlich verhalten. Ist das auch was, was Ihnen bei den Recherchen klar wurde, dass es diesen klassischen Lebenslauf – Vorbelastung in der Familie und dann wird man zum Neonazi –, dass es den so nicht gibt?

Wnendt: Die Mädchen waren auch wirklich in echt sehr unterschiedlich. Also es gab da immer schon so ein paar Gemeinsamkeiten, die ich ganz spannend finde, die ich versucht habe, in den Film aufzunehmen, aber ich wollte eben auch verschiedene Facetten aufzeigen und auch zeigen, dass es eben auch verschiedene Milieus sind, aus denen man da reinrutschen kann, dass es nicht eben der klassische Arbeitslose jetzt ist oder so, sondern dass man auch aus einem eigentlich gutbürgerlichen Haus kommen kann und trotzdem da landen kann.

Kassel: Und was sind das für Gemeinsamkeiten, die es dann doch so oft gab?

Wnendt: Na ja, eine Sache, was ja auch im Film aufgegriffen wird, ist diese Ebene mit dem Großvater. Also vor der Recherche hätte ich das gar nicht gedacht, aber tatsächlich war das so, dass dann ganz viele Mädchen erzählt haben, was der Großvater über das Dritte Reich beispielsweise erzählt hat, dass das einen ganz großen Einfluss auf sie hatte. Das eine Mädchen hat zum Beispiel gesagt, also die Eltern mussten immer arbeiten, sie ist wirklich aufgewachsen bei ihrem Urgroßvater sogar, und die hatte ein so gutes Verhältnis zu dem, dass sie gesagt hat, also wir haben so ein ehrliches Verhältnis, wir haben immer die Wahrheit gesagt, er hat mich nie angelogen, und wenn der jetzt sagt, also was du in der Schule hörst über Holocaust und so, das ist eine Lüge und das stimmt gar nicht und so weiter, warum sollte ich ihm dann nicht glauben?

Und ich habe dann tatsächlich auch dazu was gelesen … also von der heutigen Geschichtsforschung und so weiter ist immer klarer, dass halt so die Geschichtsvermittlung innerhalb der Familie eine ganz große Rolle spielt, dass die eigentlich einen ganz großen Einfluss hat. Noch viel mehr als das Geschichtsbild, was man eigentlich in der Schule vermittelt bekommt, ist wichtiger, was man eben in der Familie hört. Und das war eben eine Gemeinsamkeit, auf die ich ganz oft gestoßen bin, und deswegen war es mir halt wichtig, das zum Beispiel auch mit einfließen zu lassen.

Kassel: Das heißt, wenn Opa glaubhaft sagt, stimmt nicht, es sind damals nicht Millionen von Juden vergast worden, Hitler war kein Verbrecher, er war ein großer Mann, dann ist das tatsächlich für die Mädchen wichtiger als, was weiß ich, 40 Schulstunden, die was anderes sagen, 50 Zeitungsartikel und alles andere?

Wnendt: Ganz genau, also weil es ist ja da gängig zu sagen, Medien lügen ja eh und die Schule, mein Gott, die ist ja auch nicht unbedingt auf deren Seite – und wie die mir das gesagt hat einfach, dass eben, wenn der mich nie anlügt, dem kann ich alles sagen, ich habe so ein enges Verhältnis, warum sollte er mich in diesem Bereich anlügen. Das ist für die dann sozusagen der Beweis, dass das doch alles stimmen muss, was der Großvater sagt, weil er hat ja gar keinen Grund zu lügen oder was Falsches zu erzählen – im Gegensatz zu den Medien oder vielleicht auch Lehrern oder so.

Kassel: Was man da sieht in dem Film, ziemlich deutlich, Herr Wnendt, finde ich, ist, dass so ein Klischee, das vielleicht manch einer hat von dieser Neonaziszene, nämlich dass es mitten in dieser Brutalität so eine Art von Geborgenheit gibt, also dass das eine verschworene Gemeinschaft ist, wenn man erst mal richtig drin ist, dass dieses Klischee nicht zutrifft. Also mir ist bei dem Film aufgefallen, also zumindest stellen Sie das so dar: Da ist in den meisten Zeiten, gerade wenn sie alle besoffen sind, das sind sie nicht selten, ist da auch jeder gegen jeden.

Wnendt: Ganz genau, also das wollte ich eben auch entlarven, dass es eben wirklich so eine richtige Kameradschaft, wie das fast schon mythisch verklärt wird, eigentlich so in dem Sinne nicht unbedingt gibt, also dass es oft nicht eben eine verschworene Gemeinschaft ist, sondern eigentlich eine Horde, wo im Zweifelsfall auch die eine Krähe der anderen dann doch das Auge aushackt.

Kassel: Was haben die denn für eine Vorstellung von der Zukunft? Ich meine, wir reden ja von Leuten, die, sagen wir mal, so zwischen 15 und 25, 30 sind, die leben ja noch ein halbes Jahrhundert – was haben die für eine Vorstellung davon?

Wnendt: Das ist eine andere Gemeinsamkeit, die die haben. Es ist halt schon die Vorstellung, dass insgesamt kurz vor dem Ende eigentlich sowieso alles ist. Die geben sozusagen dem Land oder auch Europa und so weiter noch ein, zwei Jahre, bevor hier alles wirklich absolut am Ende ist. Und dementsprechend sehen die natürlich auch ihre eigene Zukunft sehr, sehr kritisch deswegen. Also das ist so das Bild, was die meisten eben haben.

Kassel: Wie geht es denn Ihnen selber? Mir ging es so nach dem Anschauen Ihres Filmes – ich war beeindruckt, aber ich war auch so ein bisschen hoffnungslos, also ich habe jetzt nicht die große Idee, was man – wer auch immer dann man ist – da machen kann. Sie waren drin in der Szene, haben mit so vielen geredet. Sind Sie auch hoffnungslos?

Wnendt: Das auf jeden Fall nicht. Also natürlich gibt es Hoffnung, weil es ja eben einfach nicht so ist, einmal, dass wir in zwei Jahren vor dem absoluten Abgrund stehen und so weiter. Aber was wirklich schwierig ist: Es gibt jetzt Studien, dass jetzt inzwischen in manchen Gebieten Deutschlands über die Hälfte der Leute eigentlich nicht mehr an Demokratie glauben oder das nicht mehr für das beste System halten oder da die Hoffnung eigentlich aufgegeben haben, also eine ganz furchtbare Form von Demokratieverdrossenheit. Und da kann man aber auf jeden Fall was dagegen machen, also auch Demokratie oder wie auch immer ...

Es ist eben nichts, was jetzt selbstverständlich ist, und weil jetzt so viele friedliche Jahre hinter uns liegen, dass das alles so gegeben ist, sondern da muss man auch aktiv was tun, jeder in seinem Bereich. Das kann in der lokalen Arbeit, der Jugendarbeit sein, dass man eben da mit Jugendlichen was macht oder in dem Fall eben, dass man auch so einen Film darüber macht oder so, oder bis hin, dass man auch einfach überhaupt zu Wahlen geht. Also das wäre ja furchtbar, wenn man jetzt sagt, okay, da resigniert man jetzt einfach nur.

Scholl: Der Regisseur David Wnendt über seinen Film "Kriegerin" im Gespräch mit meinem Kollegen Dieter Kassel. Wie gesagt, das Gespräch fand statt, bevor die Zwickauer Terrorzelle entdeckt und identifiziert wurde. Der Film "Die Kriegerin" läuft ab morgen in unseren Kinos.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
David Wnendt
David Wnendt© dpa / picture alliance / Arno Burgi
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