"Die einzige Konsequenz"

Herbert Schmalstieg im Gespräch mit Marcus Pindur · 04.01.2012
Nach Ansicht des ehemaligen Oberbürgermeisters von Hannover, Herbert Schmalstieg (SPD), sollte Bundespräsident Christian Wulff aus der Kredit-Affäre Konsequenzen ziehen. Wulff habe oft genug anderen Politikern Fehlverhalten im Amt vorgeworfen und diese zum Rücktritt aufgefordert.
Marcus Pindur: Immer mehr Beobachter haben den Eindruck, dass die Krise um seinen 500.000-Euro-Kredit dem Bundespräsidenten entglitten ist. Viele verwundert, wie schnell Wulff die Fassung verloren hat – ein Anruf auf der Mailbox des "Bild"-Chefredakteurs Diekmann zeugt davon. Und die Kritik an Wulff, die wächst, und das Unbehagen wächst auch, auch im eigenen Lager. Klaus Heinrich berichtet.

Wir wollen jetzt mit einem lang gedienten Hannoveraner, einem Niedersachsen reden, dem Oberbürgermeister von 1972 bis 2006, mit dem Sozialdemokraten Herbert Schmalstieg. Guten Morgen, Herr Schmalstieg!

Herbert Schmalstieg: Guten Morgen, Herr Pindur!

Pindur: In der Presse ist allenthalben von einem System Hannover die Rede. Gibt es das tatsächlich oder ist Niedersachsens Landeshauptstadt eben auch eine Landeshauptstadt wie viele andere in Deutschland, wo Journalisten, Politiker, Unternehmer relativ eng auf einem Haufen glucken?

Schmalstieg: Nein, es gibt kein System Hannover, sondern es ist eine Situation in Hannover wie in allen anderen Städten auch, dass es eine gute Zusammenarbeit geben muss zwischen den politisch Verantwortlichen aus der Stadt, aus dem Land und der Wirtschaft, der Universität und auch den Journalisten. Denn es kommt ja auf eines an - dass man versucht, die eigene Stadt, das eigene Land nach vorne zu bringen.

Und da geht es natürlich darum, Arbeitsplätze zu sichern, und wenn eine Stadt wie Hannover mit dem größten privaten Arbeitgeber Volkswagen, mit der Tui, mit einer großen Versicherungslandschaft eine wichtige Grundlage hat für eine Prosperität als Expo-Stadt, als internationale Messestadt Bedeutung hat, dann ist es völlig klar, dass man da zusammenarbeiten muss.

Pindur: Die Stärkung der Rolle Hannovers ist das eine, aber es ist schon auffällig, wie da auch, ich sag mal Freundeskreise von einem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten – Gerhard Schröder damals – sozusagen weitervererbt werden an den nächsten Ministerpräsident, Christian Wulff, und besonders der Unternehmer Maschmeyer ist da hervorgetreten.

Schmalstieg: Nun ist es richtig, dass sicherlich Carsten Maschmeyer, aber auch andere versucht haben, immer wieder Kontakt zu den wichtigen Führungspersönlichkeiten des Landes zu gewinnen, aber es hat immer Politiker aus Hannover gegeben, die eine große Rolle in Bonn oder in Berlin gespielt haben. Das war in den 70er-Jahren so, als zwei Hannoveraner Bundesminister waren, das ist auch heute so, wenn in den Parteien Parteivorsitzende aus Hannover kommen, wenn der Bundespräsident, ein Bundeskanzler aus Hannover kamen, der Vizekanzler aus Hannover kommt. Ich glaube, das darf man der Stadt nicht anlasten, sondern das zeigt, dass hier ein großes politisches Potenzial war und ist.

Pindur: Es geht weniger darum, das der Stadt Hannover, die wir natürlich alle kennen und lieben, anzulasten, es geht eher darum, einfach mal nachzufragen, ob das problematisch ist, dieses enge Aufeinandersitzen und dieses Gewebe von gegenseitigen Abhängigkeit, das da unter Umständen auch gestrickt wird.

Schmalstieg: Genau das ist das Problem. Wenn man zu eng aufeinanderhockt, wenn man die Distanz nicht wahrt, wenn man Abhängigkeiten schafft, wenn man Vorteile annimmt, die man eigentlich nicht annehmen darf, weil insbesondere das Ministergesetz dem auch entgegensteht, dann ist, glaube ich, das, wie man das ja heute formuliert, der Rubikon wirklich überschritten – in einem anderen Sinne, als es vielleicht gemeint gewesen ist.

Pindur: Sie haben eben auch den Einfluss von VW genannt – gibt es einen großen Einfluss von VW auf die Politik, ist das verlockend? Da sind unter Umständen auch Posten zu vergeben, da gibt es immer eine Rückwirkung in die Politik, die berühmteste ist wohl diejenige von Peter Hartz, dem ehemaligen Arbeitsdirektor. Nimmt VW einen großen Einfluss auf die Landespolitik, vielleicht einen zu großen?

Schmalstieg: Volkswagen ist der größte Arbeitgeber Niedersachsens. Wenn es VW nicht gut geht, geht es dem gesamten Land nicht gut, und deswegen muss das Land darauf achten, einen Einfluss auch auf VW zu haben. Nur ich sage, Ursache und Wirkung muss man miteinander betrachten. Und wenn man vielleicht nicht so gefestigt ist, wie man sein müsste in einer politischen Verantwortung, dann kann es danebengehen und dann kommt ein Geschmäckle auf.

Pindur: Christian Wulff hat einen engen Kontakt zur "Bild" Hannover gepflegt, zur "Bild"-Zeitung dort. Die hat sehr, sehr rücksichtsvoll über seine Scheidung berichtet, und er ist von der "Bild"-Zeitung im Allgemeinen sehr hochgehalten worden, war deshalb vielleicht besonders überrascht, dass jetzt in "Bild" ein kritischer Artikel über ihn zur Veröffentlichung gekommen ist. Haben Sie in Hannover auch so einen engen Kontakt zur "Bild"-Zeitung gepflegt?

Schmalstieg: Es gab unterschiedliche Phasen. Es gab Phasen, wo die "Bild" Hannover sehr positiv zur Stadtpolitik stand und wo sie auch mitgeholfen hat, die Stadt zu unterstützen, und dann gab es Phasen, wo "Bild" ganz eindeutig eine politische Weisung offensichtlich hatte, dafür Sorge zu tragen, politische Veränderungen in der Stadt Hannover voranzutreiben, wo die Stadt sehr stark attackiert wurde. Aber bei uns war es auch so, dass wir immer die Distanz gewahrt haben und dass wir darauf geachtet haben, nicht in die Pressefreiheit einzugreifen. Natürlich gibt es hier und da mal den Hinweis, dass man sagt, muss das sein, dass ihr das so macht, aber das kann nicht so sein, dass man wirklich die Fassung verliert und Bedrohungen ausspricht.

Pindur: Haben Sie den Eindruck ... Das ist das eine, das andere ist: Haben Sie den Eindruck, dass das vielleicht ein Rücktrittsgrund wäre für Christian Wulff?

Schmalstieg: Also ich glaube, Herr Wulff muss die gleichen Maßstäbe anlegen, die er in Niedersachsen angelegt hat. Ich erinnere mich daran, als Gerhard Schröder mit Herrn Piëch beim Wiener Opernball war. Was gab es da für einen wirklich berechtigten und unberechtigten Aufstand im niedersächsischen Landtag. Schröder hat sich entschuldigt, hat die Sache geregelt.

Als Glogowski Ministerpräsident war, hat Christian Wulff gefordert, dass er zurücktreten muss – der ist auch zurückgetreten. Als Rau, Johannes Rau, ein Bundespräsident, den ich sehr, sehr geschätzt habe, der auch hohes Ansehen hatte, wegen der Flüge mit der WestLB in Schwierigkeiten kam, hat Wulff – das Zitat ist ja allgemein bekannt – erklärt, dass ein Bundespräsident Vorbild sein muss, dass er keine Achtung mehr vor ihm habe.

Er hat das Ministergesetz in Niedersachsen in einer Art und Weise mit verschärft, er wollte es noch schärfer fassen – dann muss man sich auch danach richten. Und ich erwarte von einem ehemaligen Ministerpräsidenten und jetzigen Bundespräsidenten, dass er die gleichen Maßstäbe anlegt, die er beispielsweise der SPD und anderen empfohlen hat, als Johannes Rau in Schwierigkeiten war. Das ist eine Konsequenz.

Pindur: Sollte Christian Wulff also zurücktreten?

Schmalstieg: Also wenn Sie das so interpretieren, was ich gesagt habe, dann ist das die einzige Konsequenz.

Pindur: Haben Sie recht herzlichen Dank für das Gespräch! Der langjährige Oberbürgermeister von Hannover, Herbert Schmalstieg, von 1972 bis 2006 stand er dort dem Stadtrat vor.


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