Die Anfänge der Performance-Kunst

Die Reste des Abendessens an die Wand genagelt

Eine Frau steht am 22.06.2017 im Kölner Museum Ludwig (Nordrhein-Westfalen) vor dem Bild "Hahns Abendmahl" von Daniel Spoerri. (Quelle: Oliver Berg/dpa)
"Hahns Abendmahl" von Daniel Spoerri im Museum Ludwig in Köln © Oliver Berg/dpa
Barbara Engelbach im Gespräch mit Dieter Kassel  · 23.06.2017
Performance-Kunst und partizipative Projekte boomen, sei es auf der documenta oder der Biennale Venedig. Das Museum Ludwig in Köln wirft in seiner neuen Ausstellung einen Blick zurück - auf die Ursprünge der Aktionskunst in den 60ern.
Die Schau "Kunst ins Leben! Der Sammler Wolfgang Hahn und die 60er Jahre" blickt zurück auf eine revolutionäre Zeit in der Kunst. Eine neue Generation von Künstlern überschritt traditionelle Grenzen von Kunst, nutzte den Alltag und seine Objekte um Kunst zu machen, veranstaltete Happenings und Aktionen statt Bilder in Öl zu malen oder Skulpturen zu formen. So haben zum Beispiel französische Künstler das Material der Straße als Kunstmaterial verstanden und in ihre Werke integriert, erklärt Kuratorin Barbara Engelbach, die am Freitagabend im Museum Ludwig in Köln die Ausstellung eröffnet. "Das war eine Provokation, die ins Herz der Bildungsbürger der damaligen Zeit zielen sollte und die sich dann auch provozieren ließen", so die Kuratorin.

Wie lässt sich Kunst für den Moment bewahren?

Die Ausstellung zeigt Fotos und Objekte und andere "Überreste" dieser Kunst, die Wolfgang Hahn in den 60er Jahren gesammelt hat. Hahn war Chefrestaurator des Wallraf-Richartz-Museum und des Museum Ludwig und damit auch nah dran an der zeitgenössischen Kunst und an der Frage, wie man sie bewahren kann.
In der Ausstellung ist unter anderem "Hahns Abendmahl" zu sehen. Im Mai 1964 gab der Chefrestaurator ein großes Abendessen und bat alle Gäste, ihr eigenes Geschirr mitzubringen. Als sie fertig waren, fixierte der Künstler Daniel Spoerri das Geschirr samt Essensresten auf der Tischplatte, schraubte die Tischbeine ab, kippte die Platte - und montierte sie als Bild an der Wand.

Eintauchen in die Zeit der 60er Jahre

Dem Sammler Hahn sei es gelungen, die Werke nicht nur als "ästhetische Objekte" zu erfassen, sondern auch als "historische Dokumente eine besonderen Zeit" zu erkennen und zu bewahren, so Kuratorin Engelbach. In einem Teil der Ausstellung könne man in die Zeit der 60er Jahre eintauchen und die Kunst aus der Perspektive von Hahn entdecken. Zugleich sei die Kunst weiterhin lebendig, das merke man zum Beispiel an den Alltagsmaterialien, die verwendet wurden.
(uz)
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Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Der Titel der Ausstellung, die heute Abend im Museum Ludwig in Köln eröffnet wird, der ist absolut nachvollziehbar. "Kunst ins Leben!" lautet der, und genau das ist in den 1960er-Jahren und auch noch danach nicht zuletzt tatsächlich in Köln und überhaupt im Rheinland passiert: Junge Künstler machten damals Schluss mit der Vorstellung, Kunst müsse konkrete Werke wie Bilder oder Skulpturen produzieren, die man dann in Galerien sehen kann. Die Künstler damals gingen hinaus in die Stadt, manchmal durchaus auch aufs Land, und sie veranstalteten Happenings und Performances. Wie stellt man aber das heute in einer Ausstellung dar und was hat es uns überhaupt noch zu sagen? Darüber wollen wir jetzt mit der Kuratorin dieser Ausstellung reden, Barbara Engelbach. Schönen guten Morgen, Frau Engelbach!
Barbara Engelbach: Guten Morgen!
Kassel: Ganz ehrlich, die meisten Künstler, die damals diese Dinge getan haben, in den 1960er-Jahren, die haben doch eher nicht darauf spekuliert, dass sie ein halbes Jahrhundert später im Museum landen, oder?
Engelbach: Ja, das ist auf jeden Fall richtig. Also wenn wir uns zum Beispiel überlegen, Nam June Paik, 1963, trat ja als Musiker und Komponist an die Öffentlichkeit mit seiner Ausstellung "Exposition of Music – Electronic Television", das heißt, er hatte Alltagsobjekte, aber auch Klaviere, präparierte Klaviere ausgestellt und wollte, dass die Besucher die benutzen als Musikinstrumente. Also niemand hat in dem Augenblick darüber nachgedacht, welchen Status diese Objekte haben über diesen Augenblick hinaus und dass man sie später dann auch einmal in einem Museum finden würde. Und das ist schon eine besondere Leistung, dass Wolfgang Hahn das erkannt hat und dann wirklich viele Objekte aus der Ausstellung nachträglich zusammengekauft hat, um sie der Nachwelt auch zu erhalten.

Der Gang auf die Straße als Provokation

Kassel: Wolfgang Hahn, über den werden wir gleich noch sprechen, war Restaurator zu der Zeit in Köln und hat eben diese Kunst gesammelt. Aber lassen Sie uns zurückblicken, Sie haben ein Beispiel genannt. Es war ja damals auch bei vielen dieser Künstlerinnen und Künstler der Versuch, Menschen zu erreichen, die eben nicht in der Kunstszene drinstecken und nicht in Galerien gehen und Ähnliches. Das heißt, damals war doch das, so normal es für uns heute ist und so interessant, zum Teil auch Provokation.
Engelbach: Auf jeden Fall war das Provokation, also auf die Straße zu gehen, dort Aktionen durchzuführen oder überhaupt das Material der Straße als Kunstmaterial zu verstehen und dann in Werke zu integrieren, wie das vor allen Dingen französische Künstler zu der Zeit gemacht haben. Oder auch aus dem Alltag heraus solche Werke zu schaffen wie Daniel Spoerri mit seinen Fallenbildern – mit einem Freund ein Arbeitstreffen zu haben an einem primitiven Tisch und alles, was dann bei diesem Arbeitstreffen übrig bleibt, natürlich vor allen Dingen Zigaretten und Kaffeedosen, Kaffeetassen, dass dann auf diesem schmutzigen Tisch zu fixieren und als Bild an die Wand zu hängen, das war auf jeden Fall eine Provokation, die wirklich ins Herz der Bildungsbürger der damaligen Zeit zielen sollte, die sich dann auch provozieren ließen.

Der historische Blick auf eine außergwöhnliche Zeit

Kassel: Heute sind Happenings, Performances der unterschiedlichsten Art an fast jedem Ort der Welt ich will nicht sagen gewöhnlich geworden, aber sie sind für uns ein relativ selbstverständlicher Teil der Kunst, der zeitgenössischen Kunst. Diese Aufregung, die damals auch herrschte, im positiven wie bei den Bürgern auch im negativen Sinne, können Sie die irgendwie hineintransportieren in Ihre Ausstellung?
Engelbach: Ja, das war uns sehr, sehr wichtig. Wir haben jetzt in dem Vorbereich der Ausstellung … Bevor man überhaupt die Kunst sieht, kann man eintauchen und aus der Perspektive von Wolfgang Hahn diese Kunst entdecken. Das heißt, mit Blow-ups, Großfotografien, wird ein Kontext hergestellt, dass man sieht, Fotografien von Flux-Festivals in Düsseldorf, von der Kunstszene, dem Kunstmarkt in den 60er-Jahren in Köln und Düsseldorf, und dass man die Protagonisten kennenlernt. Also interessant oder spannend an der ganzen Angelegenheit ist ja, Wolfgang Hahn war Restaurator, er hat eben erkannt, dass die Kunst performativ, konzeptuell ist, prozessual, vielleicht einfach eben auch mit diesem restauratorischen Blick. Aber er hatte auch Kunstgeschichte studiert und sich wirklich in dem Augenblick, als er das alles erlebt hat, mit einem historischen Bewusstsein die Sachen angeschaut und Notizen gemacht, wenn er Aktionen gesehen hat, Protokolle geführt. Er verstand sich als ein Zeuge einer außerordentlichen Zeit und einer ganz besonderen Kunst. Also das ist wirklich bemerkenswert, und die Besucher sollen nun, wenn sie in die Ausstellung hineinkommen, diesen besonderen Blick von Wolfgang Hahn einnehmen können, eintauchen in die 60er-Jahre, um das besser zu verstehen, was für eine Provokation das darstellte. Dass die Kunst weiterhin lebendig ist, das merkt man dann in der Ausstellung allein über die Materialien, die Alltagsmaterialien, die verwendet wurden, und so haben wir eben beides: Wir haben die ästhetischen Objekte und wir haben sie als historische Dokumente einer besonderen Zeit. Und beides hat Hahn eben gesehen, das ist wirklich noch mal außerordentlich für diesen Sammler.

Keine Rekonstruktion, sondern immer wieder neu erfinden

Kassel: Nun haben Sie natürlich ein ganz praktisches Problem, hatte er beim Sammeln auch schon: Man kann ja eigentlich eine Performance und ein Happening nicht wirklich sammeln. Sie haben beschrieben, es gibt zum Teil Fotos davon, aber gibt es auch in Ihrer Ausstellung Performances, Happenings, und wie entgehen Sie der Gefahr, da quasi was nachzuspielen?
Engelbach: Ja, es ist schon interessant, dass dann Ende der 60er-, Anfang der 70er-Jahre die Künstler auch beginnen, über dieses Problem nachzudenken. Allan Kaprow zum Beispiel, der ja auch den Begriff des Happening mit Wolf Vostell geprägt hat, hat darüber sich explizit geäußert und gesagt, auf keinen Fall dürfen diese Sachen rekonstruiert werden, sondern sie müssen immer wieder neu erfunden werden. Und Wolfgang Hahn hat eine Arbeit von Allan Kaprow gekauft, "Push and Pull" heißt sie, "A Furniture Comedy for Hans Hofmann", eine ganz witzige, ironische Arbeit für den abstrakt-expressionistischen Maler Hans Hofmann – die Arbeit ist von 1961. Und wir haben nun die Londoner Künstlerin Kasia Fudakowski eingeladen, diese Arbeit neu zu erfinden – mit Erlaubnis des Kaprow Estate –, und sie hat nun eine Environment, würde Allan Kaprow sagen, eine Installation geschaffen, wo die Besucher selbst nun eintauchen können und Teil der Arbeit werden und auch dort eine ganz besondere Erfahrung machen können, die ich natürlich hier nicht verraten darf.
Kassel: Frau Engelbach, ich verrate mal was, was ich, glaube ich, eigentlich auch nicht verraten darf. Sie haben mir vorhin privat schon erzählt, dass man als Kuratorin durchaus nervös ist vor der Eröffnung einer so großen Ausstellung. Ich kann Ihnen bestätigen, ich glaube, das geht den Menschen, die uns zugehört haben, auch so: Wenn es auch nur halbwegs so spannend ist in dieser Ausstellung, wie Sie es beschrieben haben, dann haben Sie keinen Grund, nervös zu sein.
Engelbach: Okay, gut.
Kassel: Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch und wünsche Ihnen alles Gute für heute Abend!
Engelbach: Danke schön!
Kassel: Barbara Engelbach war das, sie ist die Kuratorin der Ausstellung "Kunst ins Leben! Der Sammler Wolfgang Hahn und die 60er Jahre". Heute Abend ist Vernissage im Museum Ludwig in Köln, und dann ist die Ausstellung zu sehen bis zum 24. September.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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