Die alte Jacke wird zur schicken Tasche

Friederike von Wedel-Parlow im Gespräch mit Ulrike Timm · 03.07.2012
Alle vier Wochen neuer Stoff für die Modeläden: Die Bekleidungsbranche ist extrem kurzlebig und alles andere als nachhaltig. Friederike von Wedel-Parlow, Leiterin des Masterstudiengangs für nachhaltige Mode will daran etwas ändern. Sie vermittelt ihren Studenten, dass schon beim Design der gesamte Herstellungsprozess mit bedacht werden muss.
Ulrike Timm: Mode hat einen ganz schnellen Rhythmus: Alle drei Monate gibt es inzwischen neue Kollektionen, populäre Modemarken leben teilweise sogar davon, dass Kunden alle vier Wochen neue Ware in den Läden vorfinden, und wo viel gekauft wird, da wird natürlich auch viel weggeschmissen. Nachhaltigkeit sieht anders aus.

Doch es gibt Designer, die umdenken. Sie haben sich zum Beispiel dem Upcycling verschrieben, also dem Umgestalten von alter Kleidung. Aus alt mach neu als Motto – über diesen Trend und über andere Nachhaltigkeitsstrategien sprechen wir hier im "Radiofeuilleton" jetzt mit Friederike von Wedel-Parlow, sie ist Professorin an der internationalen Kunstschule für Mode ESMOD und leitet den Masterstudiengang für nachhaltige Mode. Guten Morgen!

Friederike von Wedel-Parlow: Guten Morgen! Ich freue mich sehr, hier zu sein!

Timm: Wie könnte denn aus so einer alten Lieblingsjacke was Upgecyceltes, was Umgestaltetes werden?

Wedel-Parlow: Mit einer Jacke, einer ehemaligen Lieblingsjacke, kann man eine ganze Menge Sachen machen. Man kann es natürlich auch einfach vererben, verschenken, weitermachen, Konzepte finden, wie das Leben eines Produktes, was mit viel Liebe hergestellt wurde, auch länger wird. Man kann da draus aber auch wie eine meiner Studentinnen in einem Projekt, wo wir Taschen entwickelt haben, daraus eine Tasche machen. Sie hat das kombiniert mit altem Segeltuch, und die Reißverschlüsse herausgetrennt, neue Verschlüsse damit hergestellt, und am Ende sah man dieser Tasche oder diesem Taschenset überhaupt nicht an, dass es aus einer alten Jacke bestand. Aber die ganzen Innentaschen und so weiter sind verwendet, alle Details und – man kann also eine ganze Menge neue Dinge gestalten.

Timm: Und Ihre Studenten lernen ja, zu denken nicht von der Zeichnung her, rein vom Entwurf, sondern vom Gedanken her. Da muss man dann mit einbeziehen, welches Material benutze ich, wie produziere ich das, wo produziere ich das. Wie entsteht denn auf so einem Hintergrund zum Beispiel ein T-Shirt?

Wedel-Parlow: Da muss ich vielleicht erst mal noch mal ungefähr unser Konzept erklären: Wir versuchen eben ganzheitlich daran zu gehen, entlang der textilen Kette, wie Sie schon gesagt haben, zu vermitteln das, was man eben übers Material wissen muss, wo kommt das her, wo entsteht die Pflanze und wie wird das produziert. Der Designprozess beinhaltet aber auch, wie vermarkte ich, wie verkaufe ich das, wie nutzt der Nutzer das, wie kann ich da Einfluss nehmen, dass das eben bewusster passiert, und auch, was passiert am Ende? Das kann man alles eben in diesem Designprozess schon mit denken. Von daher ist das eine viel ganzheitlichere Geschichte.

Timm: Und wie ist das, wenn auf der Fashion Week die Produzenten, die alle vier Wochen was Neues in den Läden präsentieren, mit den Produzenten, die sich um den Nachhaltigkeitsgedanken bemühen, ihn umsetzen, das werden ja immer mehr, wenn die dann aufeinandertreffen, wie ist da die Stimmung?

Wedel-Parlow: Letztlich, ob das die ganz Großen sind, die jetzt hier auf der Fashion Week ja so auch erst mal gar nicht vertreten sind, und die Design-Labels und so weiter zusammentreffen, passiert erst mal eine ganze Menge. Letztendlich müssen alle mitziehen – oder der Konsument fragt auch nach, auch die ganzen großen Firmen versuchen, Konzepte zu entwickeln, siehe bei H&M die "Conscious Collection", Esprit tut da auch eine ganze Menge, Puma hat große Konzepte wirklich. Also die ganz Großen müssen da schon auch mitziehen, weil der Konsument das heute einfach fragt. Niemand möchte mehr etwas kaufen, was von Kinderhand produziert wurde. Aber natürlich muss das Bewusstsein auch weiterentwickelt werden.

Timm: Sie sagen, niemand möchte mehr was kaufen, was von Kinderhand produziert wurde. Ich sehe ganz viele T-Shirts für drei Euro, ich sehe Kleidergeschäfte, wo man die Kleidung sogar pfundweise kaufen kann: Niemand - kann so zahlreich nicht sein.

Wedel-Parlow: Das ist richtig, ich glaube, wenn man das Bewusstsein da hat, dass das eben, wenn ein T-Shirt nur fünf Euro kostet, dass es dann eben auch nicht nachhaltig produziert sein kann, dass die Ressource einfach mehr kostet oder eine saubere Produktion einfach schlicht mehr kostet, dass bei dem, der das herstellt, auch minimum wealth ankommt, dass wenn man das weiß, kauft man es auch nicht. Es ist vielleicht noch zurück in der Bekleidung im Vergleich zum Lebensmittelmarkt, wo das im Inneren stattfindet oder dieses Bewusstsein insgesamt schon da ist.

Timm: Also der Konsument denkt von innen nach außen, isst bio und kauft die Kleidung trotzdem zu billig?

Wedel-Parlow: Ja, da muss noch eine ganze Menge geschaffen werden, um da das Bewusstsein klarzumachen. Aber sobald man es weiß, glaube ich, oder auch weiß, was für andere Möglichkeiten man hat, es einzukaufen, zu reduzieren, Konsum zu verzichten, bessere Qualität, gibt man am Ende ja auch nicht wirklich viel mehr Geld aus. Aber das hat noch viel mit Kommunikation zu tun, das weiterzubringen.

Timm: Würden Sie sagen, dass nachhaltige Mode schon ein Trend ist, oder ist das auch eine Mode – im Moment ist es eben chic, die Sachen länger zu tragen, die Sachen eventuell umzuarbeiten, und dieser Trend könnte dann auch wieder genau so schnell vorbeigehen? Mode eben.

Wedel-Parlow: Ich denke, dass das weit über einen Trend hinausgeht. Das sind die Anfänge, Anfangsbewegungen, und eben weil auch die Großen langsam nach und nach mitziehen, viele kleine Labels aber auch schon ganz hundertprozentig arbeiten können – nein, das geht weit über einen Trend hinaus.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit Friederike von Wedel-Parlow darüber, dass auch aus alt mach neu der letzte Schrei sein kann und über nachhaltige Mode, die sie versucht, schon ihren Studenten gedanklich zu unterrichten, beizubringen. Wenn so ein Kleidungsstück entsteht im Entwurf an Ihrer Hochschule, und man den ganzen ökologischen und ökonomischen Prozess mit bedenkt, hat man dann eigentlich auch wirklich Marktchancen? Denn sie machen ja Kleinkollektionen, die Studenten werden nicht gleich Chefdesigner bei großen Labels.

Wedel-Parlow: Nein, sie werden zu Experten in dem Feld – ich denke, es kommt auf die verschiedenen Konzepte an, wie gut sie sich dann verkaufen lassen, das hängt einfach am Ende auch damit zusammen, dass das Produkt einfach als solches überzeugen muss und ästhetisch ansprechend sein muss, und man es natürlich auch richtig kommuniziert bekommt. Eine meiner Studentinnen arbeitet zum Beispiel im Lederbereich und verbindet österreichische Tradition mit Sneakern, also ist dann auch ein großer Innovationsprozess, der dabei stattfindet, aber es ist ganz im Detail, das Material mit traditionellen Handwerkstechniken verbunden. Ich denke, so was hat schon große Chancen.

Und das Ganze verbinden wir eben auch immer mit einer Kooperation, Industriekooperation, sodass das eben nicht nur Konzepte bleiben, die in der Luft hängen, sondern auch ganz konkret an den Bedürfnissen und Fragestellungen der Firmen und Industrie orientiert ist, damit wir dort neue Lösungen entwickeln können, die man auch wirklich gebrauchen kann, und da die Schritte auf den verschiedenen Ebenen zu gehen.

Timm: Wir hatten vor einigen Tagen hier im "Radiofeuilleton" schon mal ein Gespräch über nachhaltige Kleidung, und da ging es sehr schnell um die vielen Label, die Umweltsiegel – EU-Blume, Blauer Engel, was es alles gibt, um Nachhaltigkeit nach außen hin zu demonstrieren –, und ich war ziemlich erstaunt, wie kritisch die Gesprächspartnerin solche Label beleuchtete, weil sie sagte, na ja, gut, Ökologie stimmt vielleicht größtenteils, aber die sozialen Perspektiven sind da gar nicht drin, und insofern sagen solche Label wenig bis nichts. Wie stehen Sie dazu?

Wedel-Parlow: Na, es gibt Labels auf zwei Ebenen, die einen beschreiben mehr den ökologischen Anteil, die anderen mehr den sozialen. Es gibt da ja im Baumwollbereich zum Beispiel auch Fair Trade, was wir vom Kaffee zum Beispiel auch kennen. Das sind eher die sozialen Aspekte, aber man muss natürlich sagen, dass nicht alles gut ist, was zertifiziert ist, oder was nicht zertifiziert ist, nicht gut ist. Ich war in Indien, und da tatsächlich auch auf verschiedenen Projekten, und manche, gerade eher im kleinen Bereich, waren so hundertprozentig und ganz klar – haben mir die Kuh auf dem Feld gezeigt und erklärt, wie das alles funktionieren muss mit Geo-TS-zertifizierten Färbereien.

Und andere ganz große Projekte, von der Cotton-Initiative, die dann – im Großen ist das alles halt einfach noch ein bisschen schwieriger so umzusetzen –, die mir nicht das Gefühl gegeben haben, dass das so ganz das Gleiche ist.

Timm: Ist das nicht auch wieder die Aufforderung an den Kunden, der inzwischen wahrscheinlich schon daran denkt, dass eben nicht so viel Wasser und zu viel Energie verbraucht wird? Da gibt es ja schon ein ökologisches Bewusstsein, was über kleine Anfänge hinausgeht, dem aber letztlich dann doch noch ziemlich egal ist, ob die Näherin in Indien von ihrem Lohn leben kann. Das sind doch irgendwie zwei Bereiche, Ökologie und soziale Bedenken, die da nicht wirklich synchron zusammenkommen bislang.

Wedel-Parlow: Doch, sie kommen schon zusammen oder sie müssen eben zusammenwachsen. Und es hat durchaus, das Bewusstsein hat miteinander zu tun. Also es geht auch bei den Umweltfragen, geht es natürlich auch um die Lebenszustände oder die Verseuchung des Landes und die Gesundheit der Arbeiter. Das hat durchaus miteinander zu tun, dass bei Bio-Cotton keine Pestizide verwendet werden, hat mit den Arbeitsbedingungen der Arbeiter ganz konkret zu tun. Also es ist nicht komplett voneinander getrennt, sondern es gehört zusammen.

Und wir müssen aber auf beiden Ebenen denken, dass es nicht nur die Auswahl der Materialien ist, sondern eben vor allen Dingen auch die Auswahl der Produktionswege – wo wird was produziert –, aber es ist wirklich sehr schwer nachzuvollziehen, wenn in Asien produziert wird, und was für Sub-Supplier da sind, das bis in die letzte Kleinigkeit zu verfolgen. Da wird dran gearbeitet, aber es ist ein ganz großes Feld der Entwicklung.

Timm: Und ein paar Schritte sind doch immerhin gemacht. Friederike von Wedel-Parlow war das. Sie unterrichtet Studenten an der Kunsthochschule für Mode ESMOD, und dort bemüht man sich um nachhaltiges und trotzdem sehr schickes Produzieren von Kleidung. Ich danke Ihnen sehr für Ihren Besuch im Studio!

Wedel-Parlow: Danke schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

"Links bei dradio.de:"
Gemeinsame Standards in der Modeindustrie
Hersteller diskutieren in Hamburg über nachhaltiges Wirtschaften (DLF)

Trendy, öko und fair?
Eine Bestandsaufnahme kleiner Modelabels zur Berliner Fashion Week (DLF)

Schicke Schuhe, giftiges Wasser
Wie Zulieferer internationaler Modemarken einen Fluss in Argentinien verpesten (DLF)

Mode mit Moral
Der junge Ökomode-Unternehmer Anton Jurina
Näherin in Bangladesch
Näherin in Bangladesch© AP Archiv