Dichterin Sidonia Hedwig Zäunemann

Eine der mutigsten deutschen Poetinnen

Ein Füllfederhalter.
Nicht nur zur Welt der Wissenschaft forderte Sidonia Zäunemann Zugang, sondern auch zu der anderen großen Männer-Sphäre, nämlich der Arbeitswelt, und zwar da, wo sie am härtesten ist. © imago/Kickner
Von Christoph Schmitz-Scholemann · 11.12.2015
Sidonia Hedwig Zäunemann - selbst in ihrer Heimatstadt Erfurt kennt heute kaum jemand den Namen dieser preisgekrönten Dichterin. Sie trat Anfang des 18. Jahrhunderts für die Gleichberechtigung der Frauen ein - zu einer Zeit, als es das Wort noch gar nicht gab. Sie war eine erfolgreiche, geistsprühende junge Dichterin, als sie am 11. Dezember 1740 vor 275 Jahren starb.
Am Morgen ihres Sterbetages ritt Sidonia Hedwig Zäunemann ins Gebirge. Es war der 11. Dezember 1740. Von Erfurt ging es hinauf in den Thüringer Wald, wo ihre Schwester wohnte. Es war nasskalt, das Wasser rieselte die Felsen hinunter und sprang über den Weg. Angst hatte die 29 Jahre junge Dichterin nicht.
"Wie vielmahl bin ich schon den Weg allhier geritten,
Und dennoch, Gott sey Lob! Ist nie mein Roß geglitten."
Sidonia ritt, was Frauen damals selten taten, ohne Begleitung. Und sie trug, was Frauen damals gar nicht taten, Männerkleidung - aus dem Spott, der sie deshalb traf, machte sie sich nichts.
Sidonia Hedwig Zäunemann war eine außergewöhnliche Frau. Geboren wurde sie Anfang 1711 in Erfurt, da, wo es am schönsten ist, an den Ufern der Gera. Ihr Vater war Rechtsanwalt und Notar, ein angesehener Bürger, der dem Heranwachsen seiner zweiten Tochter mit gemischten Gefühlen zugesehen haben wird. Zum Heiraten hatte sie keine Lust.
"Der Ehstand ist ein schwarzes Meer, worein viel trübe Wasser fließen;
Er ist ein herb- und bittrer Kohl. Kan ihn ein beißend Salz versüßen?"
Ihrer Generation voraus
Anstatt sich im Kochen, Häkeln und Flirten zu üben, las sie Bücher, vor allem Gedichte, und schrieb bald selber welche. Das wäre weiter nicht schlimm gewesen, wenn sie sich, wie am Anfang ihrer poetischen Laufbahn, auf die Themen beschränkt hätte, die man Frauen damals zugestand: Geburtstagsreime, Hochzeitslieder und Beerdigungspoesie. Doch beim Dichten kam die junge Frau ins Denken - sie las die Freiheits- und Vernunftphilosophen ihrer Zeit und stellte sich Fragen, zum Beispiel, mit welchem Recht die Männer ihrer Zeit die Hoheitsmacht in der Wissenschaft beanspruchten:
"Was vor ein toller Wurm hat euren Kopf durchfressen,
Daß ihr euch nur allein dieß Recht sucht beyzumessen?

Der Schöpfer hat uns ja mit gleichen Geist bedacht,
Und gleiche Seelen-Kraft und Triebe beygebracht."
Nicht nur zur Welt der Wissenschaft forderte Sidonia Zäunemann Zugang, sondern auch zu der anderen großen Männer-Sphäre, nämlich der Arbeitswelt, und zwar da, wo sie am härtesten ist: Unter Tage. Wie sie es schaffte, die Genehmigung zu bekommen, weiß man nicht genau. Jedenfalls fuhr sie am 23. Januar 1737 in das damals florierende Kupfer- und Silberbergwerk Ilmenau ein.
Sie kroch und kletterte und rutschte stundenlang durch die Stollen, sprach mit Hauern und Steigern und machte sich Notizen. Daraus hat sie ein Gedicht geformt, das in der deutschen Literatur bis heute einzigartig ist, auch weil sie aus der kräftigen Sprache der Bergleute eine eigenwillige und sozialkritische Poesie schuf. Da ist die Rede von
"nassen Kitteln, Müh und Schrecken,
Und Karren übern Arsch zu drecken
Von Noth und Kümmerniß, von Jammer-vollen Tagen;
Von Elend, Angst und Schmerz kan uns ein Bergmann sagen."

Aber auch die Schönheiten, die sich beim Verhütten zeigen, weiß Zäunemann zu besingen:

"Wer nur betracht, wie hier das Silber fließt und glühet,
Der meinet, daß er auch ein Bild vom Monde siehet."
Aufsehen in ganz Deutschland
Diese Liebeserklärung an den Bergbau erregte Aufsehen in ganz Deutschland. Die Universität Göttingen verlieh der Dichterin Anfang 1738 den Titel einer poeta laureata. Heiter und beschwingt wird die gekrönte Dichterin ihren letzten Ritt ins Gebirge angetreten haben. Irgendwann in den Mittagsstunden hatte sie, in der Nähe des Städtchens Plaue, einen Wasserlauf zu überqueren. Ob die Holzbrücke morsch war, ob das Pferd ausglitt - niemand hat es gesehen.
Sicher ist nur, dass am Abend die Leiche der vor Geist und Lebenslust sprühenden jungen Frau gefunden wurde. Fünf Tage später wurde sie auf dem Friedhof der uralten Liebfrauenkirche in Plaue beerdigt. Wie hatte sie wenige Jahre zuvor in den "andächtigen Feld- und Pfingstgedanken" gedichtet?
"Hat man mich vor der Fluth und Donner warnen wollen,
So hab ichs nicht geacht. Denn die Gerechten sollen
In Unglück und Gefahr und in der Todes-Pein,
Doch allezeit beherzt und frischen Geistes seyn."
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