Die einen und die anderen Einwanderer

Von Aishe Malekshahi · 30.01.2011
"Israel im Orient – Orient in Israel" – so hat die Heinrich-Böll-Stiftung ihre diesjährige Filmreihe genannt. Es geht um den Alltag der Misrachim – der aus den arabischen und muslimischen Ländern nach Israel eingewanderten Juden. Ein heißes Thema.
Ein Flugzeug landet. Zwei Israelis stehen etwas abseits am Rollfeld, der eine fragt: "Touristen oder Einwanderer? Hälfte, Hälfte" antwortet der andere.

So eröffnet Ephraim Kishon seinen Spielfilm "Sallah Shabati" und schon die erste Sequenz zeigt den Konflikt: Westlich gekleidete Passagiere und die jemenitische Großfamilie, die nach Israel einwandert. 1964 hat der israelische Schriftsteller Ephraim Kishon den Film gedreht.

"Das ist ein rassistischer Film."

Sagt Iris Hefets. Sie ist Vorstandsmitglied der Organisation Jüdische Stimmen für gerechten Frieden im Nahen Osten und hat in einem Offenen Brief mit 44 weiteren Intellektuellen aus Israel und Deutschland die Heinrich-Böll Stiftung für ihre Filmauswahl kritisiert.

"Ein klassischer Ostjude diesmal als Misrachi getarnt – der schmutzig ist, faul, schummelt, er verkauft seine Tochter für Geld, der keine Ahnung hat, wie viele Kinder er hat. Er hat keinen Bezug zu denen. Das finde ich, in Deutschland, wo es verboten ist, solche rassistischen Filme mit antisemitischen Stereotypen zu zeigen – das finde ich das Allerletzte."

Die Heinrich Böll-Stiftung hat mittlerweile auf den offenen Brief reagiert. Im Gespräch erklärt Bernd Asbach, Leiter des Referats Naher und Mittlerer Osten bei der Stiftung, warum sie Kishons "Sallah Shabati" ausgewählt haben. Der Spielfilm gehöre zu den sogenannten Bourekas, zum populären israelischen Unterhaltungskino. Trotzdem war Bernd Asbach über die Heftigkeit der Kritik erstaunt.

"Sie werfen uns Geschichtsfälschung vor, das macht sich fest an einem kurzen Ankündigungstext, den wir geschrieben haben – in der wir die Rolle Israels nicht ausreichend gewürdigt haben – sag ich jetzt mal bei der Einwanderung, weil der Staat Israel, das seine dazu getan hat – auch in Verhandlungen mit den arabischen Staaten, da großes Interesse darin bestand, Heimstatt der Juden zu sein."

Späte Einsicht auf Seiten der Stiftung. Dabei wollte die Institution sich mit der diesjährigen Filmreihe "Israel im Orient und Orient in Israel" dem Alltag der Misrachim – der aus den arabischen und muslimischen Ländern nach Israel eingewanderten Juden - widmen. Ihr Fehler - sprachliche Verharmlosungen.

Die Misrachim wurden in Anführungszeichen gesetzt und die Region nicht mehr gerade zeitgemäß als Orient benannt. Doch seit den Studien des palästinensischen Intellektuellen Edward Said über das 19. und frühe 20. Jahrhundert – ist Orient ein Synonym für den eurozentrischen, westlichen Blick auf die Gesellschaften des Vorderen Orients – der leider immer einher ging mit einem Überlegenheitsgefühl. Auf Israel übertragen bedeutet dies, das Verhältnis von Ashkenasi - den aus Europa stammenden Juden – zu den Misrachim zu thematisieren. Iris Hefets:

"Wir, die Juden aus arabischen und muslimischen Ländern – wir heißen Misrachim und nicht Sephardim, wie die Heinrich Böll Stiftung das behauptet. Misrachim ist eine politische Definition und das bedeutet, das wir nicht Weiße sind. Das bedeutet alle, die nicht weiß sind, nicht privilegiert in Israel sind, sondern gezielt unterdrückt wurden. Was die Heinrich-Böll-Stiftung macht - ist das zionistische Spiel mitzuspielen, auf unsere Kosten, weil sie unsere Unterdrückung vernachlässigt oder verharmlost, um zu sagen, dass wir Flüchtlinge sind."

Um den Konflikt zu verstehen, muss man wissen, dass die Misrachim in den arabischen und muslimischen Ländern integriert waren, auch noch nach der Staatsgründung Israels. Denn den Juden Marokkos oder Iraks war der Antisemitismus Europas fremd, ebenso der Zionismus. Erst die Abkommen zwischen Israel und den jeweiligen Ländern beschleunigten die Auswanderung. Davon erzählen Dokumentarfilme wie "My Fantasia" von Duki Dror oder "Forget Baghdad" von Samir, die in der Filmreihe gezeigt wurden.

Atmo aus "Forget Baghdad":

""Geboren wurde ich in Bagdad, nein, nicht in dem Bagdad unserer Fantasien, sondern in einem modernen Staat, Autos, modernen Straßen und modernen Häusern.""

Eindringlich erzählen die Regisseure vom Lebensgefühl irakischer Juden: Die einen waren Kommunisten, die anderen zählten zur zionistischen Minderheit. Doch ihnen gemeinsam war und ist ihr Leben in Israel zwischen Anpassung und Fremdheit. Die Dokumentarfilme findet auch Iris Hefets wichtig. Trotzdem hält sie ihre Kritik an der Filmauswahl der Heinrich Böll-Stiftung fest:

"Erstens ist die Filmauswahl sehr chauvinistisch. Es gibt keine Frau, die ihre Filme dort zeigt. Obwohl es viele Miszrachi Frauen gibt, die gute Filme gemacht haben. Zum Beispiel Misrachi, Simone Bitton - auch Regisseurinnen, die sich international einen Namen gemacht haben. Es gibt keine Filme, die Proteste zeigen. Es gab einen Film 'Black Panther speak' von Eli Hamo und Sami Shalom Chetrit, die haben ihren Film zurückgezogen, weil sie überhaupt nicht gefragt wurden, ob sie ihren Film in diesem Programm zeigen wollten. Sie tun uns keinen Gefallen. Die Filme sind Misrachi-light."

Bis zu einem gewissen Grad teilt der israelische Wissenschaftler Yossi Yonah die Kritik. Allerdings kritisiert der Gast der Heinrich Böll-Stiftung auch die Kritiker und meint, man hätte doch abwarten können, wie die Filme, die das Zusammenleben von Ashkenasi und Misrachim zeigen; die die Verletzungen, die Diskriminierungen zum Thema haben, wie diese Filmreihe in Berlin angenommen werden. Deshalb sei er hier, um am Montagabend über die "Die Rückkehr Israels in den Nahen Osten" zu diskutieren. Die Böll-Stiftung biete doch lediglich eine Plattform und dann kann man doch über alles reden. Eben auch darüber, wie der Konflikt begann. Yossi Yonah:

"Der Zionismus hat dazu beigetragen, dass es Spannungen in der arabischen und in der muslimischen Welt gab. Nehmen Sie den Iran. Die iranischen Juden haben doch bis zur Islamischen Revolution dort gut gelebt. Ich kann also die Kritik verstehen, wenn gesagt wird, der Zionismus hat uns von der muslimischen Welt getrennt."

Yossi Yonah stammt selbst aus einer irakischen Familie. Im Gespräch betont er seine Verbundenheit mit der arabischen Welt. Seit Jahren engagiert sich der israelische Wissenschaftler für die Genfer Friedensinitiative, plädiert für eine Zwei- Staatenlösung - für ein selbständiges Palästina. Aber auch für seine israelische Heimat hat Yossi Yonah klare Visionen, um den seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt zwischen Ashkenasim und Misrachim zu lösen. Yossi Yonah:

"Man sollte die vielen Facetten der arabischen Kultur noch stärker in die israelische Gesellschaft hineintragen und sich auf die historischen arabischen und europäischen Wurzeln besinnen. Ich möchte auch dafür plädieren, dass wir eine gemeinsame judeo-islamische Tradition etablieren. Nur so kann man Sichtweisen aufbrechen. Wir sehen uns dann nicht mehr als eine Insel im Mittleren Osten, sondern können uns als Teil eines Puzzles betrachten, um uns stärker zur Region zugehörig zu fühlen – ohne darüber den Westen zu vernachlässigen. Ich würde mir wünschen, dass meine Gesellschaft es auch so sehen würde."