Die Festung Europa

Von Volker Trauth · 24.11.2010
Zwei Frauen aus Ghana und ein Junge aus Afghanistan wollen per Schiff nach Europa flüchten - die Grenzpolizei aber zwingt ihren Kahn zur Umkehr. Dabei ist Regisseur Philipp Harpain die politische Botschaft wichtiger als schauspielerische Perfektion.
Der Titel steht auch als Überschrift über einer begrüßenswerten Kampagne, die von Organisationen wie Borderline Europe, Pro Asyl, GEW, den Flüchtlingsräten Brandenburg und Berlin und der Interessengruppe "Jugendliche ohne Grenzen" unterstützt wird und Menschenrechte für die vielen Flüchtlinge vor allem aus Afrika einfordert - eingeschlossen die Freistellung der Fluchtwege nach Europa.

Diesen Fluchtweg haben zwei junge Frauen aus Ghana sowie der Junge Kerim aus Afghanistan angetreten und – wie sie zunächst glauben - eine Rettungsinsel vor Italien erreicht. Von hier aus rekapitulieren sie ihren Weg in die scheinbare Freiheit. Eine der beiden Ghanaerinnen war in Potsdam heimisch geworden und von dort abgeschoben worden – und hat es noch einmal versucht. Der Weg der beiden Frauen führt über Burkina Fasso, die Sahelzone. Algerien, Tunesien und von dort auf einen Kahn, der sie übers Mittelmeer bringen soll.

Die Frontex aber, eine Küstenpolizei, die Europas Grenzen frei halten soll, zwingt den Kahn zur Umkehr. Die beiden Mädchen müssen schwimmen – und ertrinken, denn die Rettungsinsel war "nur eine Idee", ein Wunschtraum. Das Schicksal von Jamila und Naisha, so die Namen der Mädchen ist exemplarisch: Im vorigen Jahr starben 14.414 Menschen beim Versuch, Europa zu erreichen, 7114 sind im Meer verschollen.

Die Autorin Susanne Lipp, Theaterpädagogen am Grips, steht in der Tradition des Hauses. Wirklichkeit will sie zeigen und den Mut befördern, die schweren Zerreißproben des Lebens bewältigen zu wollen. Wie in vielen Stücken der Grips-Ästhetik verschränkt sie Spielhandlung und Songs. "Weggeworfen, abgeschoben" fühlt sich die junge Jamila in einem Lied nach ihrer Abschiebung aus Potsdam und am Ende wenden sich beide mit einem Lied an die Menschen, die "noch draußen sind" und fordern für sie die Einhaltung der Menschenrechte.

Regisseur Philipp Harpain setzt weniger auf schauspielerische Perfektion als auf die politische Botschaft und auf die pädagogische Absicht. Einen großen Teil nehmen deshalb die theoretischen Unterweisungen zu Problemen der Zeit ein (über das Grenzregime Europas und die Rolle der Frontex, der europäischen Küstenpolizei).

Unübersehbar auch der Hang der Regie zum Illustrieren. Ein Paddel, das vor die Brust gepresst wird, soll die "Festung Europa" veranschaulichen, das gleiche Paddel am Hals Folter und Gefangenschaft, das Heruntersausen des Sportgeräts körperliche Züchtigung.

Da die Darsteller des festen Grips-Ensembles in Berlin im Stammhaus den Spielplan aufrecht erhalten müssen, das Spielensemble aber auf Reisen in Schulen und Kulturhäuser gehen wird, wurden von Berliner Schauspielfachschulen die Darsteller der jungen Flüchtlinge ausgesucht. Ein enormes Leistungsgefälle im Darstellerischen fällt auf. Die chargierende Übertreibung steht neben Ansätzen von andeutend realistischer Figurenzeichnung.

Dalila Alibala als die Ghanaerin Naisha ragt heraus. Wie sie ohne Worte andeutet, dass sie sich dem Grenzer hingeben wird, um die Weiterfahrt zu sichern, wie sich selbstironisch als erfolgreiche Afrikanerin in Europa sieht oder wie sie von Angst vor dem Ertrinken gepackt wird, das lässt außergewöhnliches Talent erkennen.

Zum Thema:
Homepage des Grips Theaters