Die Arabellion auf der Berlinale

Nora Younis und Kismet El-Syed im Gespräch mit Ulrike Timm · 16.02.2012
In "Reporting a Revolution" haben ägyptische Reporter festgehalten, wie sie den Sturz von Präsident Mubarak erlebten. Besonders schwierig sei es für sie gewesen, eine professionelle Distanz zu den Demonstranten zu wahren, sagen die Produzentinnen Nora Younis und Kismet El-Syed.
Ulrike Timm: Die Berlinale versteht sich wie kein anderes großes Festival auch als politisches Filmfestival, und so gilt ein Schwerpunkt der Arabellion: Ein Jahr nach dem Umsturz im arabischen Raum liegen jetzt die ersten großen Filme dazu vor. Und ganz aus der Unmittelbarkeit der Ereignisse lebt "Reporting a Revolution: von einer Revolution berichten". Junge Reporter der unabhängigen ägyptischen Tageszeitung "Al-Masri Al-Youm" haben festgehalten, wie sie die Absetzung des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak erlebten, und wie sie nicht zuletzt ihr eigenes Leben riskierten, um die Ereignisse festzuhalten. Zugeschaltet sind uns jetzt die beiden Produzenten von "Reporting a Revolution", Nora Younis und Kismet El-Syed. Welcome!

Nora Younis/Kismet El-Syed: Hello!

Timm: Man sieht den riesigen, entfesselten Strom der Demonstranten, der aus Kairos Vorortdistrikten ins Zentrum drängt, zum Tahrir-Platz. Man erlebt, wie die Masse gut gelaunt ihre machtvolle Präsenz genießt, sieht aber vor allem im Film, wie viel Gewalt, wie viele Tote dieser Umsturz gekostet hat. Wie haben die sechs jungen Reporter das gefilmt? Sie waren mitten drin, sie gehörten eigentlich zum großen Wir der Demonstranten, und zugleich wollten sie über die Demonstrationen berichten. Wie ging das?

El-Syed/Younis: Es war schon eine sehr, sehr große Herausforderung, weil keiner wusste natürlich, wie viel Gewalt letztendlich bei diesen Demonstrationen entstehen würde, und dann fanden sich die Reporter einfach nur mittendrin und wussten, sie müssen in irgendeiner Form darüber berichten. Das war natürlich in keinster Weise geplant, dass das so eskaliert, aber sie haben dann einfach versucht, sich in irgendeiner Weise an diese Situation anzupassen, und dann eben auch zu improvisieren.

Timm: Wie haben Sie sich denn in dieser Doppelrolle erlebt, als Teilnehmer emotional eingebunden und als Berichterstatter, der doch immer auch ein bisschen Distanz halten soll?

El-Syed/Younis: Natürlich hatte jeder der sechs Reporter mit sehr großen Herausforderungen zu kämpfen, zum Beispiel Mustafa hat einmal gefilmt mit seiner Kamera, wie ein Demonstrant angeschossen wurde, wie er blutet - das passierte genau vor dem Innenministerium. Und dann haben die Demonstranten zu ihm gesagt: Was machst du da, hilf uns doch! Und er hat dann eben mitgeholfen, und er hat diesen Schwerverletzten eben mit weggetragen. Und Wut und Frustration, das ist etwas, das alle Reporter erlebt haben.

Beispielsweise eine junge Reporterin ist von einem Polizisten geschlagen worden, und sie hat nichts weiter getan als ihren Job zu machen, sie hat einfach nur gefilmt, wie dieser Polizist Demonstranten schlägt, wie er sie verhaftet, und dabei ist sie dann selber von diesem Polizisten angegriffen worden, auch physisch angegriffen worden. Und manchmal konnte man sich das wirklich als Reporter nicht aussuchen, man wurde einfach Teil der Demonstranten. Und manchmal hat man das auch ganz bewusst getan. Man hat sich ganz bewusst auch dafür entschieden, und das ist dann auch nicht immer leicht, die Distanz zu wahren. Das sind dann bewusste Entscheidungen, die man in gewissen Situationen einfach treffen musste, und manchmal hatte man auch nicht mehr die Wahl, dann musste man einfach das Richtige tun.

Die Frage ist natürlich, wenn man als Journalist berichtet, und man soll immer mit dieser Distanz berichten, das ist sehr schwierig, weil man ist ja auch der Bürger, man ist ja auch der Bürger seines eigenen Landes, man ist ja selber davon betroffen. Es ist ja nicht so, dass man hier als ausländischer Journalist zum Beispiel über das berichtet, was in Syrien passiert, wo Leute ermordet werden. Man will ja auch selber, dass dieses Regime dann kippt. Die Frage ist halt nur, selbst wenn es einem gelingt, in irgendeiner Weise Distanz zu bewahren: Wie überlebt man das alles? Wie verkraftet man das alles, nachdem man doch sehr traumatische Sachen erlebt und gesehen hat?

Timm: Man sieht das ja auch in "Reporting a Revolution", gerade die junge Frau, die Reporterin, von der Sie erzählt haben, die gefilmt hat und dann geschlagen wurde, die wirklich fast weinen muss. Ist denn die Unerfahrenheit dieser sechs jungen Reporter, die noch überhaupt nicht cool waren, als sie da mitten drin steckten, ist diese Unerfahrenheit für den Film ein Vorteil gewesen?

El-Syed/Younis: Also ob das nun ein Vorteil ist oder nicht, das vermag ich jetzt gar nicht so zu beurteilen. Fakt ist, das ist passiert, das war die Realität, die sie dort erlebt haben. Und das ging auch anderen Journalisten so, und das ist schon etwas ganz Besonderes, wenn man über die Revolution im eigenen Land berichten muss. Und dann kommt auch hinzu, es ist wirklich eine Generation, die kannte nur Mubarak, die kannte überhaupt keine anderen Zeiten, und sie hat sich schon sehr, sehr lange mit der Ungerechtigkeit beschäftigt, die in Ägypten herrschte. Und sie wollten einfach darüber berichten, das war ein Teil ihrer Arbeit geworden, und das war ihnen auch sehr wichtig.

Timm: In den deutschen Nachrichten wurde immer wieder von der Zeltstadt auf dem Tahirplatz berichtet, die Stimmung dort, die konnte man ja oft fast fröhlich nennen. Der Film macht deutlich, von wie viel Gewalt der Weg bis dahin geprägt war: Jeder der sechs Journalisten hat Tote gesehen, war plötzlich auch Bürgerkriegsreporter. Einer von ihnen sagte, er habe Videos gefilmt, die er sich bis heute nicht ansehen kann, selber. Ist das eine Erfahrung, von der alle berichtet haben?

El-Syed/Younis: Also einige waren in der Lage, das Material nach längerer Zeit sich anzuschauen wenigstens, andere konnten es sich gar nicht anschauen. Auf jeden Fall hat es da auch mit uns, auch mit Nora, sehr viele Diskussionen gegeben, und in einer gewissen Weise hat dieses Material auch therapeutisch gewirkt. Man konnte noch einmal ganz genau verfolgen, was da wirklich geschehen war, und es in einer gewissen Form auch überwinden, damit umgehen, weil wir haben ja seit Ausbruch der Revolution permanent gearbeitet, und da hatten wir überhaupt keine Zeit zu reflektieren, und der Film hilft uns jetzt ein bisschen dabei, auch damit klarzukommen, auch mit den Folgen klarzukommen, und er hat auch anderen Journalisten geholfen, die jetzt nicht Teil dieses Filmes sind und hilft ihnen noch heute, weil sie sich wirklich genau mit dieser Rolle stark identifizieren können.

Timm: Der Tahir-Platz ist ja sozusagen zum Symbol der ganzen Erhebung geworden.Hat der im Ausland eigentlich zu sehr im Mittelpunkt gestanden, waren andere Orte, andere Szenen womöglich viel wichtiger? Der Film scheint mir das nahezulegen.

El-Syed/Younis: Es ist schon so, dass wir versucht haben, auch von anderen Orten zu berichten, und auch die Journalisten versucht haben an verschiedene Orte zu schicken. Zum Beispiel das erste Opfer war ja in Sues, und davon wollten wir natürlich in irgendeiner Form berichten. Wir hätten auch sehr gerne Bilder aus Alexandria gehabt, wo auch sehr viel Gewalt war in dem Kampf. Aber das war leider unmöglich, wir haben kein Material da bekommen, wir haben auch keinen hinschicken können. Aber es ist eben wichtig, dass man betont, dass vieles auch außerhalb Kairos geschah, und auch in Kairo fand eben auch nicht alles am Tahrir-Platz statt.

Am 28. Januar wurde das Internet abgeschaltet, und so war es dann nicht möglich, aus Alexandria noch Bilder zu bekommen. Erst fünf Tage später, als das Internet wieder funktionierte, konnten wir dann die ersten Bilder sehen. Aber wir hatten eben auch Bilder aus Port Said, von Sues, von Mahalla, einer Industriestadt. Und als wir dann aber im Schneideraum waren und das Material geschnitten haben, haben wir uns dann wirklich nur dafür entschlossen, aus Kairo, vom Tahrir-Platz und aus Sues Bilder zu verwenden, weil Sues war sozusagen unser Petrograd, das war dort, wo die Revolution ausbrach, dort gab es die ersten drei Märtyrer, und dort waren die Leute auch wirklich sehr militant. Und wir haben wirklich uns dann auf gewisse Dinge konzentriert, wie ich schon sagte, auf den Tahrir-Platz und auf Sues.

Timm: Das Regime hatte ja trotzdem noch erstaunlich viel Rückhalt: Es gab große Pro-Mubarak-Demonstrationen. Wie war das, als die jungen Journalisten erst im Wir der Gegner mitschwammen und das in Bildern festhielten, und dann von den regimetreuen Kundgebungen ebenfalls berichten mussten?

El-Syed/Younis: Es war schon sehr schwer für Mustafa, von diesen Pro-Mubarak-Demonstrationen zu berichten, andererseits war es natürlich auch sehr wichtig, andere Meinungen zu Wort kommen zu lassen. Für ihn als Journalist war es wichtig, sich auch mit diesen anderen Meinungen auseinanderzusetzen, darüber redet er ja auch im Film, und er reflektiert das auch, aber er meint eben auch, dass es Manipulationen gab, was die Demonstrationen angeht, aber nicht nur Manipulation, sondern eben wirkliche Sympathisanten. Und das hing mit dieser sehr emotionalen Rede von Mubarak zusammen, als er gesagt hat, er würde in Ägypten bleiben und sterben.

Timm: Nora Younis und Kismet El-Syed, die beiden Produzenten des Films "Reporting a Revolution", der zurzeit auf der Berlinale gezeigt wird. Übersetzt hat Jörg Taschmann, auch an Sie herzlichen Dank und alles Gute!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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