"Die EU ist nicht aus dem Schneider"

Manfred Weber im Gespräch mit Marietta Schwarz · 03.05.2011
Manfred Weber (CSU), stellvertretender Vorsitzender der EVP im Europa-Parlament, spricht sich angesichts möglicher Vergeltungsschläge des Al-Kaida-Netzwerks für eine bessere Zusammenarbeit der europäischen Ermittlungsbehörden aus.
Marietta Schwarz: Freudentänze auf dem Times Square, Aufatmen überall auf der Welt, so sahen gestern die ersten Reaktionen aus, nachdem sich die Nachricht vom Tod Osama bin Ladens verbreitet hatte. Amerikas Staatsfeind Nummer eins lebt nicht mehr, doch er hinterlässt ein weltweites Terrornetzwerk, das auch ohne ihn agiert. Auf die gute Nachricht folgt also recht schnell Ernüchterung und die Frage: Ist die westliche Welt ohne bin Laden sicherer geworden, und wenn nein, sind wir ausreichend geschützt? Darüber sprach ich vor der Sendung mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament Manfred Weber, er ist auch Mitglied im Ausschuss für Justiz und Inneres.

Die Taliban haben Pakistan und den USA bereits mit Vergeltung gedroht. Ist die EU damit aus dem Schneider?

Manfred Weber: Nein, die EU ist nicht aus dem Schneider. Und Sie haben in der Anmoderation, glaube ich, beide Facetten auf den Punkt gebracht: Einerseits ist es ein wunderbarer Tag gewesen insofern, weil das Schreckensgesicht, dieser Massenmörder vom 11. September, jetzt sozusagen auch ein Stück weit bezahlen musste, die Welt ist einen Massenmörder los. Andererseits haben wir alle die Sorge, dass sein Netz, das ja nach wie vor existiert, jetzt sozusagen Vergeltung androht und erst recht zuschlägt. Und das heißt auch für uns in der Politik, dass wir jetzt in den nächsten Monaten auf jeden Fall umso wachsamer sein müssen.

Marietta Schwarz: Ähnlich hat sich auch der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich geäußert, er hat von einem Grund zur erhöhten Wachsamkeit gesprochen, aber keine erhöhte Terrorgefahr in Deutschland gesehen. Also gibt es eine erhöhte Terrorgefahr oder nicht?

Weber: Die erhöhte Terrorgefahr macht sich derzeit noch nicht in Aktivitäten fest, aber natürlich kann das eine logische Wirkung sein, dass eben das Netzwerk erst recht zuschlägt. Und wie gesagt, für uns ist wichtig, dass wir unseren Behörden jetzt auch die Möglichkeiten weiter belassen, dass sie aktionsfähig gegen den Terror bleiben. Wir haben in Deutschland und auch in Europa, auf europäischer Ebene ja eine Debatte um die Gesetzgebung zum Antiterrorkampf, und da müssen wir jetzt die richtigen Lektionen herausziehen.

Marietta Schwarz: Nämlich welche?

Weber: Ja konkret geht es darum, wir hatten die Gesetzgebung zum 11. September, zum Antiterrorkampf richtigerweise zeitlich befristet. Das heißt nicht auf Dauer angelegt, sondern wir sagten, es ist notwendig, jetzt im Antiterrorkampf zu agieren, aber wir wollen das nach einer bestimmten Zeit wieder auf den Prüfstand stellen. Und diese Zeit ist jetzt abgelaufen, und die Tatsache, dass wir in Deutschland in den letzten Jahren Gott sei Dank keinen Terroranschlag vermelden mussten und dass niemand in Deutschland sozusagen zu Schaden gekommen ist, hat auch damit zu tun, dass die Gesetzgebung funktioniert und dass unsere Behörden einen guten Job gemacht haben. Übrigens immer in Partnerschaft auch mit anderen Behörden, mit unseren Partnern in Amerika und in Europa. Also die Gesetzgebung hat einen Beitrag, nicht den einzigen, aber hat einen Beitrag dazu geleistet, dass wir in den letzten Jahren in Deutschland keinen Anschlag hatten …

Marietta Schwarz: … Sie sprechen jetzt von der Antiterror-Gesetzgebung …

Weber: … genau. Wir sollten sie jetzt einfach noch mal – zeitlich befristet, das ist schon ein guter Ansatz, dass wir es zeitlich befristen –, aber wir sollten das jetzt noch ein Stück weit wirken lassen und dann die Szene beobachten, ob wirklich das Islamistennetzwerk jetzt schwerer getroffen worden ist, was wir alle hoffen.

Marietta Schwarz: Ein Stück weit wirken lassen, was heißt denn das jetzt konkret?

Weber: Also auf absehbare Zeit, würde ich sagen, für einige Jahre, ich will mich da jetzt nicht festlegen. Aber wir haben auf europäischer Ebene die Diskussion, dass jetzt zunächst mal die Evaluation ansteht. Und das würde ich auch grundsätzlich begrüßen, dass wir die Gesetze, die gemacht worden sind, jetzt zunächst einfach mal – auch unabhängig von dem konkreten Fall Osama bin Laden –, jetzt einfach mal auf den Prüfstand stellen und von den Behörden auch ein Stück weit nachfragen jetzt, was hat denn das wirklich gebracht? Ganz operativ in den letzten Monaten und Jahren, hat das wirklich einen Beitrag geleistet? Die Themen, wo uns die Behörden dann sagen, das brauchen wir, das ist wirklich operativ wichtig gewesen, hat zur Aufdeckung von Terroristen-Netzwerken geführt, die sollten wir weiter laufen lassen, andere vielleicht aber auch abschaffen. Aber bitte jetzt nicht sozusagen die Überreaktion machen und komplett alles zurückdrehen, was den Behörden die Möglichkeit gibt, im Kampf gegen den Terror erfolgreich zu sein.

Marietta Schwarz: Herr Weber, bereits vor dem Tod bin Ladens gab es Hinweise aus der CIA, dass Al Kaida das Netzwerk verstärkt nach Europa ausdehnt. Gleichzeitig bemängeln die Amerikaner, dass die Europäer noch nicht die erforderlichen Sicherheitsstandards erreicht hätten. Also läuft bei der europäischen Terror-Abwehr alles rund?

Weber: Nein, das läuft es nicht, und ich sehe auch in einem konkreten Punkt großen Handlungsbedarf, der übrigens nicht nur Terror, sondern die gesamte organisierte Kriminalität betrifft. Wir brauchen mehr Partnerschaft zwischen den operativ tätigen Behörden. In Deutschland haben wir die Landeskriminalämter, die zuständig waren für den Antiterrorkampf, und wir haben in Deutschland verstanden, dass es Sinn macht, das beim BKA, also auf Bundesebene, zusammenzuführen in einer Einheit, damit man überhaupt weiß, wer überwacht hier wen und wer hat über wen Informationen? Und dieses Prinzip, das wir in Deutschland gemacht haben, dass wir zum Beispiel eine Terrorwarndatei in Deutschland geschaffen haben, um überhaupt mal die Liste der möglichen Terroristen zu haben, dieses Prinzip sollten wir europäisieren. Wir brauchen Brücken zwischen den Londoner, Wiener, Münchener und Pariser Ermittlungsbehörden, dass die intensiver operativ zusammenarbeiten. Das ist eine ganz wichtige Maßnahme, und da sind die Minister aus meiner Sicht, auch der Ministerrat, aus meiner Sicht noch zu langsam unterwegs.

Marietta Schwarz: Herr Weber, kommen wir noch mal auf die Person Osama bin Ladens zurück: Er ist von den Amerikanern gezielt getötet worden. Durchaus ein triumphaler Akt der Hinrichtung, kann man ja schon fast sagen, der völkerrechtlich eigentlich von niemandem infrage gestellt wird. Also ist das aus europäischer Sicht zehn Jahre nach 9/11 angemessen und vertretbar?

Weber: Also, die Umstände kann man jetzt denke ich nicht umfassend beurteilen. Nach den Informationen, die vorliegen, hat da ein Gefecht stattgefunden sozusagen, als man Osama bin Laden dingfest machen wollte, und – muss ich ganz ehrlich sagen – die Frage des Mitleids hält sich bei diesem Mann doch in starken Grenzen.

Marietta Schwarz: Um Mitleid geht es ja nicht.

Weber: Ja doch, es geht schon um die Fragestellung, wenn bei so einem Gefecht dann jemand umkommt und getötet wird, dann geht es um die Fragestellung, ob man da sozusagen Mitleid empfindet, und das hält sich wie gesagt stark in Grenzen. Deswegen glaube ich, es ist insgesamt eine gute Entscheidung gewesen und eine gute Sache, dass Osama bin Laden jetzt diese Strukturen nicht mehr als Ikone sozusagen anführen kann. Das ist richtig und gut.

Marietta Schwarz: Vielen Dank an Manfred Weber, stellvertretender Vorsitzender der EVP im Europäischen Parlament, danke Ihnen!

Weber: Ich bedanke mich!
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