Deutschland und Türkei

"Klare Kante zeigen"

Bundeskanzlerin Merkel begrüßt den türkischen Präsidenten Erdogan zum G20-Gipfel. Beide lächeln.
Die eigenen Werte verteidigen und sich nicht erpressen lassen - der deutsch-türkische Rechtsanwalt Erol Özkaraca fordert von der Bundesregierung "klare Kante" gegenüber der Türkei. © dpa / AP / Jens Meyer
Erol Özkaraca im Gespräch mit Ute Welty · 15.07.2017
Die Türkei versuche immer wieder Potenziale aufzubauen, um Einfluss auf die deutsche Politik zu nehmen, kritisiert der Rechtsanwalt Erol Özkaraca mit Blick auf das Besuchsverbot auf dem NATO-Stützpunkt Konya. Die Bundesregierung dürfe sich nicht erpressen lassen.
"Klare Kante" gegenüber der Türkei fordert der Rechtsanwalt und frühere Berliner SPD-Abgeordnete Erol Özkaraca von der Bundesregierung.
"Diese Regierung muss wahrnehmen, dass sich hier in der Türkei eine Diktatur formiert hat", sagte Özkaraca im Deutschlandfunk Kultur. "Und mit einer Diktatur geht man anders um und muss man anders umgehen als mit einem demokratischen oder zumindest in wesentlichen Teilen demokratischen Staat, wie die Türkei es früher war."
Die Bundesregierung dürfe sich nicht erpressen lassen, mahnte der türkischstämmige Rechtsanwalt mit Blick auf das von der türkischen Regierung ausgesprochene Besuchsverbot für Bundestagsabgeordnete auf dem NATO-Stützpunkt Konya:
"Hier sehen wir: Die Türkei versucht immer wieder, Potenziale aufzubauen, um Einfluss auf die deutsche Politik zu nehmen. Und das kann sich keine Regierung leisten."

Starkes Misstrauen unter den Deutschtürken

Bezüglich der Situation der türkischen Gemeinde in Deutschland beklagte Özkaraca eine deutliche Verschlechterung des Miteinanders seit dem Putschversuch in der Türkei vor einem Jahr: "Wenn ich mit Leuten rede, merke ich natürlich, wie die sich separieren und wie die sich mit Argwohn gegenseitig betrachten oder auch belauern."
Erol Özkaraca saß von 2011 bis 2016 für die SPD im Berliner Abgeordnetenhaus. Weil er die seiner Auffassung nach zu tolerante Haltung seiner Partei gegenüber dem politischen Islam und Islamisten nicht mittragen wollte, trat der säkulare Muslim nach 23 Jahren Mitgliedschaft im März 2017 aus der Partei aus.
(uko)

Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Genau ein Jahr ist es jetzt her, dass die Welt mit großer Spannung auf die Türkei schaute, auf die Nacht vom 15. auf den 16. Juli, als das Militär versuchte zu putschen. Ich muss Ihnen nicht erzählen, wie sich die Dinge seitdem verändert haben, darüber haben wir auch hier bei Deutschlandfunk Kultur ausführlich berichtet, dass eben Zehntausende ihren Job verloren haben, dass die Pressefreiheit eingeschränkt wurde und dass sich die Macht auf Staatspräsident Erdogan in einem bisher nicht gekannten Ausmaß konzentriert. Erol Özkaraca ist Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei in Berlin und er beobachtet sehr genau, was vor allem in der türkischen Gemeinde in Deutschland seitdem passiert. Guten Morgen, Herr Özkaraca!
Erol Özkaraca: Ja, guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Wenn Sie jetzt zurückblicken auf den Morgen des 15. respektive des 16. Juli, haben Sie da schon geahnt, dass es so kommt, wie es dann gekommen ist?
Özkaraca: Nein, das haben wir so nicht … Also, das hat glaube ich kein Mensch so ahnen können. Für uns war a) der Putschversuch selbst sehr überraschend und jeder hat sich ja zunächst einmal mit der Frage beschäftigt: wer war das, was hatten die Putschisten vor, wer sind die überhaupt? Und weniger mit dem, dass da womöglich auch andere mitgewirkt haben, die diesen Putsch für ihre eigenen politischen Zwecke, Machtansprüche nutzen können. So weit haben wir damals ganz sicher nicht gedacht.

Am Freitagabend putschen? Eine schlechte Idee!

Welty: Sie waren damals selber in Istanbul. Wie haben Sie von den Ereignissen erfahren als Erstes?
Özkaraca: Ich war ja direkt im Flugzeug. Wir sind genau an dem Tag dort gelandet und haben am Flughafen erst erfahren, nach den Passkontrollen, dass in der Türkei die Armee angeblich geputscht hat. Und wir waren erst mal völlig überrascht. Ich war sehr überrascht, weil der Zeitpunkt mich total irritiert hatte. Am Freitag, am frühen Abend, sind die Soldaten aus den Kasernen gefahren, das ist wahrscheinlich der schlechteste Zeitpunkt innerhalb einer Woche, um einen solchen Putsch durchzuführen.
Welty: Warum?
Özkaraca: Sehen Sie, das Ziel eines solchen Putsches … Die Türkei hat ja leider eine sehr traurige Putschgeschichte. Diese Putsche haben in der Regel immer in der Nacht stattgefunden und das Erste, was man festgesetzt hat, war die Regierung und alle politischen Exekutivkräfte, die wichtig waren, um die Macht von denen zu übernehmen, indem man sie ausschaltet, indem man sie verhaftet oder festsetzt. Und das ist ja alles gar nicht erfolgt. Sehen Sie, Istanbul hat … Am Freitagabend zwischen 17 und 18 Uhr ist dort Rush Hour, da können Sie mit dem militärischen Gerät überhaupt nicht durch die Straßen kommen.
Welty: Der Putsch, der am Stau scheiterte.
Özkaraca: Ja, zum Beispiel.

Türkische Gemeinde in "einer Art Schockstarre"

Welty: Wie hat sich seitdem das politische Klima innerhalb der türkischen Gemeinde in Deutschland verändert?
Özkaraca: Na ja, der Putsch selbst hat erst mal, glaube ich, noch gar keine Auswirkung gemacht, weil wir ja alle in so einer Art Schockstarre uns befunden haben. Aber im Nachgang konnte man ja sehen, wer welche Interessen hier in Deutschland vertritt und auch danach handelt. Also, es wird natürlich… Jeder hat sich überlegt: Wer gehört hier zu dieser Gülen-Gemeinde, die Verantwortung für diesen Putsch trägt oder nicht trägt? Und wer gehört zu denen, die hinter dem Staatspräsidenten stehen, und wer steht womöglich dagegen? Das hat sich natürlich genauso wie in der Türkei hier spiegelbildlich wieder abgebildet. Alles, was in der Türkei passiert …
Welty: Die Menschen begegnen sich mit mehr Misstrauen?
Özkaraca: Ja, sicher. Sehen Sie, es hat Übergriffe gegeben auf Aleviten oder es hat Übergriffe auf Kurden in der Türkei gegeben, das alles spiegelt sich doch hier wider, das ist doch ganz klar.

Argwöhnisches Belauern der Türken in Deutschland

Welty: Spüren Sie auch so etwas wie Druck von türkeistämmigen Mitbürgern, wenn es um Kritik an Erdogan, wenn es um Kritik am Islam geht?
Özkaraca: Ich selbst spüre da nicht sehr viel, weil ich in den Gemeinden und in den politischen Aktivitäten der Menschen hier in Berlin nicht teilnehme. Für mich ist es wichtiger gewesen, dass wir uns mehr Gedanken machen mit der Politik hier in Deutschland, hier in Berlin. Aber natürlich, wenn ich mit Leuten rede, merke ich natürlich, wie die sich separieren und wie die sich mit Argwohn gegenseitig betrachten oder auch belauern.

In der Türkei hat sich eine "Diktatur formiert"

Welty: Wo Sie die deutsche Bundesregierung ansprechen, was wünschen Sie sich an Haltung, an Kurs? Ist der Kurs, der bislang eingeschlagen wird gegenüber Ankara, angemessen? Auch jetzt vor dem Hintergrund, dass der Besuch auf dem türkischen NATO-Stützpunkt abgesagt wurde, verboten wurde?
Özkaraca: Also, es ist natürlich zunächst erst mal grundsätzlich schwer, weil, die Türkei ist der älteste und wahrscheinlich auch der treueste Verbündete, den die Bundesrepublik hat. Allerdings muss man, und das konnte man auch aus den Äußerungen von de Maizière, wenn man ihm genau zugehört hatte, feststellen: Er glaubt nicht an diese Version der türkischen Regierung, vor allen Dingen des türkischen Staatspräsidenten, den Putsch betreffend. Er muss, und diese Regierung muss wahrnehmen, dass sich hier in der Türkei eine Diktatur formiert hat. Und mit einer Diktatur geht man anders um und muss man anders umgehen als mit einem demokratischen oder zumindest in wesentlichen Teilen demokratischen Staat, wie die Türkei es früher war.
Und daraus ergibt sich natürlich, dass man hier Werte verteidigen muss, sich nicht erpressen lässt und man an diesen Punkten klare Kante zeigt. Sehen Sie, die Bundesrepublik erfüllt mit ihren Einheiten in Konya NATO-Verpflichtung. Und dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist, das wissen die Türken schon lange. Denn seitdem die Bundesrepublik Mitglied der NATO ist, ist die Bundeswehr eine Parlamentsarmee und es haben immer regelmäßige Besuche von Bundestagsabgeordneten bei den Einheiten der Bundeswehr stattgefunden. Hier sehen wir: Die Türkei versucht immer wieder, Potenziale aufzubauen, um Einfluss auf die deutsche Politik zu nehmen. Und das kann sich keine Regierung leisten.
Welty: Der Berliner Rechtsanwalt Özkaraca im "Studio 9"-Gespräch, ein Jahr nach dem Putschversuch in der Türkei. Haben Sie recht herzlichen Dank!
Özkaraca: Ja, ich danke Ihnen, schönen Dank, Frau Welty.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. DLFKultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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