"Die Daten sind sehr sensibel"

Moderation: Marie Sagenschneider · 02.11.2007
Peter Schaar, Bundesbeauftragter für den Datenschutz, hält die Planungen zur Vorratsdatenspeicherung für bedenklich. Bei Telefongesprächen und der Nutzung des Internets würden hoch sensible Daten ausgetauscht, sagte Schaar.
Marie Sagenschneider: Wer mit wem am Telefon gesprochen oder wer wann das Internet benutzt und E-Mails verschickt hat, das sollen die Telekommunikationsunternehmen künftig sechs Monate lang speichern. So plant es die Bundesregierung. Und über den entsprechenden Gesetzesentwurf wird der Bundestag in der kommenden Woche entscheiden. Damit sollen gleichzeitig auch neue Regelungen für die Telefonüberwachung beschlossen werden, und auch das stößt vielfach auf Kritik. Bestimmte Berufsgruppen wie Ärzte, Therapeuten, auch Journalisten klagen darüber, dass das Berufsgeheimnis untergraben wird. Mehr und mehr Kontrolle, immer umfangreichere Datenspeicherungen, der elektronische Reisepass mit Fingerabdruck ist gerade erst eingeführt worden, und der elektronische Personalausweis geplant. Sind wir tatsächlich, wie die Grünen meinen, auf dem Weg in den präventiven Überwachungsstaat, oder stecken wir schon mittendrin? Peter Schaar ist Bundesdatenschutzbeauftragter und nun am Telefon von Deutschlandradio Kultur. Guten Morgen, Herr Schaar!

Peter Schaar: Guten Morgen!

Sagenschneider: Diese Vorratspeicherung, die da beschlossen werden soll, für wie heikel halten Sie die, oder ist das nicht so bedenklich?

Schaar: Also aus meiner Sicht ist das eigentlich der bedenklichste Schritt in Richtung von mehr Überwachung. Denn hier geht man von einer konkreten Verdachtsituation, von einer konkreten Gefahr ab, und sagt, jeder, der das Internet benutzt, jeder, der telefoniert, wird registriert. Es ist schon eine neue Qualität, die hier entsteht, denn die Daten, die dabei anfallen, sind doch sehr sensibel. Sie unterliegen im Übrigen auch dem Fernmeldegeheimnis. Wenn ich die Telefonseelsorge anrufe, wenn ich mich mit einer Suchtberatungseinrichtung in Verbindung setze, dann ist deutlich, dass ich ein gewisses Problem habe, möglicherweise ein sehr schwerwiegendes Problem. Durch diese Verbindungs- oder Verkehrsdaten ist zudem so etwas wie ein Kommunikationsprofil zu bilden, sodass man sagen kann, der hat mit dem telefoniert und der wiederum mit dem, sodass man ganze Kommunikationsnetzwerke abbilden kann mittels dieser Verkehrsdaten. Das ist schon sehr weitgehend. Denken Sie an den Journalisten, der darauf angewiesen ist, dass er auch Informationen bekommt. Man kann dann anhand dieser Verkehrsdaten nachvollziehen, mit wem hat er telefoniert, und mit wem hat derjenige, mit dem man telefoniert hat, vorher auch telefoniert. Und bei der Internetnutzung sind die Spuren entsprechend.

Sagenschneider: Aber ist es nicht jetzt schon möglich? Denn jetzt schon speichern die Telekommunikationsunternehmen all diese Daten ja drei Monate lang aus Abrechnungsgründen.

Schaar: Also erst mal ist es nicht richtig, dass alle Telekommunikationsunternehmen alle diese Daten für drei Monate speichern. Zum Beispiel die ganzen Internetdaten werden unmittelbar nach der Verbindung gelöscht. Das steht so im Gesetz. Maximal nach sieben Tagen sind diese Daten weg. In Zukunft werden diese Daten ein halbes Jahr gespeichert werden, das ist schon ein gewisser Unterschied. Diese Abrechnungsnotwendigkeit hat in der Tat dazu geführt, dass es in der Vergangenheit bei vielen Telefongesellschaften solche Speicherungen gegeben hat, aber eben auch nicht überall.

Sagenschneider: Rechnen Sie damit, Herr Schaar, dass man noch mal Veränderungen bis zur nächsten Woche vornehmen wird? Denn es gibt ja unterschiedliche Behandlungen, also Geistliche, Abgeordnete, auch Strafverteidiger, die sollen von verdeckten Ermittlungsverfahren ausgenommen werden, Ärzte, Therapeuten und Journalisten nicht.

Schaar: Nun, also diese Vorratsdatenspeicherung gilt unterschiedslos für alle. Diese Differenzierung gibt es bei den Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen, und sie hat mir eigentlich noch nie eingeleuchtet. Warum ist beispielsweise das Gespräch mit einem Abgeordneten vollständig tabu, das Gespräch mit dem Arzt aber nicht? Also da muss ich mich wirklich fragen, ist es nicht eigentlich sogar umgekehrt. Ist nicht das Gespräch, das ich mit meinem Arzt führe, sensibler und damit schützenswerter als das Gespräch, dass ich vielleicht mit einem Abgeordneten führe? Ich bin nicht für die Aufweichung, um dazu nicht falsch verstanden zu werden, für die Aufweichung von Zeugnisverweigerungsrechten für Abgeordnete, aber ich hätte es lieber gesehen, wenn man auch den Ärzten und anderen Zeugnisverweigerungsberechtigten denselben Status eingeräumt hätte.

Sagenschneider: Weil wir jetzt dann sozusagen ein Zeugnisverweigerungsrecht erster und zweiter Klasse hätten?

Schaar: Das haben wir auch jetzt schon. Das ist nichts Neues. Ich hätte mich allerdings gefreut, wenn man da mal zu einer anderen Situation gekommen wäre. Beim Großen Lauschangriff im Übrigen hat man tatsächlich von dieser Differenzierung abgesehen. Da hat es ja auch erst mal den Ansatz gegeben seitens der Bundesregierung, hier solche Differenzierung vorzunehmen, und schließlich war gerade aufgrund der öffentlichen Diskussion eine Gleichstellung erfolgt. Heute ist es so, dass sicher bei diesen anderen Ermittlungsmaßnahmen eben noch nach wie vor differenziert wird, obwohl die Bundesregierung auch dieses Niveau des Schutzes des Zeugnisverweigerungsrechtes in letzter Zeit noch mal ein wenig angehoben hat. Das muss man allerdings auch insofern konstatieren.

Sagenschneider: So in der Gesamtbewertung dieser Planung würden Sie sagen, Herr Schaar, dies alles ist noch vereinbar mit dem Grundgesetz, oder wird hier dann doch das Fernmelde- und Pressegeheimnis ausgehebelt?

Schaar: Man muss hier wirklich sehr differenzieren. Ich denke, dass die Regelungen zur Fernmeldeüberwachung, also zum Abhören, besser sind als das, was wir bisher haben. Damit werden bestimmte Regelungen, die das Bundesverfassungsgericht beanstandet hat, verbessert, wenn auch nicht in dem Maße, wie ich mir das gewünscht hätte. Bei der Vorratsdatenspeicherung geht es hingegen in die falsche Richtung. Da würde ich sagen, wir bekommen eine Art Generalverdacht, wir bekommen die generelle, anlasslose Speicherung sämtlicher Kommunikationsdaten. Das ist doch schon sehr weitgehend.

Sagenschneider: Das heißt, man beantwortet gar nicht mehr so richtig die Frage, wozu ist es nützlich, so viele Daten zu speichern, und was bringt es wirklich?

Schaar: Na ja, teilweise sind es ja europäische Vorgaben, die hier umgesetzt werden. Das gilt insbesondere für die Vorratsdatenspeicherung. Aber da kann man andererseits auch nicht einfach nur auf Europa verweisen, denn letztlich hat die Bundesregierung diesem Vorhaben ja auch zugestimmt.

Sagenschneider: Und wollte sogar noch mehr, als ein halbes Jahr, wenn ich mich recht entsinne, wollte Herr Schäuble ein Jahr Speicherung haben?

Schaar: Der jetzige Bundesinnenminister, aber auch schon seit Vorgänger haben noch längere Speicherungsfristen gefordert. Die Justizministerin war da eher skeptisch.

Sagenschneider: Dieser Trend, Herr Schaar, den Sie beschrieben haben, ist der so stark, dass man zurecht von einem präventiven Überwachungsstaat sprechen kann?

Schaar: Das sind so Schlagworte, die man irgendwie nicht mehr toppen kann. Deshalb hüte ich mich so ein bisschen, sie zu verwenden. Aber natürlich ist es eine Situation, in der wir immer gläserner werden, in der unser Verhalten immer stärker nachvollziehbar ist, und die jeweiligen Befugnisse werden ausgeweitet. Wir haben jetzt den Fingerabdruck im Pass. Es wird darüber diskutiert, das Ganze auszuweiten auf die Personalausweise. Das sind immer so kleine Schritte, die aber in ihrer Gesamtheit höchst kritisch sind.

Sagenschneider: Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Ich danke Ihnen!
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