Die Armut der Städte und die Solidarität

Von Günter Hellmich · 24.03.2012
Die Beschwerde aufgebrachter Westbürgermeister geht ins Leere. Ihr Beitrag hat mit dem Solidarpakt nichts zu tun. Kein Euro aus dem darbenden Dortmund fließt ins blitzende Jena - alles landet auf den Zins- beziehungsweise Tilgungskonten der Fondsgläubiger, meint Günter Hellmich.
Der arme Westen. Nachdem nun Bundespräsidial- und Kanzleramt in ostdeutscher Hand sind, kann niemand mehr darauf hoffen, dass die schreiende Ungerechtigkeit beendet wird. Alles Geld fließt in den Osten, wo doch Kohls blühende Landschaften dort längst Realität geworden sind, während im Westen grau in grau der Putz bröckelt. Wie gut, dass wenigstens ein paar SPD-Bürgermeister aus dem Ruhrpott das Medieninteresse in Wahlkampfzeiten nutzten, um die Wahrheit ans Licht zu bringen: Per Zwangsabgabe dürfen sie aus ihren Stadtkassen die Fachwerkschmuckkästchen Ostelbiens finanzieren, während die Stadtstraßen daheim nur noch mit dem Geländewagen zu befahren sind. Stadtkämmerer müssen Schwimmbäder und Bibliotheken schließen und dennoch Geld borgen, um den Solidarpakt zu finanzieren.

Alle Jahre wieder wird diese Platte neu aufgelegt. Immer wenn sich, wie jetzt zur Wahl, eine passende Gelegenheit ergibt. Die tränenreich erzählte Geschichte trifft auf ein verbreitetes Vorurteil, emotionalisiert auch deshalb aufs Trefflichste ist aber doch nur ein Märchen. Das Geld, das noch bis 2019 aus dem Solidarpakt II in die neuen Länder fließt kommt ausschließlich aus Bundes- und Landeskassen. Ihr Beitrag, von dem die aufgebrachten Westbürgermeister sprechen, hat mit dem Solidarpakt nichts zu tun.

Er dient allein dem Schuldenabtrag für den Fonds Deutsche Einheit, aus dem die erste Phase des Aufbau Ost finanziert wurde. Im Klartext: Kein Euro aus dem darbenden Dortmund fließt ins blitzende Jena - alles landet auf den Zins- beziehungsweise Tilgungskonten der Fondsgläubiger. So unsinnig die Behauptung ist, arme westdeutsche Kommunen finanzierten reichen ostdeutschen Städten eine Luxusausstattung, so falsch ist der Vorschlag den Solidarpakt aufzukündigen oder zu verändern. Die Mittel, die übrigens bis zum Auslaufen Ende des Jahrzehnts, kontinuierlich abgebaut werden, sind fester Bestandteil der mittelfristigen Finanzplanung in den neuen Ländern. Und mit dem Ablauf - auch das ist Bestandteil des Solidarpaktes - ist dann endgültig Schluss mit der Sonderfinanzierung des Aufbau Ost.

Der Kern des Problems ist ja nicht die ungerechte Verteilung von irgendwelchen Sonderfinanzierungen. Deshalb geht die Initiative der Ruhrpottbürgermeister in die falsche Richtung. Wofür sie kämpfen sollten, und wobei man sie unterstützen muss, ist eine generelle Regelung für die auskömmliche Finanzierung aller kommunalen Dienstleistungen. Ein Problem von Städten und Gemeinden ist doch, dass auf Bundes- und Landesebene publikumswirksam Dinge beschlossen werden, die dann vor Ort personalintensiv und kostenträchtig umgesetzt werden müssen. Von Hortplätzen bis Umwelt- oder Kinderschutz, um nur einige Felder zu nennen.

In seltenen Fällen - und dann auch nur langfristig - können Wirtschafts- und Sozialstruktur kommunalpolitisch verändert werden. Aber die Folgekosten sozialer Probleme landen bei der Kommune. Genauso begrenzt wie bei den Ausgaben ist die Möglichkeit, die Einnahmeseite zu beeinflussen. Man kann den Gewerbesteuerhebesatz senken oder erhöhen - aber wenn in der Region die Wirtschaftskraft fehlt, bringt das gar nichts. Wohl dem, der den Daimler und seine Zulieferer in der Umgebung hat. Da fließt die Gewerbesteuer.

In den alten Bundsländern schreiben nur die Stadtkämmerer in Baden-Württemberg und Bayern schwarze Zahlen. Obwohl 2011 ein gutes Steuerjahr war. Gleiche Lebensverhältnisse verspricht das Grundgesetz den Bundesbürgern. Das war der Ansatz für regionale Subventionen seit 1949, von der Zonenrandförderung über die Berlinhilfe bis zum Solidarpakt II. Auch nach 2019 wird dieser Anspruch nicht vollständig eingelöst worden sein, denn er ist eine Daueraufgabe. Jenseits von Neidreflexen muss sie gelöst werden. Dabei geht es ganz klar auch um Umverteilung.
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