Die Adoption,Teil 4

Die Reise

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Der Koffer von Carlos © Caroline Narr
Von Martin Reischke  · 26.04.2018
Auf dem Papier ist Carlos Haas Deutscher. Doch geboren wurde er 1985 im zentralamerikanischen Guatemala. Mit 32 Jahren macht er sich auf die Suche nach seiner Mutter - und findet sie. Aber ihr gewalttätiger Ehemann steht zwischen den beiden.
Neun Monate sind vergangen, seit Marco Antonio Garavito – der Mann mit dem Schnauzbart, den alle nur "Maco" nennen – Carlos' Mutter im Hochland von Guatemala gefunden hat. Ich sitze im Büro seiner Organisation in Guatemala-Stadt, die Adoptivkinder bei der Suche nach ihren leiblichen Eltern unterstützt. Ich will von Maco wissen, wie sich Mutter und Sohn angenähert haben.
"Das hat ja mehrere Monate gedauert, sie hat mit mir gesprochen, und ich habe Carlos geschrieben, bis ich ihnen eines Tages vorgeschlagen habe, dass sie direkt miteinander sprechen sollen. Aber Victoriana konnte nicht zu Hause telefonieren, denn es durfte ja niemand merken."

Die Mutter telefoniert heimlich mit ihrem Sohn

Vor allem nicht Victorianas Ehemann. Denn ihm hat sie nie etwas von der Adoption erzählt.
"Es war ja so, dass die Beziehung zwischen Victoriana und dem Vater von Carlos ein Geheimnis war, das hätte sie mit ins Grab genommen, und deshalb hat es ihr ja völlig den Boden unter den Füßen weggezogen, als wir sie gefunden und ihr von Carlos erzählt haben."
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Marco Antonio Garavito und Carlos Haas© Martin Reischke
Aber Maco hat Erfahrung in diesen Dingen. Und eine Idee.
"Wir sind dann mit Victoriana so verblieben, dass sie mich anruft, wenn sie an einem sicheren Ort und nicht zuhause ist. Ich habe dann Carlos in Deutschland eine Nachricht geschickt, dass er sie anrufen kann. Und dann haben sie fast 80 Minuten miteinander gesprochen."
Damals habe ich mit Carlos kurz nach dem Telefonat mit der Mutter gesprochen. Er war aufgewühlt, aber glücklich.
"Eine der ersten Fragen war auch, ob ich eine Religion habe – ja, ja, ich bin katholisch – da hat sie gesagt: Gott sei Dank, da war sie sehr froh."
Carlos erfährt von seiner Mutter, dass Victoriana vier Kinder aus erster Ehe hatte, bevor sie mit ihm durch einen anderen Mann schwanger wurde. Und er weiß nun, dass sein leiblicher Vater kurz vor seiner Geburt gestorben ist.

Das Geheimnis wird gelüftet

"Dann stand sie alleine da mit vier Kindern und einem Säugling und hat aus dieser Situation den Entschluss gefasst, mich zur Adoption freizugeben. Und hat das seitdem als Geheimnis für sich behalten."
In Guatemala im Büro von Maco erfahre ich mehr. Von den vier Kindern aus erster Ehe leben nur noch zwei: Baudilio ist nach Kalifornien ausgewandert, der andere, Luis, lebt in Chiantla, unweit von Carlos' Geburtsort. Ihm erzählt die Mutter, dass er einen Bruder hat. Und siehe da: Luis freut sich und verspricht, sie zu unterstützen. Nun findet sie die Kraft, auch mit ihrem gewalttätigen Ehemann zu reden. Und der reagiert wie erwartet. Er schreit, er schimpft und prophezeit, Carlos werde sie hassen. Aber Victoriana hat sich entschieden. Sie ist fest entschlossen, ihren Sohn zu treffen.
Kurz vor seiner Abreise skype ich von Guatemala aus ein letztes Mal mit Carlos in Deutschland. Morgen kommt die gesamte Familie. Die Koffer sind gepackt.
"Hier in Augsburg fahren wir morgen um sieben los, kommt das Taxi, Flughafenshuttle, sind kurz nach acht in München am Flughafen, haben da reichlich Zeit, um fünf nach elf geht der Flieger nach Atlanta."
24 Stunden später stehe ich am Flughafen. Carlos, seine Frau und die zwei Kinder kommen durch die Passkontrolle.
"Hat alles gut geklappt, jetzt sind aber alle hundemüde!"

Endlich in Guatemala

Sie fahren durch den chaotischen Verkehr, vorbei an Straßenhändlern und Garküchen zu einer Freundin, bei der sie übernachten werden. Doch viel Zeit bleibt nicht. Am nächsten Tag geht es schon weiter zum Treffen mit der Mutter. Maco und ich holen die Familie ab.
Dicht gedrängt sitzen Carlos und seine Frau Juliane auf der Rückbank des Geländewagens, zwischen ihnen die beiden Kinder Valentin, 5 Jahre alt und Cecilia, eineinhalb. Nach einer knappen Stunde klingelt Macos Handy.
"Hallo Victoriana, wir sind schon auf Höhe Patzicía, ich geb Sie mal weiter an Ihren Sohn" - "Hallo? Wie geht es dir? Uns geht's gut, die Kinder sind noch ziemlich müde."
Kinder in einem ärmlich wirkenden Dorf in Guatemala.
Im Hochland von Guatemala© dpa / picture alliance / Saul Martinez
Victoriana ist nach dem Krach mit ihrem Mann vorübergehend zu ihrem Sohn Luis gezogen. Sie sei nervös, klar, es gehe ihr dort aber gut, sagt Maco. Auch Carlos ist aufgeregt, auch wenn er sich nach außen nichts anmerken lässt. Aber schon bei unserem Skype-Gespräch kurz vor dem Abflug war er in Gedanken längst bei der Mutter.
"Letzte Woche war dann schon so ein paar Mal, da habe ich mir dann so vorgestellt, wie denn der Moment sein wird, wenn ich dann die Mutter – hab sie ja jetzt schon ein paar Mal gesehen im Videoanruf – wie sich das dann anfühlen wird, sie in den Arm zu nehmen. Da habe ich mir dann schon ein paarmal ausgemalt, wie das ist und da war ich dann schon sehr aufgewühlt, aber wahrscheinlich kann man sich's dann nicht so richtig vorstellen, wie's dann wirklich ist."
Jetzt im Auto spüren alle den besonderen Moment. Es ist ruhig. Alle denken an dasselbe. Carlos, Juliane, Maco und ich. Valentin und Cecilia, Carlos' Kinder, blicken mit großen Augen auf die Berge in dem fremden Land, den stahlblauen Himmel, die bunten Kleider überall, die sie sonst nur von Carlos kennen. Und auch sie fühlen: morgen wird ein ganz besonderer Tag im Leben ihres Vaters sein.
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