Die Causa Wulff und die Rolle der Kanzlerin

Von Rainer Burchardt · 07.01.2012
Die Demokratie sei keine perfekte Staatsform, soll Sir Winston Churchill einmal sinngemäß formuliert und hinzugefügt haben, aber leider gebe es keine bessere. Doch seit längerem, nicht erst seit der jüngsten Bundespräsidentenaffäre wissen wir, es gibt gute und schlechte Demokratien, meint Rainer Burchardt, ehemaliger Chefredakteur des Deutschlandfunks.
Und diese Bewertung hat gemeinhin weniger mit der Systematik, also den Spielregeln zu tun, sondern den in diesen Institutionen agierenden Verantwortungsträgern, sprich Politikern. Auffallend dabei ist, dass in letzter Zeit Regelverletzungen gerade in den höchsten Etagen des demokratischen Systems zu beklagen sind. Als Beispiele hierfür mögen die Namen Kazaw (Israel), Berlusconi (Italien) und Strauss-Kahn (IWF) stehen. Ihr zumeist privates Fehlverhalten hat sie auch politisch disqualifiziert, sie wurden gewissermaßen vom Hofe gejagt wie räudige Hunde. Kazaw sitzt zurzeit sogar im Gefängnis. So gesehen darf man beruhigt konstatieren, dass trotz aller Mängel die demokratischen Systeme offenbar noch ganz gut funktionieren.

Aber gerade vor dem Hintergrund der eben erwähnten Beispiele darf man gespannt, wie hierzulande die Affäre Wulff gelöst werden wird. Sicher, der Mann hat nicht einmal im Ansatz ähnlich gefehlt wie die soeben Erwähnten. Dennoch beschleicht mich zunehmend das unbehagliche Gefühl, dass wir aufgrund opportunistischer Regelauslegung der politischen Verantwortungsträger hierzulande geradewegs auf eine Krise der demokratischen Institutionen hinsteuern. Ob daraus eine Staatskrise erwachsen wird, wie der augenblicklich peinlich herumlavierende SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel orakelt, darf nun wirklich bezweifelt werden. Noch gibt es dafür keine Anzeichen, ganz gleich ob Wulff sein von ihm selbst arg lädiertes Amt behält oder nicht.

In der Präambel des Grundgesetzes wird von der Verantwortung vor Gott und den Menschen gesprochen und dies gelte für das gesamte Deutsche Volk. Und damit erst Recht für jene, die es in den demokratischen Institutionen repräsentieren. Und ganz besonders für den sogenannten ersten Mann im Staat, den Bundespräsidenten.

Das Regelwerk unseres Gemeinwesens ist nun einmal das Grundgesetz, dessen Gesamttenor nach dem schrecklichen zweiten Weltkrieg übrigens für viele Staaten als vorbildhaft bezeichnet und zu Recht adaptiert worden ist. Und eines der wichtigsten Grundrechte neben dem Schutz der Menschenwürde und dem Gleichheitsprinzip ist die Medienfreiheit, wie sie in Artikel fünf festgeschrieben ist.

Völlig zu Recht hat Christian Wulff gerade dies wiederholt auch schon in der Vergangenheit als ein hohes Gut bezeichnet. Sollte gerade er, und dies ausgerechnet bei einem nun eben nicht gerade zimperlichen Boulevardblatt dagegen verstoßen haben, und leider spricht vieles dafür, dann wäre er in dem von ihm ohnehin schon der Lächerlichkeit preisgegeben Amt im Schloss Bellevue in Berlin nicht mehr zu halten.

Mit dem Amtsversager Wulff werden jetzt auch die Schwächen des jahrelang prima funktionierenden Systems Merkel offenbar. Nicht die Qualifikation der von ihr geförderten Parteifreunde war ausschlaggebend, sondern ausschließlich der Gedanke wer ihr und ihrer persönlichen Machtposition gefährlich werden könnte. Entweder wurde aus dem Weg geräumt oder aber nach oben abgeschoben. Für die eine Gruppe steht Friedrich Merz für die andere, na wer wohl, richtig, Christian Wulff.

Nein, es hilft kein Drehen und kein Wenden, für die Präsidial-Personalie Wulff und damit das derzeitige demokratische Institutionendesaster trägt die Kanzlerin die Hauptverantwortung. Der kann, darf und sollte sie sich nicht entziehen.

Angela Merkel hat mit ihrer wohlkalkulierten Marionettenpolitik nicht nur in Sachen Wulff, die Bundesrepublik faktisch an den Rand einer Präsidialdemokratie geführt. Das wäre eine andere Republik, die derzeit jedoch weder die Verfassung noch das Volk will.

Auch wenn der Bundespräsident oft genug zu Unrecht nur als schmückendes Beiwerk und Grüßaugust des Systems angesehen wird, er hatte und hat die eminent wichtige Funktion gewissermaßen der oberste Hüter der politisch-moralischen Hygiene in diesem Land zu sein. Diese Funktion hat Wulff schon jetzt leichtfertig verspielt. Merkel muss handeln sonst wird letzten Endes sie behandelt. Auch das gehört zu den Regeln dieser zwar nicht perfekten aber letzten Endes dann doch wohl besten Staatsform, die schon so manche Institutionenkrise bravourös gemeistert hat.