Die Frau von der Mutterrolle befreien

13.09.2010
Frankreichs legendäre Feministin Elisabeth Badinter wendet sich in ihrem Buch "Der Konflikt" gegen die Degradierung der Frau zum Muttertier. Freiwillige Opfer derartiger Kampagnen sind ihrer Meinung nach die "ökologischen Mütter".
Elterngeld hin oder her, Kindergartenplätze mehr oder weniger - Paare bleiben hierzulande immer öfter ohne Kinder. Elisabeth Badinter, 66, Mutter dreier Kinder, eine Größe der französischen Frauenbewegung und geistige Freundin von Simone de Beauvoir, kann die Entscheidung gegen ein Kind gut verstehen. Auch wenn man aus ihrem seltsam nüchternen, fast kalten Buch nicht schlussfolgern kann, dass sie Kinder liebt – die Vermutung ist bei einer Mutter mit drei Kindern sicher nicht abwegig. Ihr Thema ist auch weniger das Glück, das Kinder ihren Eltern geben können. Was Badinter stattdessen will, ist nichts weniger als die Frau aus ihrer Muterrolle zu befreien, in die sie immer mehr gedrängt werde.

Die Schuldigen für diese Entwicklung sieht sie ausgerechnet bei den Frauen, die von den Erfolgen ihrer feministischen Mütter (also auch Badinter) profitiert haben – die heute 30- bis 40-Jährigen. Sie hätten die Unabhängigkeit der Vorgängergeneration aufgegeben, um sich den zahlreichen Diktaten der heutigen Welt zu unterwerfen. Die ersten freiwilligen Opfer sind die "ökologischen Mütter": Frauen, die sich bereit erklären, die Windeln wieder zu waschen, rund um die Uhr bei ihren Kindern zu glucken und die sich freiwillig dem Still-Zwang unterwerfen. Am Stillen macht sie eine aus ihrer Sicht verheerende gesellschaftliche Entwicklung fest: die Degradierung der Frau zum Muttertier. Stillen können nun mal nur Frauen und damit ist die Gleichberechtigung von vornherein futsch. Die jungen Mütter würden von internationalen Lobbyorganisationen dazu gedrängt, ihre Brüste hinzuhalten. Still-Terror gegen feministisch legitimierte Milchflasche. Das ist der Kampf, den es laut Badinter auszufechten gilt – die Brust ist ihre Geißel, die Milchflasche mache die Frauen frei.

Sie gibt nicht nur einem speziellen Mutterinstinkt einen Korb, sie glaubt auch nicht an das "Bonding" – also an den sofortigen intensiven Körperkontakt des Neugeborenen mit der Mutter. Für Badinter offenbar reine Sentimentalität. Sie gesteht zwar ein, dass eine Frau nach der Geburt spezielle Hormone ausschütten würde. Aber: "Hormone machen noch keine gute Mutter". Diesem Satz kann man kaum widersprechen.

Es geht Elisabeth Badinter nur nebenbei um Demografie, auch kaum um Familienpolitik, am allerwenigsten um Erziehungsfragen, auch nicht um die Rolle der Väter, die in diesem Buch ein anonymes Dasein führen müssen. Es geht ihr um das Schicksal der feministischen Bewegung, der sie in den 70ern angehörte und die sie im Rückzug sieht – wegen dem allgemein gültigen Zurück-zur-Natur, wegen einer "Naturalisierung" der Mutterschaft, der sich viele Frauen zunehmend widerstandslos ergeben würden.

Die Autorin nimmt bei alldem nicht einmal in Nebensätzen wahr, dass junge Mütter von heute ihre Kinder in einer völlig anderen Gesellschaft großziehen, als Badinter es tat. Heute konzentrieren sich deutlich mehr Mütter - und Väter - auf die Interessen ihres Kindes – es läuft nicht mehr so nebenbei mit, es ist von Beginn an gleichberechtigter Bestandteil einer Familie und bekommt somit eine Wichtigkeit, an die Erwerbsarbeit und Freizeitangebote kaum heranreichen.

Kinder können – das scheint ihr zu entgehen – einer unabhängigen und selbstbewussten Mutter ebenso viel Kraft und Erfüllung geben wie eine glückliche Beziehung als Frau, ein guter Job und viele Freunde. Kinder sind für die dreifache Mutter und Alt-Feministin Badinter aber offenbar eine Last. Dabei spielt sie die Frau und die Mutter gegeneinander aus. Nur wozu?

Jenseits ihres neofeministischen Kampfes hat Elisabeth Badinter, die in Frankreich mit ihrem Buch bereits heftige Diskussionen ausgelöst hat, auch noch ein paar Worte für besorgte Demografen und Rentenversicherer übrig. "Wenn man von der Mutter verlangt, die Frau zu opfern, die in ihr steckt", schreibt Badinter, "wird sie die Geburt des ersten Kindes noch weiter hinauszögern oder gar ganz davon absehen." Was so viel bedeutet wie: Erst wenn Frauen nicht mehr gedrängt werden, Kinder zu bekommen, bekommen sie auch welche.

Elisabeth Badinter hat ein zwar viel diskutiertes, aber dennoch kontextarmes, ideologisch geprägtes Buch vorgelegt, das den Blickwinkel auf Mutterschaft unzulässig verengt. Es ruft nach einer Antwort der Tochtergeneration.

Besprochen von Vladimir Balzer

Elisabeth Badinter: Der Konflikt. Die Frau und die Mutter.
Aus dem Französischen von Ursula Held und Stephanie Singh
C.H. Beck, 17,95 Euro
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