"Die EZB ist im Moment die letzte Bastion des Euros"

Das Gespräch führte André Hatting · 21.12.2011
Die Banken leihen sich gegenseitig kein Geld mehr. Stattdessen nehmen sie es zu günstigem Zinssatz von der Europäischen Zentralbank, um es dort zu reinvestieren. Ökonom Gustav Horn sieht ein "riesiges Problem" auf den Euro zukommen - wenn EZB-Chef Mario Draghi nicht handelt.
André Hatting: An die Warnungen von Christine Lagarde haben wir uns mittlerweile gewöhnt: Die Chefin des IWF trägt gern mal etwas dicker auf, wenn es um die Finanzkrise geht. Ihr Kollege von der Europäischen Zentralbank EZB Mario Draghi ist dagegen dem Alarmismus eher abhold. Umso mehr lässt sein gestriger Befund aufhorchen: Draghi hat vor dem Wirtschaftsausschuss des EU-Parlaments vor einer neuen Kreditklemme gewarnt. Das Problem hatten wir doch schon mal, während der ersten Krise vor drei Jahren: Die Banken leihen einander kein Geld mehr. Damit steht uns die nächste Bankenkrise bevor – Lehman Brothers lässt grüßen. Am Telefon ist jetzt Gustav Horn, er leitet das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung. Guten Morgen, Herr Horn!

Gustav Horn: Guten Morgen!

Hatting: Herr Horn, sehen Sie die Lage genauso kritisch?

Horn: Ja, leider ja, denn wir sehen an vielen Anzeichen, dass wir uns auf eine Kreditkrise wieder hin entwickeln. Einmal leihen sich die Banken untereinander wenig Geld – das ist schon schlimm genug, weil sie damit nicht genügend Geld zur Verfügung haben, um ihre normalen Kreditgeschäfte zu erledigen –, und sie verschärfen konsequenterweise auch ihre Kreditbedingungen an Unternehmen beispielsweise, die sich Geld für Investitionen leihen wollen. Und das ist sozusagen der Übersprung von der Finanzwirtschaft zur Realwirtschaft, denn, wenn Unternehmen sich nicht mehr genügend Geld leihen können, oder zu teuer dafür zahlen müssen, um Investitionen durchzuführen, dann gefährdet dies den Investitionsprozess und damit die Konjunktur.

Hatting: Wir haben gestern bei der Recherche mit einigen mittelständischen Unternehmen gesprochen. Seltsamerweise haben die gar keine Not gesehen im Augenblick, die kommen immer noch ganz bequem an Kredite.

Horn: Nun, in Deutschland ist das Problem in der Tat etwas schwächer ausgeprägt als im Rest des Euroraums. Was wir im Moment sehen, ist, dass sich eine Rezession im gesamten Euroraum entwickelt, mit Ausnahme Deutschlands, insofern ist es kein Wunder, dass deutsche Unternehmen noch nicht so stark betroffen sind. Aber wenn Sie in die Krisenländer schauen, Griechenland, Spanien, Portugal oder auch Irland – dort befinden sich die Wirtschaften teilweise im freien Fall, aber auch in Ländern wie Frankreich oder den Niederlanden schrumpft die Wirtschaftsleistung. Das heißt: Wir stehen vor einer ganz schwierigen Situation in Europa, und insofern sind die Sorgen von Mario Draghi, der ja an das gesamte Europa denken muss, sehr berechtigt.

Hatting: Die EZB reagiert, indem sie den Hahn aufdreht: Von heute an können sich die Kreditinstitute Geld von der Notenbank leihen zu einem Zinssatz von einem Prozent, und das auf drei Jahre – das ist die größte Rettungsaktion in der Geschichte der EZB. Finden Sie das richtig?

Horn: Ich finde es richtig, weil die Situation ist sehr ernst. Zwar ist die Krise für viele Menschen Gott sei Dank noch sehr abstrakt, weil eben beispielsweise ihr Unternehmen noch keine größeren Schwierigkeiten hat. Vielleicht wird der ein oder andere Auftrag gestreckt, vielleicht entfällt die eine oder andere Überstunde, aber das ist ja alles verkraftbar. Aber wenn wir auf die Finanzwirtschaft blicken, ist die Lage sehr, sehr ernst: Die Banken leiden unter Liquiditätsmangel, weil sie sich wechselseitig nicht mehr vertrauen, sie haben auch einen erhöhten Kapitalbedarf, weil die Stresstests ja ergeben haben, sie sind nicht gut gerüstet. Das heißt, sie brauchen dringend mehr Geld, und deshalb stellt die EZB dieses Geld zur Verfügung – und die Zentralbanken und die Banken legen es dann auch gleich wieder bei der EZB an, weil nur dort fühlen sie sich sicher, sie geben es nicht einer anderen Bank, denn sie haben Sorge, dass diese Bank bald nicht mehr bestehen könnte. Und das ist ein eindeutiges Krisenzeichen.

Hatting: Aber ist das nicht eine Art Hütchenspiel, bei dem das Geld nur von der einen Tasche in die andere wandert, anders gesagt, Staatsfinanzierung über den Umweg EZB?

Horn: Das ist kein Hütchenspiel, weil hier bei diesem Spiel nicht betrogen wird wie bei einem Hütchenspiel, sondern es ist ein Ausdruck von Panik und Unsicherheit, der gerade herrscht. Man vertraut sich nicht, man gibt sich wechselseitig kein Geld, das ist die Situation, und da braucht es eine Institution, der man vertraut, und das ist die EZB, und die muss dann aber genügend Geld in den Kreislauf pumpen, um auf Dauer das Vertrauen wieder herzustellen.

Hatting: Apropos genügend Geld in den Kreislauf pumpen – als Laie frage ich mich natürlich sofort: Wie sieht es mit der Inflationsgefahr aus?

Horn: Diese Frage ist sehr berechtigt. Wenn dieses Geld jetzt von den Banken genommen würde und in großen Säcken den Menschen zur Verfügung gestellt würde, die damit irgendwelche Dinge kaufen, dann wäre diese Gefahr in der Tat sehr groß. Aber leider ist es so, dass dieses Geld von der EZB wegfließt und dann kommt es gleich wieder zu ihr zurück, das heißt, der Wirtschaftskreislauf lahmt, wir haben einen extrem niedrigen Blutdruck, der eben keine Inflation, sondern eher Deflation produziert. Und solange dieser Blutdruck so darniederliegt, besteht keine Inflationsgefahr, und selbst, wenn er sich erholt – was ja erst mal ein gutes Zeichen wäre, weil die Wirtschaft dann wieder auf die Beine kommt –, dann kann die EZB sehr schnell Gegenmaßnahmen ergreifen, um das Ganze wieder unter Kontrolle zu bringen. Sie kann diese Liquidität auch wieder abschöpfen, indem sie die Papiere, die sie aufgekauft hat, wieder verkauft, indem sie auch die Zinsen wieder erhöht, all dies steht ja zur Verfügung, dies muss sie dann nur rasch genug tun.

Hatting: EZB-Chef Mario Draghi verspricht sich auch davon, dass die Banken diese niedrigen Zinsen von einem Prozent an die Unternehmen – also die mittelständischen Unternehmen, die Sie schon angesprochen haben – und uns Verbraucher weitergeben. Das hat, anders als in den USA, in der ersten Finanzkrise nicht so richtig funktioniert. Warum sollte es das jetzt tun, zumindest in Deutschland?

Horn: Nun, in Deutschland ist die Situation noch so, dass die deutschen Verbraucher sich auch nicht gerne verschulden, sondern sie sparen lieber, und insofern ist das für sie noch kein Mittel, das sie sehr zum Konsum anregt. Das sehe ich auch erst in zweiter Linie als das Instrument, das die Wirtschaft in Gang bringt. Wichtiger ist, dass der Finanzsektor halbwegs stabil bleibt, denn ansonsten bricht unsere Realwirtschaft zusammen. Wir dürfen eines nicht vergessen: Es ist noch sehr abstrakt, diese Krise, aber die EZB ist im Moment die letzte Bastion des Euros: Wenn Herr Draghi nicht handelt, ist der Euro nicht zu halten über kurz oder lang, denn wir müssen recht schnell wieder Vertrauen in diese Währung herstellen, ansonsten haben wir ein riesiges Problem.

Hatting: Zunächst einmal ist es ja auch für die Banken ein tolles Geschäft: Sie leihen sich billig Geld, das sie teuer weiterverleihen. Ich frage mich da so ein bisschen: Wo ist eigentlich das Geld geblieben, das die Banken vor drei Jahren bekommen haben?

Horn: Nun, dieses Geld ist teilweise schon wieder abgeschrieben, weil ja viele Papiere an Wert verloren haben, die sie in der Zwischenzeit gekauft haben, man denke nur an jene Finanzinvestoren, die auch viele Staatsanleihen hatten, die haben eine Menge Geld verloren mittlerweile. Auch Aktien haben ja im Vergleich zu vor drei Jahren wieder an Wert eingebüßt. All dies hat also das Kapital vernichtet wieder. Es hat sich sozusagen in Luft aufgelöst, es ist verbrannt worden.

Hatting: Wir haben uns auch bei kleineren Häusern umgehört, zum Beispiel der GLS-Bank, und die hat gar keine Probleme, sagt sie, denn sie ist gut mit Eigenkapital versorgt. Was machen die kleinen besser als die großen?

Horn: Nun, eine Bank wie die GLS-Bank geht wenig Risiken ein, das heißt, sie ist gar nicht in sehr schwierigen Papieren engagiert, sie hat nicht diese Risiken des Derivatmarkts oder des Währungsmarktes. Das schützt sie natürlich vor solchen Krisenentwicklungen, die im Moment sind, herrschen, und das ist aber leider die Ausnahme. Die großen Banken, insbesondere auch die größten Banken sind leider sehr stark in Geschäften engagiert, die sehr risikoreich sind.

Hatting: Gustav Horn war das, er leitet das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Horn!

Horn: Gerne!

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