Deutschland kann durchaus mehr Flüchtlinge aufnehmen

Markus Löning im Gespräch mit André Hatting · 25.10.2013
Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, fordert eine neue europäische Flüchtlingspolitik. Große und wirtschaftlich starke Länder seien hier in der Pflicht. Deutschland liege, was die Aufnahme von Flüchtlingen betreffe, derzeit nur "im Mittelfeld, wenn man das pro Kopf rechnet", so der FDP-Politiker.
André Hatting: Heute, am letzten Tag des EU-Gipfels in Brüssel, soll es auch um die Flüchtlinge gehen. Immer wieder stranden sie an den Küsten des Mittelmeeres, in der Nacht waren es vor Italien wieder 800. Wenn sie Glück haben, überleben sie diese Odyssee. Die über 400 Toten vor Lampedusa Anfang des Monats zeigen aber, das Mittelmeer wird immer mehr zum Massengrab. Aber das Thema spielt auf dem Gipfel nur eine Nebenrolle. Dass es überhaupt auftaucht, liegt am italienischen Ministerpräsidenten Letta, der fordert, das Asylrecht in der Union muss dringend verändert werden. Markus Löning von der FDP ist noch der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, guten Morgen, Herr Löning!

Markus Löning: Guten Morgen!

Hatting: Die aktuelle Bundesregierung meint ja, es gebe keinen Handlungsdruck, das EU-Asylrecht kann erst mal so bleiben. Sehen Sie das genauso?

Löning: Ich glaube, was wichtig ist, dass wir angesichts der Katastrophe und auch des Flüchtlingsdrucks, den wir sehen an der Südgrenze, Europa mehr öffnen, was legale Zuwanderungsmöglichkeiten angeht. Wir brauchen Möglichkeiten für Leute, die hier arbeiten wollen, die hier Geld verdienen wollen, was ja auch zurück nach Hause gehen soll, damit diese Leute nach Europa reinkommen können. Da müssen wir einfach mehr Möglichkeiten schaffen, wir brauchen ja auch arbeitende Leute hier in Europa.

Hatting: Das gilt aber dann nicht für die Bootsflüchtlinge aus Nordafrika und aus Syrien, oder?

Löning: Selbstverständlich. Mann muss sich die Gruppe mal anschauen der Leute, die da kommt. Ich habe ja selbst verschiedenste Flüchtlingslager besucht und mit verschiedensten Leuten gesprochen. In der Regel sind das dann Leute – insbesondere viele Männer –, die arbeiten wollen, die zum Beispiel aus Westafrika oder aus Sudan, aus Somalia, aus dieser Gegend kommen. Viele von denen wollen arbeiten, wollen für ihre Familien sorgen, weil sie das dort, wo sie herkommen, eben nicht ausreichend können.

Hatting: Im Kern geht es im Augenblick ja darum, ob das Abkommen Dublin II geändert werden muss. Das bedeutet, Asylbewerber, die nicht legal einreisen, müssen in dem Land bleiben, über das sie in die EU gekommen sind. Das sind bei den Bootsflüchtlingen natürlich immer die Mittelmeeranrainer. Finden Sie das richtig?

Löning: Das ist unter dem Eindruck des großen Ansturms nach dem damaligen Jugoslawien-Kriegs passiert, dass das so geregelt worden ist, wie es jetzt geregelt ist. Ich glaube, dass wichtig ist, dass wir zunächst mal objektiv und alle gleichmäßig beteiligen an der Aufnahme von Flüchtlingen, von Asylbewerbern, und zum Zweiten aber auch den Ländern wie Griechenland, Italien, auch Spanien natürlich nicht das Gefühl geben, dass sie die ganze Bürde tragen. Auch das, auch das subjektive Empfinden ist ja wichtig bei so was. Das ist ein gemeinsames europäisches Problem, das ist nicht die italienische Küste, sondern das ist die europäische Küste, die dort ist, und wir müssen dieses Problem gemeinsam schultern. Da kommt jetzt natürlich jeder mit seinen Zahlen und sagt, nein, also, wir nehmen schon unheimlich viele und wir nehmen noch viel mehr … Ich glaube, da kann man mehr machen, das kann man besser verteilen, und anstatt da irgendwie solche konfrontativen Debatten zu führen, muss man sich hinsetzen und sagen, wer tut was, wer kann was. Und wenn man sieht, Griechenland zum Beispiel kann die Verfahren nicht durchführen, dann muss man sehen, was kann man davon in andere Länder einfach verlagern?

Hatting: Aber was genau heißt das, objektiv prüfen, wie man das besser verteilen kann? Wie kann man das denn besser verteilen?

Löning: Wir haben ja in Deutschland zum Beispiel den Königsteiner Schlüssel, nach dem die Bundesländer bei Flüchtlingsaufnahmen untereinander ausgemacht haben, wie kann man nach Größe des Landes, aber auch natürlich nach wirtschaftlicher Stärke des Landes Flüchtlinge verteilen. Und ich glaube, letzten Endes braucht man so was Ähnliches innerhalb der EU auch. Man muss sehen, wer kann wie viel aufnehmen, wer kann wie viel schultern. Das sollte man immer im Prinzip festlegen und dann immer wieder schauen, sind diese Quoten richtig, sind sie nicht richtig?

Hatting: Also Verteilung nach Bevölkerungsdichte, wenn ich Sie richtig verstehe. Das würde für Deutschland bedeuten, mehr aufnehmen als die 22.000 2012.

Löning: Ich glaube, dass es wichtig ist, dass man nicht nur die Bevölkerung, sondern eben auch die Fähigkeit eines Landes, also die wirtschaftliche Stärke … Ist die Arbeitslosigkeit niedrig, kann man Leute, die hierherkommen zum Arbeiten, kann man die aufnehmen? Ich glaube, dass man da eine andere Verteilung braucht, als wir das zurzeit haben. Wir dürfen den Südländern nicht das Gefühl geben, dass wir sie alleine lassen, dass wir sie da hängen lassen.

Hatting: Und da hat Deutschland als wirtschaftsstärkstes Land der EU Nachholbedarf?

Löning: Wir nehmen relativ viele, wir liegen im Mittelfeld, wenn man das pro Kopf rechnet. Also, wir nehmen eine ganze Reihe von Flüchtlingen auf, da sind auch andere gefragt, es geht hier nicht nur um Deutschland, es geht um England, es geht um Frankreich, es geht um andere Große, die sicher auch mehr tun können, als sie zurzeit nehmen. Aber auch Deutschland kann trotz aller Flüchtlinge, die wir nehmen, durchaus auch mehr aufnehmen, als wir zurzeit tun.

Hatting: Herr Löning, Anfang des Monats hatten die europäischen Innenminister beschlossen, eine Expertengruppe einzurichten, die soll den betroffenen Ländern helfen, ihre Grenzen besser zu schützen, wie man das schon an der griechisch-türkischen Grenze getan hat. Das klingt nach Abschottungspolitik oder, anders formuliert, wie eine humanitäre Bankrotterklärung!

Löning: Man wird nicht drum herumkommen, die Grenzen zu schützen, und zwar gut zu schützen. Das kann aber nicht die einzige Maßnahme sein, es muss immer ein Bündel sein. Es gehört ganz essenziell im Mittelmeer auch dazu, dass man eine vernünftige Seenotrettung aufbaut. Es kann nicht sein, dass die Leute dort elendig verrecken vor unserer Haustür sozusagen. Und als weitere Maßnahme gehört auch dazu, dass wir bessere legale Zuwanderungsmöglichkeiten schaffen, um zu versuchen, wenigstens einen Teil des Drucks abzufangen. Es gehört dazu, dass wir die Verfahren, auch die Aufnahme innerhalb der EU, besser verteilen, und natürlich gehört auch dazu, dass wir versuchen, den Druck zu mildern, indem wir mit den Ländern arbeiten, aus denen die Flüchtlinge kommen. Da warne ich allerdings davor, dass man versucht, glauben zu machen, man könnte jetzt in Somalia oder in Eritrea oder in diesen Ländern auf die Schnelle den Druck reduzieren.

Hatting: Druck reduzieren durch Wirtschaftshilfe einerseits, andererseits aber auch durch Terrorbekämpfung vor Ort?

Löning: Wir müssen überlegen solche Dinge zum Beispiel, warum fischen wir die Küsten vor Westafrika leer, was ist mit den Küsten auch vor Somalia, was sind wirtschaftliche Gründe auch für die Flüchtlinge, was sind politische Gründe für die Flucht? Das müssen wir sehr sorgfältig anschauen, da müssen wir vernünftig mit wirtschaftlicher Zusammenarbeit versuchen, den Ländern besser auf die Beine zu helfen. Aber letztlich ist es natürlich so, die Verantwortung für die Entwicklung in diesen Ländern liegt in den Ländern selbst, und das können wir ihnen nicht abnehmen. Und eine Diktatur wie Eritrea ist eben eine beinharte Diktatur, da werden die Leute fliehen und da können wir auch mit Entwicklungshilfe nichts machen. Auch da muss eben klar sein, wir können helfen, wir müssen auch helfen, aber es gibt eben auch Grenzen dessen, was wir durch solche Hilfe erreichen können.

Hatting: Markus Löning, FDP, Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Löning!

Löning: Danke auch!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, FDP
Markus Löning, FDP© picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini
Mehr zum Thema