Die Faszination des Bösen

07.04.2012
Als der norwegische Attentäter Anders Breivik verhaftet wurde, sahen viele in ihm das Böse schlechthin. Das Unbegreifliche seiner Tat verstörte die Menschen. Was aber ist das Böse? Darüber sprechen wir mit zwei Fachleuten auf dem Gebiet der Kriminalistik und der Neuropsychologie.
Ist uns das Böse angeboren, oder machen uns erst die Umstände zu Übeltätern? Was fasziniert uns am Bösen in Krimis und Thrillern? Kann jeder zum Täter werden? Diesen Fragen ist das "Radiofeuilleton" in einer Themenwoche nachgegangen – in Gesprächen mit Psychologen, Hirnforschern, Autoren und Theologen.

"Jeder trägt das Böse in sich, es kommt nur darauf an, ob es ausbricht", sagt Josef Wilfling. Der ehemalige Leiter der Münchner Mordkommission war über 40 Jahre lang im Polizeidienst tätig. Der Vernehmungsspezialist klärte solch spektakuläre Fälle auf, wie die Morde an dem Schauspieler Walter Sedlmayr und dem Modeschöpfer Rudolph Moshammer. Er überführte Serientäter, wie den Frauenmörder Horst David, und verhörte hunderte Kriminelle.

"Ich bin kein Psychologe oder Hirnforscher, aber als Polizist habe ich oft genug miterlebt, dass Menschen zu Tätern wurden, von denen jeder geschworen hätte: Der? Nie und nimmer! Man muss nur in die Geschichte schauen: Da sind ganz normale Menschen, gebildet oder ungebildet und aus allen Schichten, zu Massenmördern geworden."

Über seine bewegendsten Fälle berichtet Josef Wilfling in seinen Büchern, "Abgründe. Wenn aus Menschen Mörder werden" und "Unheil. Warum jeder zum Mörder werden kann".

"Ich bin überzeugt, dass der Mensch darauf ausgelegt ist, Gewalt auszuüben", sagt Thomas Elbert. Der Professor für klinische Psychologie und Neuropsychologie an der Universität Konstanz erforscht, warum und wie jemand zum Täter wird, was dabei im Gehirn vorgeht und wie sich das Gehirn dadurch verändert. Vor allem interessiert ihn, ob und wie man diese Mechanismen beeinflussen und Täter wieder ins normale Leben zurückführen kann. Dafür befragte der Psychologe unter anderen Kindersoldaten in Ostafrika, Söldner im Kosovo und Beteiligte des Völkermords in Ruanda.

"Wir haben gefragt: Wie ist das, wenn du tötest? Beim ersten Mal war es schrecklich, beim zweiten Mal ging es schon, und ab dem dritten Mal hat es Spaß gemacht, war die Antwort. Töten wurde zum Volksvergnügen."

Seine Beobachtung: Ähnlich wie Stress führten auch Gewaltexzesse zu Veränderungen im Gehirn, zu einer veränderten Wahrnehmung und Reaktion. Gewalt führe so zu weiterer Gewalt.

"Grausamkeit und Gewalt haben Elemente in sich, die können als lustvoll empfunden werden, die können tatsächlich unser Belohnungszentrum aktivieren."

Dies zeige sich auch bei Testpersonen, die Gewaltvideos anschauen oder Computerspiele spielen. Seine Hoffnung:

"Je bewusster wir uns über unsere biologischen Voraussetzungen und Grundlagen werden, umso besser sind wir auch in der Lage, gezielt diese Verhaltensweisen zu regulieren und einzusetzen."


Literaturhinweis:

- Josef Wilfling: Abgründe. Wenn aus Menschen Mörder werden, Heyne-Verlag 2010
- Josef Wilfling: Unheil. Warum jeder zum Mörder werden kann, Heyne-Verlag 2012

Infos zu Prof. Dr. Thomas Elbert im Netz:

Uni Konstanz: Institut für Klinische Psychologie und Klinische Neuropsychologie


Weitere Beiträge aus dieser Sendereihe finden Sie hier:

Das abgrundtief Böse - Themenwoche im Radiofeuilleton vom 2. bis 7. April 2012