Die DDR und Buchenwald

Helden in der Hölle

Ein zweistöckiger Wachturm hinter einem Stacheldrahtzaun.
Schriftsteller Bruno Apitz war acht Jahre lang Häftling im KZ Buchenwald © imago / Ulli Winkler
Von Maximilian Julius Klein und Thomas Klug · 29.04.2015
Helden oder Verräter? Bruno Apitz' Roman "Nackt unter Wölfen" galt in der DDR als antifaschistische Bibel und machte kommunistische KZ-Häftlinge zu Helden - und zwar ausnahmslos. Wie erst später bekannt wurde, musste der Schriftsteller einige kritische Passagen streichen.
Ein Film wird gedreht – und der Appellplatz eines ehemaligen Konzentrationslagers wird zur Filmkulisse. Armin Mueller-Stahl, einer der Hauptdarsteller, erinnert sich an die Dreharbeiten in Buchenwald 1962:
"Es war die Bekanntschaft mit den Gräueltaten dort in Buchenwald, direkt an der Stelle zu drehen, wo das stattfand, die Gräuel. Und die in Weimar unten wussten angeblich von nichts. Und das ist zum Ettersberg ein paar Kilometer auch. Das ist so eine merkwürdige Verdrängung, die dort stattgefunden hat. Und diesen Verdrängungsmechanismus sind wir dort oben losgeworden."
Erst war der Stoff in der DDR nicht gewollt – weder als Film noch als Buch. Doch Bruno Apitz konnte nicht von der Geschichte der Rettung eines Kindes im KZ Buchenwald lassen. Sein 1958 erschienenes Buch "Nackt unter Wölfen" wurde erfolgreich in mehrere Sprachen übersetzt und allein in der DDR zweimal verfilmt. Bruno Apitz war selbst mehrere Jahre Häftling im KZ Buchenwald.
Seinem Roman "Nackt unter Wölfen" stellt er diese Worte voran:
"Ich grüße mit dem Buch unsere toten Kampfgenossen aller Nationen, die wir auf unserem opferreichen Weg im Lager Buchenwald zurücklassen mussten. Sie zu ehren, gab ich vielen Gestalten des Buches ihre Namen."
Doch wen ehrt er und wen lieber nicht? Es gab Häftlinge, die als Kapos an der Organisation des Lagers mitwirkten. Waren die Kommunisten, die dabei mitmachten, mitschuldig am verbrecherischen Lagersystem? Für die literarische und filmische Verarbeitung des Stoffs in der DDR eine heikle Frage.
Von politischen Rücksichtnahmen gekennzeichnet
Susanne Hantke, die 2012 eine erweiterte Neuausgabe von "Nackt unter Wölfen" herausgegeben hat:
"Das war Bruno Apitz auch bewusst. Er hat deutlich gespürt, dass die Vorwürfe, denen die Kommunisten Anfang der fünfziger Jahre ausgesetzt waren, auch innerhalb der eigenen Partei, dass das Vorwürfe sind, die also ein moralisches Urteil fällen, das er nicht mittragen konnte. Und er sich mit dem Schreiben auch hingesetzt hat, eine rettende Kritik für die Buchenwalder Kommunisten zu formulieren, um eben diese Entscheidung zu zeigen. Es gab für ihn gar keine Alternative, dass diese Funktionsstellen von den politischen Häftlingen besetzt wurden."
"Interessant ist aber, wenn man in die Manuskripttexte hineinschaut, dass die ursprüngliche Intention von Bruno Apitz war, nicht nur den Lagerwiderstand der Kommunisten zu beschreiben, sondern auch die Zwiespältigkeiten der kommunistischen Funktionshäftlinge darzustellen. Und in ihrer ganzen Ambivalenz auch."
Das verunsicherte die SED-Machthaber in den 1950er Jahren. Walter Ulbricht, der Erste Sekretär des Zentralkomitees der SED, taugte nicht zum kommunistischen Widerstandshelden: er hatte die Zeit der Nazi-Diktatur in der Sowjetunion verbracht. Und die Kommunisten in den Konzentrationslagern? Durfte Bruno Apitz sie als Helden stilisieren?
Hantke: "Die Vorwürfe, die auch innerhalb der Partei an der Rolle der Kommunisten laut wurden, bis zu dem Vorwurf, sie hätten keinen Widerstand geleistet - das hatte er also nicht auf sich beruhen lassen können. Er hatte ganz klar eine andere Sicht gehabt und ihm war ganz wichtig eben diesen Widerstand zu beschreiben und er hat da letztlich auch dran geglaubt, dass sie diese Befreiung von Buchenwald auch wirklich, also mit Waffengewalt erkämpft haben."
"Nackt unter Wölfen" war ein Nachkriegsroman, der Geschichte nicht einfach verarbeiten konnte, sondern von politischen Rücksichtnahmen gekennzeichnet war.
Hantke: "Und das zeigt sich in den Manuskripten anhand von Textstellen, die mit Figuren beschrieben sind, die in der späteren Fassung gar nicht mehr enthalten sind. Da ist eine Figur eines SS-Arztes, der so eingeführt wird in die Handlung, dass er ankommende kranke Häftlinge selektiert, heraussucht, um sie dann im Anschluss mit einer Giftspritze zu ermorden und kommunistische Funktionshäftlinge sind dazu angehalten, diesen Vorgang mit zu assistieren."
Figuren im Roman wurden gestrichen
Einer der Kapos und Mitglied des illegalen Lagerkomitees in Buchenwald war Erich Busse, ehemaliger Reichstagsabgeordneter der KPD und 1934 von den Nazis wegen "Hochverrats" verurteilt. Im Sommer 1945 wurde er Thüringer Innenminister. Zwei Jahre später wurde er abgesetzt. Es gab interne Parteiverfahren gegen ihn. 1950 wurde er in das russische Arbeitslager Workuta, nördlich des Polarkreises verschleppt.
Hantke: "In der Frühfassung gibt es auch eine Figur eines Kapos, die auch im Laufe des Schreibens gestrichen wird und Charaktereigenschaften von Ernst Busse, die man aus Berichten von Häftlingen entnehmen kann, die finden sich wieder in diesen Figureneigenschaften in der ersten Fassung."
Die stalinistischen "Säuberungen" wirkten nach, die Willkür, mit der auch KZ-Überlebende denunziert und als Kriegsverbrecher verurteilt wurden. Erich Busse wurde vorgeworfen, in Buchenwald zu eng mit der SS zusammengearbeitet zu haben. Kann man überhaupt von Zusammenarbeit sprechen – da die Kapos auch Häftlinge waren?
Das hätte der Stoff für eine geschichtliche Aufarbeitungsdebatte sein können. Aber solche Fragen wurden in den 1950er Jahren dazu benutzt, um den Machtkampf zu entscheiden: den Kampf zwischen den Kommunisten, die von den Nazis verhaftet wurden und denen, die rechtzeitig in die Sowjetunion emigrierten. Öffentlich wurde das im SED-Staat natürlich nicht thematisiert und musste deshalb auch aus der Literatur verbannt werden, was sich im Werk von Bruno Apitz niederschlägt.
Hantke: "Im Falle der Figur des Häftlings-Krankenbaus muss man sagen, dass er diese Figur gestrichen hat, nachdem er wusste, dass Ernst Busse im Gulag umgekommen sein muss. Das war Ende 1955, als auch ein anderer ehemaliger kommunistischer Funktionshäftling der mit ihm zusammen damals verurteilt worden war, Erich Reschke, aus dem Gulag zurückkam und es dann eigentlich, dieser Mann, Ernst Busse, eine Unperson war, über den er auch nicht andeutungsweise hätte schreiben können."
Wer will darüber richten, wie ein KZ-Häftling versucht hat, sein Leben zu retten? Kann ein Konzentrationslager überhaupt der Ort für Helden sein? Die moralischen Fragen durften nicht gestellt werden: Da waren Bruno Apitz und seiner literarischen Verarbeitung der NS-Geschichte Grenzen gesetzt.
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