Deutschland droht "tiefste Rezession der Nachkriegszeit"

Gustav Horn im Gespräch mit Birgit Kollkmann · 17.12.2008
Nach Ansicht des Volkswirtschaftlers Gustav Horn wird Deutschland 2009 "wahrscheinlich die tiefste Rezession der Nachkriegszeit" erleben. Möglicherweise werde im Winter nächsten Jahres dann auch die Arbeitslosenzahl auf vier Millionen steigen, sagte der Direktor des Düsseldorfer Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung. Die Politik forderte er auf, zügig ein Konjunkturprogramm auf den Weg zu bringen. Sso könne man den "schlechten Start in das Jahr 2010" vermeiden.
Birgit Kolkmann: Kaum ein Wirtschaftsexperte ahnte vor einem Jahr, wie sehr sich die Konjunktur 2008 verschlechtern würde. Einer der größten Pessimisten aber zeigte schon vor zwölf Monaten fast prophetische Fähigkeiten. Es ist Gustav Horn, Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, kurz IMK. Er warnte nämlich, dass die Finanzkrise sich in steigenden Wellen ausbreiten, auf die Realwirtschaft übergreifen und die Weltwirtschaft belasten würde. Genau das ist eingetreten, wie wir nun wissen. Und nun gehört Horn zu den Experten, deren Rat auch in der Bundesregierung gefragt ist wie kaum ein anderer. Deshalb war er auch beim Konjunkturgipfel Sonntag im Kanzleramt dabei. Jetzt ist er am Telefon der "Ortszeit". Guten Morgen, Gustav Horn!

Gustav Horn: Guten Morgen!

Kolkmann: Herr Horn, vor guten Ratschlägen kann sich die Kanzlerin ja kaum retten. Es ist ein bisschen wie in der Würstchenbude, jeder gibt seinen Senf dazu. Welchen soll sie nehmen?

Horn: Das ist sicherlich richtig, es werden eine Menge Ratschläge präsentiert und da sind auch dann manche Steckenpferde darunter, die immer präsentiert werden, egal wie die Konjunkturlage ist, und da gilt es natürlich sorgfältig zu sortieren.

Wir haben eine ganze Menge Untersuchungen vorliegen, die uns zeigen, welche Programme effektiv sind und welche nicht. Wir wissen zum Beispiel, das Investitionsprogramme, die Geld direkt in die Wirtschaft initiieren gleichsam, weil der Staat es ausgibt, eigentlich am wirkungsvollsten sind. Das Problem ist nur, man kriegt sie nicht sofort auf die Beine. Es bedarf einer Abstimmung, zum Beispiel mit den Ländern und den Kommunen, und das dauert eben. Deshalb können Investitionsprogramme alleine wahrscheinlich die Wirtschaft nicht ankurbeln. Man braucht noch eine schneller wirkende Komponente. Und da haben sich in den USA zum Beispiel Konsumgutscheine bewährt.

Kolkmann: Nun geht es ja den USA nun nicht ausgesprochen gut. Können Sie sagen, wann diese positive Wirkung dort eingetreten ist?

Horn: Es ist schon in der letzten Krise eingetreten, im Jahr 2000/2001. Dort hat man sie schon eingesetzt und auch in der derzeitigen Krise wurden sie schon eingesetzt. Und sie haben verhindert, dass die Wirtschaft der USA, vor allen Dingen der Konsum dort sofort weggebrochen ist. Bislang sind die USA trotz der erheblichen Belastungen noch relativ gut durch die Krise gekommen.

Kolkmann: Nun sind ja die Konsumgutscheine gerade in der deutschen Bevölkerung gar nicht so wirklich gut angesehen. Man will sie nicht wirklich, wenn man weiß, die werden ja auch nur auf Pump finanziert und irgendwann wird die Zeche zu bezahlen sein. Vielleicht könnten Sie noch einmal darstellen, wie schnell es denn möglich ist seitens der öffentlichen Hand, Geld zu mobilisieren, zu investieren, zum Beispiel Handwerker zu bestellen, um marode Schulen zu reparieren. Geht das nicht von heute auf morgen?

Horn: Das geht, sobald das Geld da ist bei den Kommunen. Nur da muss man es erst mal hinbekommen, ohne die Länder wird das nicht gehen. Denn die Kommunen sind ein Teil der Länder. Und selbst wenn der Bund guten Willens ist, kann er das eben nicht einfach an die Kommunen überweisen, dazu braucht er die Zustimmung der Länder. Das ist die erste Hürde, die zu nehmen ist.

Die zweite Hürde ist, die Kommunen müssen natürlich auch größere Projekte ausschreiben, wenn es ganz große Projekte sind, europaweit. Das dauert ebenfalls. Deshalb muss man diese Hürden auch nehmen und das geht dadurch, dass man nur kleinere Projekte finanziert, die man nicht europaweit ausschreiben muss, die man sofort vergeben kann. Das heißt, die Idee von Frau Minister Schavan, jeder Schule 100.000 Euro zu geben, ist schon gar nicht so schlecht. Ich denke, das könnte sehr schnell werden.

Kolkmann: Nun gibt es ja auch negative Beispiele, zum Beispiel aus den 70er Jahren, Wenn zum Beispiel Investitionsprogramme gemacht wurden, dann gingen schnell die Preise hoch, zum Beispiel bei Baumaßnahmen und das Geld wurde abgeschöpft von den Firmen, die daran beteiligt waren. Das ist ja nicht der Sinn der Sache. Wie kann man so was verhindern?

Horn: Das ist richtig. Aber was wir im Moment ja sehen, ist, dass die Bauwirtschaft allmählich auch Überkapazitäten hat und vor allen Dingen bei den Handwerkern. Und wenn Überkapazitäten da sind, dann gehen die Preise eben nicht hoch, sondern die Handwerker freuen sich, dass ihre Kapazitäten ausgelastet sind. Wenn dann im Zuge dieses Programms die eine oder andere Preissteigerung kommt, das ist nicht schlimm, denn das kommt ja auch dem Handwerk zum Beispiel zugute und das kann dann auch seinen Beschäftigten mehr zahlen.

Kolkmann: Was mich ein bisschen wundert, ist, wie Sie darstellen, wie lange dieses alles dauert, bis Bund, Länder und Kommunen zusammenarbeiten in dieser doch sehr schlimmen Krisensituation. Wenn man sich anschaut, wie schnell der Rettungsschirm für die Banken aufgespannt worden ist plus Gesetz im Bundestag, das hat mal gerade eine Woche gedauert. Und jetzt reden wir wochenlang über Investitionsmaßnahmen und welche gut sind und welche nicht. Wie erklären Sie das?

Horn: Nun, die Bundesregierung hat bisher, bis Sonntag, nicht zu erkennen gegeben, dass sie auch ernsthaft an einem Investitionsprogramm interessiert ist. Und deshalb hat man darüber diskutiert. Man hat ja bis dahin gar nicht ernsthaft versucht, die Länder mit ins Boot zu nehmen, weil man auch die Notwendigkeit nicht richtig einsah. Ich glaube, jetzt hat sich das etwas geändert. Ich glaube, der Bundesregierung ist klar geworden, sie muss es tun. Und jetzt gilt es abzuwarten. Die Bundeskanzlerin macht ein Gespräch mit den Ländern. Und ich erwarte einfach, dass die Länder auch jetzt relativ rasch reagieren und sich nicht ans Ufer stellen und gucken, wie das Boot untergeht.

Kolkmann: Nun läuft alles relativ langsam an. Sie waren beim Konjunkturgipfel am Sonntag dabei. Sie haben, das hatte ich eingangs gesagt, vor einem Jahr schon vorausgesagt, dass die Krise so kommt, wie sie gekommen ist. Was prognostizieren Sie fürs nächste Jahr?

Horn: Nun, wir sind noch in der Berechnung unserer Prognose. Aber es wird nichts Gutes sein. Es ist ja schon richtig, was die Kollegen gesagt haben, die vor einigen Wochen oder vor einigen Tagen schon ihre Prognosen präsentiert haben, dass die deutsche Wirtschaft erheblichen Belastungen ausgesetzt sein wird. Und das heißt, wir werden im nächsten Jahr eine sehr stark schrumpfende Wirtschaft erleben, wahrscheinlich die tiefste Rezession der Nachkriegszeit.

Kolkmann: Mit wieder vier Millionen Arbeitslosen?

Horn: Das ist leider zu erwarten, wenn diese Zahlen stimmen. Zumindest im Verlauf des nächsten Jahres, das heißt nicht im Jahresdurchschnitt, aber im Winter des nächsten Jahres, eventuell die Vier-Millionen-Marke wieder erreicht wird.

Kolkmann: Und das heißt, auch 2010 wird es wahrscheinlich noch nicht wesentlich besser aussehen in der Wirtschaft?

Horn: Das hängt jetzt davon ab, was die Politik macht. Wenn die Politik jetzt schnell reagiert und ein Konjunkturprogramm auf den Weg bringt, dann kann man dies alles vermeiden, vor allen Dingen den schlechten Start in das Jahr 2010 kann man vermeiden. Dann können die Leute im Laufe des Jahres 2009 schon wieder Hoffnung schöpfen und der Aufschwung könnte wieder in Gang kommen.