Deutschlands Kampf gegen den IS

"Der Einsatz ist Symbolpolitik"

Die Friedensforscherin Margret Johannsen vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.
Die Friedensforscherin Margret Johannsen. © picture alliance / dpa / Alina Novopashina
Margret Johannsen im Gespräch mit Patrick Garber · 19.12.2015
Mit Tornado-Aufklärungsjets, einem Tankflugzeug und einer Fregatte zieht Deutschland in den Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat". Die rechtliche Legitimierung ist umstritten. Wir reden darüber mit der Friedensforscherin Margret Johannsen.
Deutschlandradio Kultur: Trotz Weihnachtszeit ist unser Thema heute wenig besinnlich. Wir wollen über den Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat reden und die Rolle, die Deutschland dabei derzeit spielt und im kommenden Jahr erst recht noch spielen wird. Und meine Gesprächspartnerin dabei ist eine Konfliktforscherin. Es ist Dr. Margret Johannsen vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. – Guten Tag, Frau Johannsen.
Margret Johannsen: Guten Tag, Herr Garber.
Deutschlandradio Kultur: Kurz vor Nikolaus hat der Deutsche Bundestag beschlossen, Soldaten der Bundeswehr zur Unterstützung des Kampfes gegen den IS in Marsch zu setzen. Vertreter der Opposition nannten diesen Einsatz ein Abenteuer. – Ist er das, ein Abenteuer?
Margret Johannsen: Ich glaube, ein Abenteuer ist er nicht. Er ist aber Symbolpolitik. Ich denke, dass er nicht geeignet ist, die Probleme, die verbunden sind mit dem IS, mit der Region und mit den Problemen, die Frankreich in seinem eigenen Land hat, einer Lösung zuzuführen. Abenteuer würde ich nicht sagen, wenn mit dem Wort verbunden ist, dass es für diejenigen, die direkt daran beteiligt sind, zurzeit gefährlich ist. Aber, ob Abenteuer oder Symbolpolitik, beides wäre ja abzulehnen.
Radikalisierte in Frankreich leichter rekrutierbar
Deutschlandradio Kultur: Symbolpolitik bedeutet, dass das Risiko für die deutschen Soldaten, die in Tornados, in einem Tankflugzeug und an Bord der Fregatte "Augsburg" jetzt erstmal daran teilnehmen, eher gering einzuschätzen wäre?
Margret Johannsen: Ich meine mit Symbolpolitik vor allen Dingen Politik, die nicht bestimmt ist durch Imperative, die einer Konfliktlösung unterworfen sind, sondern eine Politik, die dazu geeignet ist, Bedürfnisse zu befriedigen, die nur entfernt zu tun haben mit einer Konfliktlösung.
Zum einen ist es das Bedürfnis eines Signals an Frankreich: Wir stehen an eurer Seite. Es ist aber das Symbol, der deutschen Bevölkerung nahezubringen, dass die Bundesregierung zur Europäischen Union steht. Es ist ja so, dass die Bürger, glaube ich, in der Mehrzahl es nicht richtig finden, dass Deutschland sich militärisch engagiert. Darum macht Deutschland es auch sehr zurückhaltend. Aber Symbolpolitik ist vor allen Dingen eine Politik, die so tut, als sei sie lösungsorientiert, aber eher daran orientiert ist, Symbole zu setzen.
Deutschlandradio Kultur: Dennoch ist es ja so, dass jetzt deutsche Soldaten dort unten im Einsatz sind als Teil der internationalen Allianz im Kampf gegen den IS. – Glauben Sie, dass dadurch die Terrorbedrohung hierzulande zunimmt?
Margret Johannsen: Das könnte sein. Es ist ja so, dass der IS zum Beispiel das Engagement Russlands in der Konfliktregion als Begründung dafür angeführt hat, die russische Passagiermaschine in die Luft zu jagen vor einigen Wochen. Frankreich, das sich an Bombardements auch in Syrien beteiligt, ist ausdrücklich auch deshalb als Ziel genannt worden vom IS. Insofern kann man es nicht ausschließen, dass – wenn Deutschland sich anschließt an diese Koalition – ebenfalls eine erhöhte Aufmerksamkeit erzielt wird.
Ich würde aber trotzdem meinen, dass es im Grunde genommen nicht so sehr im Willen des IS steht, nun ein Land oder Ziele in einem Land ins Fadenkreuz zu nehmen, sondern dafür braucht man Radikalisierte in dem Land, in dem Terrorattentate verübt werden. In Frankreich waren das Franzosen und Belgier und es waren keine direkten Angehörigen des IS. Es waren keine Syrer. Es waren keine Araber. Es waren keine Menschen, die außerhalb Frankreichs leben und eingereist sind, sondern es waren Franzosen und Belgier, vor allen Dingen Franzosen, deren Urgroßeltern oder Großeltern aus Nordafrika stammen und die marginalisiert sich mit dem französischen Staat in der Weise, wie er existiert, nicht identifizieren und insofern als Radikalisierte eben auch leicht rekrutierbar waren.
Dieses Problem gibt es in viel geringerem Maße in Deutschland als in Frankreich.
Porträtfoto von Foued Mohamed Aggad 
Ein Foto von Foued Mohamed Aggad, einer der Angreifer auf die Konzert-Halle Bataclan in Paris.© HO / OFF / AFP
Deutschlandradio Kultur: Sie hatten gesagt, dass dieser Einsatz eine politisch motivierte Symbolaktion ist. Die andere Frage ist ja, wie das völkerrechtlich und nach dem Grundgesetz zu bewerten ist, ob das überhaupt zulässig ist. Ein Mandat der Vereinten Nationen liegt ja nicht vor. Die Rechtsgelehrten streiten. – Was ist Ihre Meinung?
Margret Johannsen: Meine Meinung ist, dass es mit dem Völkerrecht nicht vereinbar ist. Eine solche Intervention braucht einen UN-Beschluss nach Kapitel 7 der UN-Charta. Das ist nicht erfolgt. Es gibt Formulierungen seitens der UN, die mit großer Mühe sich zitieren lassen, aber nichtsdestoweniger gibt es dieses Mandat meines Erachtens nicht.
Das Parlament hat das entschieden. Insofern ist das Parlament, wenn man jetzt von deutscher Verfassungspolitik ausgeht, einbezogen und hat so entschieden. Da gibt es dann auch gar keinen Rechtsweg in Deutschland dagegen. Aber völkerrechtlich, denke ich, dass man nicht sagen kann, dass dies völkerrechtskonform ist.
Deutschlandradio Kultur: Es gibt einen Brief oder es soll einen Brief geben des amerikanischen Verteidigungsministers Carter an seine Berliner Kollegin, an Frau von der Leyen. Der Spiegel zitiert daraus. Da soll drin stehen, dass zusätzliche Anstrengungen Deutschlands im Kampf gegen den IS gefordert werden. Was genau, steht da wohl nicht drin, aber dass dieser symbolische Einsatz in Washington als nicht ganz ausreichend gesehen wird. Heißt das, dass dieser relativ bescheidene Einsatz nur der Anfang ist und Deutschland irgendwann mehr wird liefern müssen aus politischen Gründen?
Zerfallserscheinungen in Europa
Margret Johannsen: Sie sagten "müssen", Deutschland muss aus politischen Gründen gar nichts liefern. Deutschland ist ein souveräner Staat und kann selbst entscheiden. Sie sprechen im Grunde genommen Bündnisloyalität an. Da ist es eine Frage der Abwägung. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass man mit Forderungen konfrontiert sein wird in Zukunft, die umfänglicher sind, sei es, dass man mehr Soldaten will, die Kämpfer am Boden aus der Region unterstützen, schulen, dass man mehr Waffenlieferungen haben will, als jetzt zum Beispiel an die Peschmerga geliefert werden, die Kurden. Das ist alles vorstellbar. Dass man von Deutschland verlangt, sich am Bombardement direkt zu beteiligen – indirekt ist Deutschland beteiligt, wenn es Flugzeuge auftankt, ist es natürlich beteiligt – ob es aber auch darüber hinaus geht, kann ich jetzt nicht voraussagen, aber ein größeres Engagement kann ich mir vorstellen. Aber ich wehre mich gegen den Ausdruck, dass Deutschland das muss.
Ich verstehe die Loyalitäten. Ich verstehe auch, dass die Krise, in der Europa sich befindet, die Zerfallserscheinungen, dass die gewichtig sind, dass man deshalb auch etwas tun will, um den Zusammenhalt in Europa zu festigen. Ich verstehe das, ich halte dies aber für eine falsche Politik. Und ich denke, dass es andere Möglichkeiten gibt und geben muss, den europäischen Zusammenhalt wiederherzustellen oder weiterzuentwickeln.
Deutschlandradio Kultur: Zumal das ja auch eine transatlantische Frage werden könnte, denn die Bundesregierung ist ja ein bisschen ein gebranntes Kind. 2011 beim Nato-Einsatz gegen Libyen, gegen den damaligen Machthaber Gaddafi, stand man abseits. Damals war das noch die schwarz-gelbe Regierung. Das hat zu ziemlich nachhaltiger Verstimmung bei den Verbündeten geführt, namentlich auch bei den USA. – Kann oder will diese Regierung sich sowas nochmal leisten?
Margret Johannsen: Diese Enthaltung der damaligen Regierung im UN-Sicherheitsrat war ja sehr umstritten. Ich halte die Kritik daran nicht für berechtigt, finde allerdings, dass damals Deutschland keine Heldentat begangen hat, indem es sich diplomatisch nicht sonderlich engagiert hat. Es gab ja zum Beispiel von der Türkei damals 2011 Bemühungen um mehr Zeit für eine mögliche Lösung der bevorstehenden – so sah es aus – Gefahr, die für tausende von libyschen Zivilisten besteht. Da hat sich Deutschland, glaube ich, nicht sonderlich hervorgetan, diplomatisch.
Ein Transportflugzeug wird mit Waffen auf dem Flughafen Leipzig/Halle beladen. Mit dieser ersten Maschine mit Panzerfäusten, Gewehren und Munition begannen die deutschen Waffenlieferungen.
Ein Transportflugzeug wird mit Waffen auf dem Flughafen Leipzig/Halle beladen. Mit dieser ersten Maschine mit Panzerfäusten, Gewehren und Munition begannen die deutschen Waffenlieferungen.© picture alliance / dpa / Jan Woitas
Die Enthaltung halte ich durchaus für angemessen Und wenn wir uns ansehen, was aus Libyen geworden ist und wie das Mandat, das damals die Vereinten Nationen erteilt haben, ausgedehnt worden ist und exzessiv ausgelegt worden ist im Sinne eines militärisch bewirkten Regime-Changes, bin ich nach wie vor der Ansicht und nachträglich eigentlich umso eher, dass man außerordentlich zurückhaltend sein muss mit der Interpretation dieser RTP-Regel, Responsibility to protect, weil sie Gefahr läuft, instrumentalisiert zu werden für Ziele, die nicht direkt in ihr liegen.
Ich bin kein absoluter Gegner von RTP, aber RTP, Responsibility to protect, bedeutet vielerlei, bedeutet, im Vorfeld präventiv tätig zu werden, bedeutet auch, verantwortlich handeln, auch militärisch verantwortlich handeln und nachher die Verantwortung nicht wieder abgeben. Aber immer zum Schutze der Zivilbevölkerung und nicht mit Zielen befrachtet, die nicht diesem Schutze der Zivilbevölkerung offensichtlich dienen.
Deutschlandradio Kultur: Der Bundestag hat ja für diesen Einsatz ein ziemlich üppiges Mandat erteilt. Bis zu 1.200 Soldaten können daran teilnehmen. – Hat man da schon mal vorgebaut für den Fall, dass es Nachforderungen gibt von den Verbündeten?
Margret Johannsen: Das halte ich durchaus für möglich, dass man vorgebaut hat, aber das ist eine Spekulation. Auch diese Zahlen sind eine Spekulation. Immerhin hat man damit vorgebaut, dass man immer wieder neue Beschlüsse herbeiführen muss und damit auch immer neue Debatten führen muss. Insofern ist das auch eine – wenn ich den Ausdruck in dieser ernsten Angelegenheit verwenden darf – gewisse taktische Klugheit, die diesem Beschluss zugrunde liegt.
Deutschlandradio Kultur: Zumal es ja nicht nur zurzeit um den dazugekommenen IS-Einsatz geht, sondern auch in Mali wird das deutsche Kontingent aufgestockt mit der Begründung, man möchte dort die Franzosen entlasten. Vielleicht kommt auch irgendwann mal eine Friedensmission in Libyen dazu.
Syrien-Einsatz: "Da ist keine Strategie dahinter"
Erleben wir so was wie eine Militarisierung der deutschen Außenpolitik, vielleicht sogar einen Paradigmenwechsel? Denn sogar jemand wie Frank-Walter Steinmeier, der bisher immer gesagt hat, Militär sei kein geeignetes Mittel der Außenpolitik, sagt ja jetzt ganz was anderes.
Margret Johannsen: Also, die Palette der Einsätze von Soldaten und von Militärberatern ist ja sehr breit. In Mali geht es vor allen Dingen um die Ertüchtigung malischer Sicherheitskräfte, wobei dies hier als Unterstützung für Frankreich ausgegeben wurde. Das ist nur eine sehr indirekte. Eine direkte ist es der Holländer. Aber auch da ist immer zu berücksichtigen, dass der Kontext, Mali zum Beispiel ist ein Fall, in dem eigentlich die Unübersichtlichkeit der Dschihadisten-Szene durch den Einsatz Frankreichs 2013 erst erzeugt worden ist.
Das heißt, man muss auch immer ganz genau hingucken zu dem Ort, wo man eingreift. Und Loyalität zu einem Bündnispartner, der kein afrikanischer Bündnispartner ist, sondern ein europäischer Bündnispartner, darf nie vergessen lassen, dass man zunächst einmal die Kräfte vor Ort stärken muss. Solange das geschieht und es im malischen Interesse ist, ist das auch gut so, ist aber kein Kampfeinsatz in Mali.
Frank-Walter Steinmeier hat immer betont, dass eine militärische Lösung es nicht geben kann, sondern, wenn es Militäreinsätze gibt, dann müssen sie immer flankiert sein oder untergeordnet sein diplomatischen Bemühungen. Die Unterordnung militärischer Einsätze unter die Diplomatie halte ich für außerordentlich wichtig. Aber auch die deutsche Bundesregierung ist unter einem enormen Druck und auch Frank-Walter Steinmeier ist es.
Ich halte diese Entscheidung, Syrien zu bombardieren, um den IS zu vernichten, für falsch. Ich denke, da ist keine Strategie dahinter. Ich denke, sie ist nicht sonderlich aussichtsreich. Ich kann mir andere Dinge eher vorstellen. Aber das braucht Zeit und es sieht so aus, als sei die Politik, die hier so entschieden hat, wie sie entschieden hat, der Ansicht, dass es keine Zeit mehr zu verlieren gibt.
Deutschlandradio Kultur: Sie sagen, der Bombardierungsbeschluss sei falsch. Es gibt ja auch Militärexperten, die durchaus – vielleicht aus anderem Grund – das auch so sehen, weil sie nämlich sagen: Ohne Bodentruppen kann man eine Gruppierung wie den IS sowieso nicht erfolgreich bekämpfen.
Inzwischen ist die Frage Bodentruppen ja bis zum SPD-Bundesparteitag vorgedrungen. Der Parteivorsitzende Gabriel hat laut darüber nachgedacht, wie die SPD sich verhalten würde, wenn es solche Anfragen gäbe, dass die Bundeswehr Bodentruppen schicken sollte. Sehen Sie das als eine Option? Ist das etwas, was auf uns zukommen kann, irgendwann dann doch auch Heeressoldaten dort hinzuschicken?
Margret Johannsen: Also, für mich ist das überhaupt keine Option. Ich kann nicht ausschließen, dass es falsche Entscheidungen gibt, aber ich denke auch, dass man mit Angriffen aus der Luft, mit Bombardements der Problematik in Syrien nicht Herr wird. Wenn überhaupt man den IS bekämpfen will, dann geht das vermutlich nur am Boden. Aber das sollten keine Europäer sein, sondern das sollten arabische Staaten in die Hand nehmen.
Deutschlandradio Kultur: Wobei da allerdings das Dilemma ist, dass ja die meisten arabischen Staaten auch irgendwie auf der einen oder anderen Seite engagiert sind.
Margret Johannsen: Das Problem in Syrien, in Syrien noch mehr, viel mehr als im Irak, ist, dass es eine fast unübersichtliche Gemengelage gibt von intervenierenden äußeren Kräften, also Saudi Arabien, Iran, Katar, Türkei, von Milizen, säkularen Milizen, größtenteils aber islamistischen bis dschihadistischen Milizen, die mal von dem einen, mal von dem anderen unterstützt und beliefert werden, also finanziell unterstützt werden, aber auch mit Waffen, dass diese untereinander immer noch stark zerstritten sind. Es gibt welche, die werden ausgegrenzt aus möglichen politischen Gesprächen. Andere werden einbezogen. Manche sind in ihrer Zugehörigkeit sehr schwer einzuschätzen, so dass diese Gemengelage natürlich eine Einigung auf Bodentruppen seitens arabischer Staaten außerordentlich schwer macht.
Bisher gibt es viele IS-Kämpfer, die aus Nordafrika kommen – Tunesien, Marokko –, und man kann sich vorstellen, dass diese Staaten, die als Staaten nicht unmittelbar involviert sind wie die Anrainerstaaten, dass die eher dafür infrage kämen für Kontingente. Aber auch die Kurden. Die sind die Einzigen, die bisher am Boden erfolgreich kämpfen. Und dennoch denke ich, dass ein militärischer Sieg über den IS nicht das ist, womit wir zu rechnen haben.
Ich glaube eher, dass die Zukunft Syriens ein Zerfall Syriens ist. Wenn wir uns jetzt einmal ansehen, was die Intervention auch Russlands bedeutet, so kann es durchaus sein, dass Präsident Assad in dem Gebiet, was er noch beherrscht – also etwa ein Viertel bis ein Drittel des Landes – auf das Gebiet begrenzt bleibt, dass es dann eine Kurdenregion gibt, dass es dann eine Region gibt, in der säkulare Kräfte, die sunnitisch sind, herrschen. Das ist eine Möglichkeit. Und dann gibt es das Vierte, nämlich die Möglichkeit, dass der IS dort, wo er zurzeit sitzt, auch bleibt.
"Der Mann ist ein Kriegsverbrecher"
Deutschlandradio Kultur: Wir haben jetzt schon angefangen über die Politik zu reden. Wenn es keine militärische Lösung gibt, dann kann es ja wohl nur eine politische Lösung sein, wenn überhaupt. Dabei stellt sich aber immer die Gretchenfrage: Was macht man mit dem syrischen Machthaber Assad? Sich mit so jemandem an einen Verhandlungstisch zu setzen, der seit Jahren sein eigenes Volk massakriert, ist keine schöne Vorstellung. Andererseits ist es realpolitisch nicht trotzdem unvermeidlich, zumindest anfänglich auch mit ihm zu verhandeln?
Margret Johannsen: Also, es fragt sich ja dann, was das denn bedeutet, sich an einen Tisch setzen. Da gibt die Diplomatie ja ganz viele Nuancen als mögliche vor. Dass man ihn völlig herausnimmt aus Gesprächen über die Zukunft des Landes, ist angesichts seiner Unterstützung in der letzten Zeit durch Russland schwer vorstellbar. Er muss ja selber nicht da sitzen. Im Übrigen ist es ja so, dass meistens die Staatschefs sowieso nicht an den Verhandlungstischen sitzen, sondern im Hintergrund sitzen.
Vor einigen Monaten oder auch Jahren hieß es noch, auch Iran, der ihn ja unterstützt, kann nicht am Verhandlungstisch sitzen, weil er Assad unterstützt. Und diejenigen, die unter den Syrern unendlich leiden, unter den Bombardements der syrischen Armee, dass da Fassbomben in großer Zahl auf Wohnviertel von Städten fallen, dass die Todesopfer allein in diesem Jahr, glaube ich, etwa 12.000 Zivilisten, das sind die des syrischen Regimes und es sind nicht die Todesopfer des IS. Das ist gar nicht vergleichbar in der Größenordnung. Das sind viel, viel weniger auf Seiten des IS.
Das heißt, in der Tat kann ich es gut nachvollziehen, wenn die Syrer sagen oder die Gruppen, die etwas zu sagen haben dort, die Milizen, die ja immer bestimmte Orte, kleine Areale beherrschen, dass die sagen, nein, das geht nicht. Das geht einfach nicht. Der Mann ist ein Kriegsverbrecher. Mit so einem können wir nicht reden.
Ja, dann ist es vielleicht nötig, sich eine Übergangsregelung vorzustellen, die bedeutet, dass es nicht diese Person ist, die weiterhin regiert, vielleicht auch nicht der Clan im engeren Sinne. Soweit ich gehört habe, haben die Russen sogar eruiert, ob man ihm und seiner Familie ein Exil in Weißrussland, also ganz weit weg, anbieten könnte.
Nun ist es so, dass zurzeit tatsächlich Assad auch in gewisser Weise aufgewertet worden ist durch die Unterstützung durch Russland. Das Fatale ist, dass jetzt so eine Art von Arbeitsteilung stattfindet: Dass es Gebiete gibt, die die syrische Armee bombardiert, die eigentlich Schutzzonen werden müssten, wenn man einmal von einer vielleicht militärisch unterstützten, aber zivilen Lösung für die Zivilbevölkerung ausgeht, und andere, wie die USA oder Frankreich, die bombardieren die Gebiete, die der IS beherrscht. Damit greifen sie aber einer Teilung des Landes in gewisser Weise ja auch vor.
Also, es ist einerseits unübersichtlich und andererseits deutet vieles darauf hin, dass man entweder eine Übergangslösung finden muss, die dann irgendwann einmal Wahlen erlaubt. Und in dieser Übergangszeit muss man versuchen, das Schicksal dieser Familie Assad zu klären. Denn man muss ja doch bedenken, er kontrolliert etwa noch ein Drittel des Landes. Und es gibt viele Menschen in Syrien dort, wo nicht gekämpft wird, und dort gibt es breite Gebiete, wo nicht gekämpft wird. In diesen Gebieten lieben die Menschen Assad vielleicht nicht, aber er gewährt ihnen in gewisser Weise Sicherheit. Und Sicherheit ist in einem bürgerkriegszerrissenen Land, und das ist seit vier Jahren eben so in Syrien, mit fürchterlichen Opfern, vielleicht wichtiger als Freiheit.
Uralte Spaltung zwischen zwei Konfessionen
Deutschlandradio Kultur: Zumal es ja auch noch als weiteren Interessenten in der Gegend den schon von Ihnen angesprochenen Iran gibt, der das Assad-Regime seit Jahren unterstützt, zurzeit wohl auch mehr oder weniger verdeckt militärisch unterstützt. Der Iran sieht Syrien ja wohl als ein wichtiges Element des sogenannten schiitischen Halbmonds, also jenes iranischen Interessengebiets, das sich von Teheran über den Irak und Syrien eben bis in den Libanon erstreckt. Kann es sich denn Teheran überhaupt leisten, dass der alawitische, also auch religiös nahestehende Assad-Clan völlig verschwindet und Syrien aus dem Machtgefüge ausscheidet?
Margret Johannsen: Der sogenannte schiitische Halbmond ist kein Begriff, den der Iran verwendet. Gleichwohl kann man das ja so sehen. Es gibt in Syrien ja neben all den Milizen, die dort kämpfen, und neben allen Zerrissenheiten auch eine Stellvertreterkriegs-Komponente – die zwischen Saudi-Arabien und Iran. Das ist in der Tat die, die man auch bezeichnen kann mit schiitisch und nicht-schiitisch. Das wahabitische Regime in Saudi Arabien ist nicht schiitisch. Und zwischen diesen beiden Großmächten gibt es eine enorme Konkurrenz, eine Hegemonial-Konkurrenz.
Und da spielt natürlich Syrien eine Rolle. Syrien und auch die Hisbollah, die als schiitische Miliz im Libanon an der Regierung beteiligt ist, aber auch in Syrien kämpft, vor allen Dingen an der Westgrenze. Für Iran ist diese Stellvertreter-Komponente von Relevanz. Und das ist der Grund, weshalb sie Baschar al-Assad unterstützen. Und möglicherweise haben sie da entweder auf eine falsche Karte gesetzt. Es scheint aber so zu sein, als hielten sie an Assad auch nicht fest, sondern es wäre wahrscheinlich nur nicht in ihrem Interesse, wenn Syrien künftig von Kräften beherrscht wird, die die Schiiten marginalisieren, so wie im Irak die Sunniten marginalisiert worden sind.
Insgesamt ist es fatal, dass diese ja uralte Spaltung zwischen zwei Konfessionen im Islam, die ja in der Vergangenheit nicht verhindert hat, dass Menschen benachbart waren und miteinander gut gelebt haben, aber die ja immer sich anbietet als Erklärung oder als Möglichkeit, Sicherheit zu erlangen, wenn Staaten versagen. Und das ist im Grunde das Hauptproblem. Sowohl im Irak als auch in Syrien hat der Staat – aus unterschiedlichen Gründen – aber vollständig versagt und ist im Grunde zerfallen in seinen Institutionen. Im Irak ist es am Ende ausgelöst worden durch den Krieg der Amerikaner, vor allen Dingen der Amerikaner, 2003. In Syrien ist es ausgelöst worden durch die Militarisierung des Arabischen Frühlings seitens des Regimes von Assad.
Diese Staaten bieten ihren Bürgern keine elementare Sicherheit mehr. Und wenn das so ist, dann sind Menschen ja zurückgeworfen auf ganz andere Strukturen, die ihnen Sicherheit gewähren können. Also, im Irak hat ja schon der Saddam Hussein, bevor die Amerikaner dort interveniert haben, im Grunde eine Tribalisierung vorangetrieben, als der Staat seine Leistungen nicht mehr erbringen konnte, weil er völlig Pleite war. Pleite war er durch den Iran-Irak-Krieg in den 80er Jahren und dann auch Pleite durch den Krieg und die Sanktionen in den 90er Jahren.
Dieser Rückzug des Staates aus den Leistungen für seine Bürger und die Situation, in der dann die Bürger sind, bedeuten, dass sie sich zurückziehen auf ihre primordialen Strukturen, so nennen wir das in der Wissenschaft, also diese sehr elementaren. Das ist dann die Familie. Das ist dann der Clan. Das ist dann der Stamm. Und das ist eben auch die Konfession, die so einen Kompass darstellt und die dann auch im Falle des Falles dazu führen kann, dass man eben glaubt, nicht mehr mit denen leben zu können.
Wenn es gelingen sollte, und das ist im Grunde die Hauptaufgabe zur Lösung dieser Konflikte, staatliche Strukturen aufzubauen, die verantwortlich handeln und zu denen Bürger Vertrauen zurückgewinnen können, da braucht es Hilfe auch von außen, da braucht man auch Geld von außen, da ist das Geld gut aufgehoben, dann kann ich mir vorstellen, dass man mit dieser Good Governance, die man anstreben muss, dieses Problems langfristig Herr wird.
Aber das ist eine Herkulesaufgabe, aber man muss, glaube ich, sich auch mal von dem Gedanken verabschieden, dass man jahrelang zusieht – im Falle des Irak wirklich jahrelang zusieht –, wie staatliche Strukturen zerfallen, und dann, wenn es dann wirklich spitz auf Knopf steht, dann zu glauben, dass militärische Mittel das lösen können.
Nun glaubt das sicherlich Frank-Walter Steinmeier auch nicht. Der weiß auch, dass es der Diplomatie bedarf. Der weiß auch, dass – wenn man das Militär schickt – man auch die Politik schicken muss. Aber man muss immerhin in Erwägung ziehen, dass zivile Opfer dem IS in Syrien auch Unterstützer zutreiben und zivile Opfer auch dem IS in anderen Staaten der Welt Anhänger zutreiben. Das ist dann eine Gefahr, die ich eben auch sehe. Und insofern bin ich sehr skeptisch gegenüber diesen, wie ich finde, doch recht kurzatmigen Konzepten und der Vorstellung, dass man den IS besiegt, dass man ihn verscheucht, dass man ihn am Boden zerstört.
Der IS hält sich ja nicht mehr auf in Jeeps, die paradieren durch die Straßen. Die haben ja ihre Kämpfer inzwischen in den Städten, die sie beherrschen, in die Wohngebiete getan. Und da kann man sie nicht aus der Luft bombardieren. Und dann gibt es wirklich nur Bodentruppen. Und das dauert unendlich lange und das wird unendlich viele Opfer kosten.
Ein Gewehr mit einer Fahne des syrischen Machthabers Baschar al-Assad
Margret Johannsen kann verstehen, dass mit Baschar al-Assad nicht kooperieren wollen, weil sie ihn vor allem als Kriegsverbrecher betrachten.© dpa / picture alliance / Valery Sharifulin
Deutschlandradio Kultur: Sie sagten, man muss Staatlichkeit erst wieder neu aufbauen. Ist das im Fall Syrien denkbar innerhalb der Grenzen eines syrischen Gesamtstaats nach allem, was passiert ist? Oder muss man dann an eine vielleicht jugoslawische Lösung denken, also eine Aufteilung des Landes in – wie Sie es schon angedeutet haben – in einen alawitischen Teil, einen kurdischen Teil, einen arabisch-sunnitischen Teil?
Margret Johannsen: Ich kann mir sehr schwer vorstellen, eigentlich gar nicht vorstellen, dass man den syrischen Staat in seiner alten Form wiederherstellen kann. Dazu ist zu viel geschehen. Das glaube ich also nicht. Ich könnte mir eine föderale Struktur vorstellen. Das deuten Sie ja gerade an in Ihrer Frage mit diesem Beispiel Jugoslawiens. Also, eine föderale Struktur kann ich mir vorstellen.
Da muss man auch immer das Problem sehen, dass, wenn so etwas mit Karten zum Beispiel ausgehandelt wird, und viele Gebiete sind umstritten, solche Vorstellungen auch immer nochmal dazu führen können, dass man versucht, sein eigenes Gebiet zu arrondieren. Es ist ja oft so, dass, wenn Waffenstillstände bevorstehen, dann jede kämpfende Gruppierung versucht, noch so viel wie möglich für sich zu erkämpfen.
Darum glaube ich auch, dass zunächst einmal einzelne Waffenstillstände für Gebiete, in denen keine starken Interessen einzelner kämpfender Gruppen vorhanden sind, auszuhandeln sind. Auch das wird mühsam genug sein, aber im Endeffekt kann ich mir eine föderale Struktur dieses Landes eher vorstellen als einen Zusammenhalt und eine Rückkehr zu den alten zentralistischen politischen Strukturen.
Deutschlandradio Kultur: Hoffen wir, dass das neue Jahr in dieser Hinsicht Fortschritte bringt. – Vielen Dank für das Gespräch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Dr. Margret Johannsen ist Senior Research Fellow am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen der Nahe und Mittlere Osten sowie der Terrorismus. Margret Johannsen hat in Berlin und Hamburg studiert und promovierte über amerikanische Atomwaffen in Europa. Sie ist Mitherausgeberin des jährlichen Friedensgutachtens mehrerer deutscher Institute.

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