Die Familienpartisanin

Von Stefan Keim · 28.03.2008
Eine pubertierende junge Frau von heute ist die Antigone, die David Bösch im Essener Grillo Theater auf die Bühne stellt. Sie singt Punksongs, trotzt den Ratschlägen der Erwachsenen und kämpft mit ihrer dramatischen Familiengeschichte. Das überwiegend junge Publikum war begeistert.
"Buh!", schreit Antigone aus dem Parkett. "Propaganda", schleudert sie König Kreon entgegen, als er ankündigt, ihren Bruder Polineykes nicht beerdigen zu wollen. Antigone probiert alle Formen des Protestes aus, nölt und rotzt, brüllt und geifert. Dann ist sie plötzlich ganz still, und als Kreon sich ihr nähert, spuckt sie ihm ins Gesicht. Sie grölt den Satz "Mich schreckt das Sterben nicht" als Punksong, und als es wahrhaftig ans Sterben geht, hält sie ein Schild in die Videokamera: "Politische Gefangene seit zwei Stunden."

Diese Haltungen sind aufgesetzt, vielleicht hat Antigone gerade ein Seminar über die RAF belegt. Dahinter steckt eine junge Frau mit einer schrecklichen Familiengeschichte. Die Mutter hat sich erhängt, der Vater Ödipus geblendet. Und jetzt haben sich auch noch beide Brüder gegenseitig umgebracht im Kampf um die Macht in Theben. Antigone weiß nicht, was sie im Leben anfangen soll, der einzige Fluchtpunkt ist die Familie. Oder das, was von ihr noch übrig ist.

David Bösch inszeniert seine erste griechische Tragödie, die "Antigone" von Sophokles, konsequent als Familiendrama. Alle mythischen und humanistischen Hintergründe sind getilgt, Antigone ist in Gestalt von Böschs kraftvoller Protagonistin Sarah Viktoria Frick eine pubertierende junge Frau von heute. Kreons Argumenten will sie gar nicht zuhören, von einer Herrschaft der Vernunft und einer neuen Gesellschaft nichts wissen.

Holger Kunkel trägt als König Zopf zur Stirnglatze, vielleicht war er auch mal ein Revoluzzer. Doch gegen Antigone steht er auf verlorenem Posten. Am Ende sind die Geschwister und Kreons Sohn Haimon im Tode vereint, tanzen und spielen, und dem König bleibt nichts übrig, als sich die blutige Augenbinde des Ödipus anzulegen. Seine politische Vision ist gescheitert.

Die beiden toten Brüder (Nicola Mastroberardino und Lukas Graser) sprechen die Texte des Chores, des Boten, des blinden Sehers Teiresias. Sie sind geisterhafte Kommentatoren, die Antigone zu sich herüber ziehen möchten und auch für die komödiantischen Einlagen zuständig sind.

Böschs "Antigone" ist eine Inszenierung für junge Leute, die angesichts solcher Stoffe eher "Antik? O, ne", sagen würden. Leicht zugänglich, unterhaltsam, mit melancholischen Songs von Karsten Riedel. Im Dialog zwischen Antigone und Kreon greift Bösch auf eine Szene aus Jean Anouilhs "Antigone" zurück, sonst lässt er weitgehend die griffige Neuübersetzung von Peter Krumme spielen.

Die Wucht und Brutalität, das Archaische der griechischen Tragödie geht dabei verloren, manche Szenen geraten überdeutlich und illustrierend. Aber Bösch gelingt eine warmherzige, spielerisch leichte Aufführung, die vom zum großen Teil jungen Publikum heftig bejubelt wurde.

Antigone
1., 2. und 20. April 2008
Grillo-Theater Essen