"Dezentral und erneuerbar"

Björn Klusmann im Gespräch mit Klaus Pokatzky · 06.06.2011
Die Bundesregierung hat den Weg für die Energiewende freigemacht. Bei der praktischen Umsetzung werden kleine und mittlere Unternehmen eine wichtige Rolle spielen, denn der Umstieg auf erneuerbare Energien kann nur dezentral erfolgen, sagt der Bundesverband Erneuerbare Energien.
Klaus Pokatzky: Heute ist wieder ein wichtiger Tag für die Energiewende in Deutschland: Die Bundesregierung hat heute Morgen über die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes beraten, das es seit elf Jahren gibt, das also in der Zeit der rot-grünen Koalition verabschiedet wurde. Die Bundesregierung hat heute also den stufenweisen Ausstieg aus der Kernenergie bis 2022 beschlossen. Ob auch in Zukunft in Zeiten ohne Atomkraft die großen Stromkonzerne unsere Energiewirtschaft in der Hand halten werden, oder ob es eine Energieversorgung von unten geben kann, das hängt von uns allen ab. Ein Vorbild könnte da das Dorf Feldheim im Süden Brandenburgs sein, das setzt zu 100 Prozent auf erneuerbare Energien.

Und im Studio begrüße ich nun Björn Klusmann, den Geschäftsführer des Bundesverbandes Erneuerbare Energien, der vertritt 5000 Unternehmen, die mit Wasser, Wind und Sonne Energie produzieren. Willkommen im Studio!

Björn Klusmann: Schönen guten Tag!

Pokatzky: Herr Klusmann, heißt von Feldheim lernen unsere Energieprobleme lösen lernen?

Klusmann: Ja, durchaus. Feldheim ist ein Beispiel dafür, wie die Energieversorgung in Deutschland zukünftig aussehen wird, nämlich erneuerbar und dezentral. Getrieben von ganz vielen einzelnen Akteuren vor Ort, die vom Umbau der Energieversorgung eben auch massiv profitieren. Und das kann ein Modell sein für Deutschland, so wie in Feldheim findet das schon in ganz vielen Kommunen statt, überall auf dem Land und Regionen stehen ja Erneuerbare-Energien-Anlagen, und dabei profitieren auch Menschen von diesem Umbau. Und deswegen ist dieser Tag eben auch sehr wichtig für uns und wir müssen genau hinschauen, was dort in Berlin beschlossen wird.

Pokatzky: Aber wenn ich mir jetzt vorstelle: So ein Dorf mit einer doch überschaubaren Einwohnerzahl, also sehr viel mehr als im Dorf von "Asterix und Obelix" sind es in Feldheim ja auch nicht und ich übertrage das jetzt auf einen Moloch wie Berlin, eine Stadt mit rund drei Millionen Einwohnern – ist das übertragbar?

Klusmann: Nicht eins zu eins sicherlich, aber Berlin hat eben auch ein Umland. Und erstens können Sie auf jedem Haus erneuerbare Energien ernten, die Solarenergie, auf immer mehr Dächern sehen Sie ja solche Anlagen, und die Region, die Flächen, die liefern dann Bioenergie, die liefern Windenergie, und auch die Wasserkraftwerke müssen natürlich nicht mitten in der Stadt organisiert werden, sondern sind überall im Land verteilt. Aber der Ansatz – dezentral und erneuerbar –, der ist eben überall zu realisieren.

Pokatzky: Wie wichtig ist da, dass ich mich auch jetzt wirklich damit identifizieren kann, mit diesem Projekt?

Klusmann: Das ist eine ganz wichtige Komponente, es ist ja immer sehr viel davon die Rede, ob die nötige Akzeptanz für den Umbau der Energieversorgung gegeben ist. Und bei den erneuerbare Energien beobachten wir eben, dass, wenn man die Menschen vor Ort einbindet, wenn die Bürgerinnen und Bürger die Chance haben, sich an solchen Kraftwerken zu beteiligen, und die Identifikation eben hoch ist, dass dann auch dieser Umbau schneller gelingt. Gleichwohl findet alles eben eingebettet in einem Investitionsrahmen statt, der für das ganze Land gilt.

Pokatzky: Im Hintergrund all der politischen Diskussion, die jetzt über die Energiewende laufen, stehen ja immer die langen Verbreitungswege von Strom. Also bei Feldheim liegt das ja nun auf der Hand, da ist das quasi um die Ecke. Wie wichtig ist das in der Tat für einen vorgesehenen Ausstieg aus der Atomkraft? Kommen wir da vielleicht nicht doch wegen dieser langen Übermittlungswege irgendwann in Probleme, in Energieknappheit?

Klusmann: Nein, im Gegenteil. Also aus unserer Sicht ist gerade der dezentrale Mix, das heißt also, in den Regionen die ganze Vielfalt der erneuerbare Energien, das ist der Schlüssel zu einer echten Energiesicherheit ohne lange Transportwege. Es ist zwar richtig, wir müssen Strom aus der Nordsee nach Süden transportieren, aber man kann eben auch im Süden Windenergie beispielsweise produzieren. Solarenergie, Geothermie, Wasserkraft, Bioenergie, sowieso überall in Deutschland. Also es ist nicht zwangsläufig so, dass wir den Strom immer über Hunderte von Kilometern transportieren müssen, sondern wir können ihn überall, nämlich vor Ort, produzieren mit den Erneuerbaren.

Pokatzky: Wie sind eigentlich Ihre Kontakte? Sie sind ja sozusagen das Lobbyunternehmen einer noch relativ jungen Branche bei uns. Wie sind denn so Ihre Verhältnisse zu den großen Energiekonzerne?

Klusmann: Der Bundesverband Erneuerbare Energie ist der Dachverband der Erneuerbare-Energien-Branche. Die ist traditionell von mittelständischen Strukturen geprägt, die großen Energiekonzerne sind nicht bei uns organisiert, die haben ihre eigenen Verbände. Aber wir sehen im Moment, die Bedeutung der Erneuerbaren nimmt natürlich zu, und insofern haben wir eben auch eine ganz interessante Klientel, glaube ich, die wir da vertreten.

Pokatzky: Ihren Verband gibt es seit 1991. Hat eigentlich die Art und Weise, wie die Politik, vor allem die Regierungsparteien mit Ihnen umgehen, Ihnen, dem Lobbyisten für Erneuerbare Energien in Berlin, hat sich das nach Fukushima radikal geändert?

Klusmann: Nicht radikal. Das ist ein Prozess, der über Jahre geht. Am Anfang wurden die erneuerbaren Energien in der Tat belächelt, aber seit einigen Jahren ist klar, eine klimaverträgliche Energieversorgung geht nicht ohne erneuerbare Energien, das haben inzwischen alle Parteien erkannt. Fukushima hat die Rhetorik der Energiepolitik noch mal massiv verändert, es ist jetzt klar, wir müssen so schnell wie möglich aus der Atomkraft aussteigen. Aber natürlich müssen wir an den Details weiter sehr genau aufpassen, ob wirklich richtige Regelungen beschlossen werden.

Pokatzky: Aber zu den Details wird ja in jedem Fall auch gehören: Wenn wir wirklich die vielen Feldheims, die es vielleicht irgendwann mal geben wird, also kleinere Orte übertragen auf die Ballungszentren, da werden Sie doch ohne eine Kooperation mit den großen Energiekonzernen überhaupt nicht auskommen?

Klusmann: Das sehen wir etwas anders. Also wir haben große Netzbetreiber, keine Frage, aber die Netze müssen unabhängig sein. Und wer auf den Netzen sozusagen agiert, wer Kraftwerke dort anschließt, das müssen nicht die großen Betreiber sein, sondern mit dem Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ist es eben auch kleinen Akteuren bis jetzt jedenfalls immer möglich gewesen, verlässlich in erneuerbare Energien zu investieren.

Pokatzky: Also auch wenn die großen Konzerne sagen würden, wir machen da nicht mit, wir spielen da nicht mit, würden Sie wirklich eine dezentrale Energieversorgung hinkriegen?

Klusmann: Ja natürlich, wir haben ja heute schon 17 Prozent an der Stromversorgung, die großen …

Pokatzky: … das ist nicht viel …

Klusmann: … das ist aber mehr als die drei Prozent, mit denen es vor gut zehn Jahren angefangen hat, als es das Erneuerbare-Energien-Gesetz gab, und die großen Konzerne haben dazu nur marginal beigetragen.

Pokatzky: Wie sind denn die Chancen, dass die großen Konzerne vielleicht jetzt auch umdenken, dass die großen Konzerne wirklich heftig in erneuerbare Energien investieren?

Klusmann: Ja, darüber würden wir uns natürlich freuen, aber wenn wir genau hinschauen, ist es in den Investitionsbudgets bisher nur ein kleiner Teil. Deshalb ist es ja so wichtig, dass wir mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz auch die kleinen Akteure, die Feldheims und anderen eben in die Lage versetzen, ihre Energieversorgung selbst in die Hand zu nehmen.

Pokatzky: Bei all dem, was jetzt im politischen Raum diskutiert wird: Wird denn da die Dezentralisierung ausreichend berücksichtigt?

Klusmann: Wir müssen leider feststellen, dass in der Rhetorik die erneuerbare Energien zwar eine wachsende Bedeutung haben, wenn wir aber genau hinschauen, was …

Pokatzky: … Rhetorik heißt, das, was die Politiker dem Wahlbürger sagen …

Klusmann: … in den Ankündigungen, genau, also es wird gesagt, wir steigen um auf erneuerbare Energien, aber wenn wir genau hinschauen ins Erneuerbare-Energien-Gesetz, dann werden jetzt Konzepte gestärkt, die nicht unbedingt den dezentralen Charakter unterstützen. Und das macht uns Sorge.

Pokatzky: Damit es keine Missverständnisse gibt: Dieses Erneuerbare-Energien-Gesetz aus dem Jahre 2000 ist ja etwas Besonderes. Alle vier Jahre steht es auf dem parlamentarischen Prüfstand und wird reformiert, jetzt nach Fukushima ist das Ganze um ein Jahr vorgezogen worden. Ist das eine Reform im Schweinsgalopp, ist das gut für die erneuerbaren Energien?

Klusmann: Das neue Erneuerbare-Energien-Gesetz nach der Überarbeitung tritt zum nächsten Jahreswechsel in Kraft, das war auch schon vor Fukushima geplant. Es ist aus unserer Sicht nicht in Ordnung, dass wir jetzt mit einem solchen Schweinsgalopp die Fristen so stark verkürzen, innerhalb weniger Tage wird der Gesetzentwurf vorgelegt, beraten und verabschiedet, diese Eile hätten wir uns nicht gewünscht, sondern mehr fundierte Beratung.

Pokatzky: Sie werden übermorgen im Bundestag bei der Anhörung zur Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetz als einer der Sachverständigen sich äußern. Sie haben jetzt einen Satz: Was werden Sie den Abgeordneten erzählen?

Klusmann: Wir werden dafür plädieren, dass eine echte Marktintegration mit echten Grünstromprodukten weiter erhalten bleiben muss, und da hat die Regierung leider einen Vorschlag gemacht, der dieses System kappen würde.

Pokatzky: Sagt Björn Klusmann, der Geschäftsführer des Bundesverbandes Erneuerbare Energien zur Energiewende bei uns.


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