Die Bibel abschreiben

Von „Genial!“ bis „Schwachsinn!“

Die heilige Schrift nach der Übersetzung Martin Luthers
Die gedruckte Lutherbibel wird in Mannheim per Hand abgeschrieben. © picture alliance / dpa / Jan Woitas
Von Martina Senghas · 02.07.2017
Früher schrieben Mönche die Bibel per Hand ab. Dann kam die Druckerpresse, Martin Luther und die evangelische Kirche. 500 Jahre später wird wieder mit dem Stift kopiert. Wir stellen die "verwegene" Aktion des Mannheimer Pfarrers Stefan Scholpp vor.
"ChristusFriedenGemeinde, Ulrich, Guten Tag … Ja genau, das R ist die Vorderseite und das L ist die Rückseite, Frau Glatzel…"
Im Pfarrbüro der Mannheimer ChristusFriedenGemeinde geht es seit Wochen zu wie in einem Taubenschlag. Hier meldet sich, wer Fragen zur Bibelabschreibeaktion hat, hier gibt es die nötigen Materialien und hier bringt man her, was man schon abgeschrieben hat. Viel zusätzliche Arbeit für die Pfarrsekretärinnen, aber oft verbunden mit schönen Begegnungen. Alexandra Ulrich.
"Was mich sehr beeindruckt hat war ganz am Anfang, da hat, da hat ne Dame angerufen und hat gesagt: ‚Ich bin jetzt knapp über fünfzig, hab seit meiner Konfirmation überhaupt nichts mehr mit der Kirche zu tun gehabt und ich möchte mitschreiben." Und die Dame hat mittlerweile glaube ich alleine 20 Kapitel geschrieben oder so."
Von insgesamt knapp 1200. Wie aber kommt man auf solch eine Idee? Ganz einfach, meint Stefan Scholpp, der Mannheimer Pfarrer, dem die ganze Aktion zu verdanken ist: Wenn es schon eine neu überarbeitete Lutherbibel gibt, dann müsse man die sich auch mal als Ganzes vornehmen.
"Abschreiben heißt, ich setzte mich mit einem Text sehr intensiv auseinander. Die Gedanken haben Zeit, den Worten zu folgen und was ich abgeschrieben habe, das ist anders durch mich durchgegangen als etwas ich nur gelesen habe. Das ist die Grundidee des Abschreibens. Ein bisserl old school, aber das hat ja auch einen Charme so etwas Antiquiertes im unserem digitalen Zeitalter zu machen."

Mitstreiter waren schnell gefunden

Er selbst bezeichnet das Projekt als "verwegen", dennoch fand er schnell Mitstreiter, die ihn dabei unterstützt haben, das Ganze zu organisieren. Unter anderem Michael Wegner, ein Mann aus der Gemeinde mit Verlagserfahrung.
"Na ja zunächst fragt man sich, auf was schreiben wir? Wie muss das Papier geartet sein, damit man wirklich mit einem Stift drauf schreiben kann, dass es gut aussieht, dass es nicht durchschlägt? Wie muss das Papier vorbreitet werden, dass es in die Ordnung kommt? Und so haben wir uns dran gemacht, die Größe des Papiers, die Farbe, dieses alles zu bedenken …"
… um möglichst gut vorbereitet an die ganze Sache heranzugehen. Alle, die mitmachen wollen, benutzen also das speziell für die Aktion gedruckte Papier und den gleichen Stift. Man kann Wunschstellen nennen oder sich einfach Kapitel zuteilen lassen. Alexandra Ulrich:
"Jetzt aktuell habe ich grade noch zwei Kapitel, die ich richtig vergeben kann, mehr gibt es nicht mehr zum offiziell vergeben, also es ist bombig. Was bei uns jetzt halt ganz aktiv läuft ist, dass nichts doppelt vergeben wird, dass nichts vergessen wird zu schreiben …"
… denn prinzipiell wird immer gleichzeitig von mehreren Leuten geschrieben. Stefan Scholpp:
"66 Bücher gibt, 66 Menschen können gleichzeitig schreiben, weil man immer nur ein biblisches Buch auf einer rechten Seite beginnen kann, dann geht es fortlaufend durch. So dass man warten muss, bis der Vorgänger fertig ist."

Eine intime Auseinandersetzung

Die ersten Reaktionen auf das Projekt reichten von "Genial!" bis "Schwachsinn!", aber das große Interesse zeigt, dass es offensichtlich den Nerv getroffen hat. Auf der einen Seite schwimmt es voll mit auf der Aktionswelle zum Reformationsjahr, auf der anderen aber führt es hin zu einer sehr intimen und auch handwerklichen Auseinandersetzung mit Text.
Die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer schreiben zuhause, man kann aber auch in die Christuskirche kommen. Für größere Gruppen wird an einigen Terminen ein Skriptorium eingerichtet, wo - wie einst in den Klöstern - an mehreren Tischen gleichzeitig gearbeitet werden kann. Manche schreiben auch nachmittags in der Zurückgezogenheit der Sakristei des Jugendstilbaus – so wie die beiden Freundinnen Christa Kähler und Elke Rosemeier.
"Ja ich bin Gemeindemitglied und hab das mitverfolgt und da hab ich Elke gefragt, das wäre doch schön, wenn wir das gemeinsam machen. Und so schreibt sie ein Kapitel und ich schreib ein Kapitel und wir verbringen jetzt hier den ganzen Nachmittag zusammen. Dieses Achten darauf, wie die Worte gesetzt sind und ob ich es auch richtig verstehe, das ist für mich jetzt heute was ganz Besonderes."
"Also ich hab das vorhin für mich auch versucht, das so ein bisschen in Worte zu fassen, weil ich gemerkt habe, dass ich wirklich ein bisschen aufgeregt war, bevor ich anfing, und hab das dann mit dem Begriff ‚Ehrfurcht‘ zusammenfassen können. Und ich hab das Gefühl, das ist was sehr wertvolles, dass ich als Mensch jetzt diese heiligen Worte jetzt abschreibe."

Staunen über die Brutalität der Bibel

Dass das Abschreiben an sich etwas sehr Besonderes ist, erleben viele, der Inhalt löst allerdings oft auch Erstaunen aus.
"Man hört doch einiges an Bemerkungen: Oh, das hätte ich mir nicht vorgestellt, dass das so brutal damals zuging, wieviel da von Krieg und legitimem Kampf und Mord und Todschlag die Rede ist, das ist schon interessant. Ist ja nicht alles Psalm 23, der Herr ist mein Hirte."
Monika Ortmann ist Abschreiberin, aber auch eine der vielen Korrekturleserinnen und -leser, Auch die braucht man, schließlich soll das Ganze am Ende möglichst fehlerfrei sein.
Das Projekt hat inzwischen weit über die ChristusFriedenGemeinde hinaus Interesse geweckt. Der Oberbürgermeister persönlich hat einen Teil abgeschrieben, Menschen aus anderen Stadtteilen und benachbarten Kommunen, Mitglieder anderer Konfessionen und auch Personen, die gar keinem Glauben angehören. Und alle sind zuversichtlich, dass die handgeschriebene Bibel wie vorgesehen bis zum 31. Oktober fertig wird.
Stefan Scholpp: "Das Endprodukt wird die neue Altarbibel der Christuskirche werden. Wir möchten nicht, dass das Buch im Schrank verschwindet und nie mehr sichtbar bleibt, sondern jeder der mitgemacht hat, aber auch alle anderen sollen es sehen. Es werden nach unseren Probeabschriften fünf Bände werden, und einen Registerband werden wir erstellen, in dem dann noch mal nachzulesen ist, wer hat mitgemacht und wer hat was geschrieben. Ich freu mich unglaublich drauf, weil wir da wir da ganz bei unserer Sache sind und offensichtlich auch ganz bei den Menschen."
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