Deutschland und Russland

"Das Verhältnis ist nachhaltig gestört"

07:28 Minuten
Der russische Präsident Vladimir Putin und Bundeskanzlerin Angela Merkel, 18. August 2018 in Gransee, Deutschland.
Wladimir Putin und Angela Merkel: Die Distanz war schon immer sichtbar. Jetzt sei man in Deutschland ahnungslos, wie man mit einem "autistischen Regime" umgehen könne, sagt Manfred Sapper. © Getty / Mikhail Svetlov
Manfred Sapper im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 28.08.2020
Audio herunterladen
Lügen auf der einen Seite, Hilflosigkeit auf der anderen: Der Politologe Manfred Sapper sieht die deutsch-russischen Beziehungen zerrüttet. Das liege nicht nur am autoritären Putin-Regime. Hierzulande mangele es dramatisch an Russland-Kennern.
Stephan Karkowsky: Die Außenminister der EU-Mitgliedsstaaten beraten seit Donnerstag in Berlin über Sanktionen gegen Belarus und mögliche Reaktionen auf die Entwicklung im Erdgaskonflikt Russlands mit der Türkei im Mittelmeer. Und dann ist da auch noch der prominenteste Oppositionelle Russlands, Alexej Nawalny, der in Berlin Schutz sucht vor einem russischen Staatsapparat, der als Giftmörder verdächtigt wird. Was sagt das alles über die deutsch-russischen Beziehungen aus, fragen wir den Politikwissenschaftler Manfred Sapper, Chefredakteur der Zeitschrift "Osteuropa". Wie nachhaltig gestört ist Ihrer Ansicht nach das deutsch-russische Verhältnis?
Manfred Sapper: Sehr nachhaltig. Es ist keine Eintagsfliege, wir sind mit einer totalen Entfremdung seit der Annexion der Krim konfrontiert. Was die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland zerfressen hat, ist die ewige Lüge: die Lüge rund um die Annexion der Krim, die Lüge um den Abschuss der MH17, wo Russland so getan hat, als habe es mit diesen Entwicklungen gar nichts zu tun. Heute wissen wir bis ins letzte Detail, dass Truppen des Geheimdienstes GRU die Operation Annexion umgesetzt haben, dass Truppen der russischen Armee mit einer Buk-Luftabwehrrakete die malaysische Maschine mit 300 Leuten abgeschossen haben.
Wir wissen, was passiert vor etwa einem Jahr ist, einen Kilometer vom Innenministerium entfernt, als ein tschetschenischer Oppositioneller im Kleinen Tiergarten hier in Berlin von einem vom Geheimdienst GRU gedungenen Mörder umgebracht wurde. Die ganze Aktion rund um Nawalny ist jetzt ein weiteres Glied in dieser Kette.

Russland braucht die Frontstellung gegen den Westen

Karkowsky: Sie machen also die russischen Lügen verantwortlich. Warum macht Russland das? Ist Russland das Verhältnis zu Europa und speziell zu Deutschland, das ja immer besonders eng war, egal geworden?
Sapper: Man muss es in aller Härte sagen, dass sich in Russland ein autoritäres Regime unter der Ägide eines Geheimdienstes etabliert hat, das mit den Methoden und Verfahren des KGB und der Geheimdienste und Gewaltapparate arbeitet. Das ist Unterdrückung von Freiheitsrechten der Gesellschaft, das ist die Einschränkung von Meinungsfreiheit, das ist die Desinformation, das ist die Lüge, das ist die wirkliche Freund-Feind-Bildung. Dies zerfrisst den gesamten gesellschaftlichen Körper nach innen und hat damit natürlich auch Auswirkungen nach außen.
Denn vergessen wir nicht: Die guten Beziehungen zwischen der Sowjetunion und dem Westen und dann zwischen Russland und dem Westen hatten primär etwas mit dem innenpolitischen neuen Denken unter Gorbatschow und dann anschließend unter Jelzin zu tun. Seitdem wir mit der inneren Konsolidierung des autoritären Staates unter Putin seit 1999 zu tun haben, zieht das russische Regime innergesellschaftlich die Schrauben permanent an und braucht die Frontstellung gegenüber dem Westen, um dies legitimieren zu können.
Karkowsky: Sprechen Sie die deutsche Seite vollständig frei von einer Verantwortung für dieses zerrüttete Verhältnis? Es gibt heutzutage im Deutschen Bundestag eine Menge sogenannter Russland-Versteher, einige richtige Putin-Fans, aber es gibt kaum noch richtige Russland-Kenner, die die Sprache kennen sowie Land und Leute. Würde es besser laufen, wenn das anders wäre?
Sapper: Absolut, das spielt eine Rolle. Diese Russland-Kenner oder Russland-Versteher, die zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie nichts von dem Land verstehen, sondern dass sich ihre Liebe zu Russland in der Regel aus der Ablehnung und dem Hass gegen die USA oder aber der Europäischen Union speist. In diesem Feld ist eine ganz bemerkenswerte Veränderung zu beobachten. Wenn man sich anhört, was die Linke beispielsweise jetzt zu den russisch-belarussischen Entwicklungen zu sagen hat. Oder wie auch die Linke, beziehungsweise weite Teile der außenpolitisch informierten Linken, sehr viel kritischer als das früher der Fall war, auf Russland schauen, so ist da einiges in Bewegung.
Der zweiter Teil Ihrer Frage ist natürlich auch ein Problem, der die Entfremdung befeuert. Die Zahl derjenigen, die sich wirklich in Russland selbst sehr gut auskennen, ist in Deutschland dramatisch gesunken.

Fall Nawalny: Deutschland kann kaum Druck auf Russland ausüben

Karkowsky: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und auch Außenminister Heiko Maas (SPD) haben mit ungewöhnlich deutlichen Worten von Russland gefordert, den Fall Nawalny aufzuklären. Die russische Regierung hat am Dienstag erklärt, man sehe vorerst keinen Grund dafür, Ermittlungen einzuleiten, erst müsse man ganz genau wissen, was die Erkrankung ausgelöst habe. Das klingt nicht so, als würde sich der Kreml von der deutschen Regierung überhaupt noch beeindrucken lassen, oder?
Sapper: Macht er auch nicht. Die Chancen, dass beispielsweise aus Deutschland so viel Druck aufgebaut werden kann, dass das Verbrechen aufgeklärt wird, sind außerordentlich gering, aber dieses für den diplomatischen Sprachgebrauch außerordentlich deutliche Signal von Merkel und Maas speist sich natürlich auch aus der Frustration über die verschleppte Aufklärung der Ermordung des Tschetschenen hier im Kleinen Tiergarten in Berlin.
Das Grundproblem, das momentan existiert, ist einfach, dass selbst auf den obersten Ebenen, also auf der Regierungsebene in dem Auswärtigen Amt, eine ganz große Irritation und Ahnungslosigkeit herrscht, wie man mit einem relativ autistischen, um den Selbsterhalt kämpfenden Regime wie dem Putin-Regime überhaupt umgehen kann. Darauf gibt es keine einfache Antwort.
Alexej Nawalny im Porträt
Alexej Nawalny ist der prominenteste russische Oppositionelle. Nach einem mutmaßlichen Giftanschlag in Russland liegt er in der Berliner Charité.© imago / Zamir Usmanov
Karkowsky: Zum Fall Nawalny war unter anderem von Norbert Röttgen (CDU) zu hören, dieser Anschlag sei - wie so viele Anschläge zuvor auf Gegner Moskaus - eine deutliche Warnung des Kreml nach dem Motto: "Egal, wo ihr seid, wenn ihr gegen uns seid, wenn ihr uns verraten habt, wir kriegen euch." Für wie wahrscheinlich halten Sie das?
Sapper: Es ist völlig egal, ob es auf den Kreml zurückgeht oder es ein anderer ist, den sich Nawalny zum Feind gemacht hat. Tatsache ist, Giftanschläge aller Art sind wie Terroranschläge auch ein kommunikatives Signal. Sie sollen die Gesellschaft darüber informieren: Habt Angst, wir kriegen euch. Das ist auch ein Teil der zum Teil so auf den ersten Blick handwerklich groben, grobschlächtigen Form, wie beispielsweise der übergelaufene Ex-Agent Skripal in England vergiftet wurde oder aber wie grobschlächtig der Tschetschene im Tiergarten umgebracht wurde.
Tatsache ist, dieses Regime hat mit diesen letzten Morden, mit diesen Attentaten schon allein deshalb etwas zu tun, weil es verantwortlich ist für ein Klima der Straflosigkeit. Diese Verbrechen werden nicht aufgeklärt in Russland, und weil es seit 20 Jahren verantwortlich ist für die Vergiftung des gesamten gesellschaftlichen Körpers in Russland.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Mehr zum Thema