Deutscher Student schießt "Foto des Jahres"

Kai Löffelbein im Gespräch mit Klaus Pokatzky · 22.12.2011
Er habe sich oft gefragt, wo der Elektroschrott landet, sagt Kai Löffelbein - und hat in Ghana mit Kindern gesprochen, die auf Müllhalden Edelmetalle aussortieren - oft unter lebensgefährlichen Umständen. Für eines der Fotos ist der Fotografie-Student jetzt von der UNICEF ausgezeichnet worden.
Klaus Pokatzky: Das Foto sieht fast ein wenig nach Krieg aus: Im Hintergrund sind grauschwarze Rauchwolken zu sehen, die über einem brennenden Trümmerfeld aufsteigen. Im Vordergrund steht ein schwarzer, 12-jähriger Junge im Trikot des FC Barcelona und hält die Bildröhre eines alten Fernsehers über seinen Kopf. Die Röhre muss er mehrere Male auf den Boden werfen, damit er an die kostbaren Metalle herankommt, die sich in dem Elektroschrott verbergen. So verdient sich das Kind auf einer Müllkippe in Ghanas Hauptstadt Accra seinen Lebensunterhalt. Da, wo der Elektroabfall aus dem reichen Europa landet.

Weltweit werden jedes Jahr 50 Millionen Tonnen Elektroabfall produziert. 6.500 Tonnen davon werden jeden Monat nach Ghana verschifft. Das Foto mit dem Jungen im FC-Barcelona-Trikot hat das Kinderhilfswerk UNICEF Deutschland nun als Foto des Jahres 2011 ausgezeichnet. Kai Löffelbein heißt der Fotograf. Willkommen im Studio, Herr Löffelbein!

Kai Löffelbein: Vielen Dank, Hallo!

Pokatzky: Wie ist es denn zur Reise nach Ghana gekommen, wie sind Sie auf dem Schrottplatz in Accra gelandet?

Löffelbein: Ja, am Anfang stand eigentlich für mich die Frage, dass ich mir überlegt habe, ich habe ja berufsbedingt schon ziemlich viel mit Elektronik zu tun - ich habe mehrere digitale Kameras, ich habe Bildschirme, ich habe einen Drucker, einen alten Drucker, der sogar noch im Schrank steht, Handys, man hat immer noch sein altes irgendwie in der Schublade liegen -. und irgendwie habe ich mich gefragt: Ja, wo gehen denn all diese Elektrogeräte eigentlich hin?

Pokatzky: Elektroschrott ist ja meist Kinderarbeit. Wie haben Sie denn die Kinder auf der Müllkippe in Accra erlebt?

Löffelbein: Also die Kinder arbeiten den ganzen Tag, zehn bis zwölf Stunden. Die Kinder stehen dort im hochgiftigen Rauch und verbrennen die Kabelummantelungen, um an die Edelmetalle zu kommen, wie Kupfer zum Beispiel. Da bleibt natürlich nicht viel Zeit, um eigentlich dieses Kindliche, was natürlich auch in diesen hart arbeitenden Kindern noch drinsteckt, irgendwie herauszulassen. Trotzdem taucht und blitzt immer wieder dieser magische Moment des Kindseins auch bei den Kindern dort auf.

Pokatzky: Wie haben Sie sich mit denen verständigt?

Löffelbein: Die meisten der Leute, die auf dem Platz in Accra arbeiten, sind aus dem sehr armen Norden von Ghana, an der Grenze zum Benin. Wenn die Jugendlichen oder Kinder dann nach Accra kommen, sprechen sie meistens noch gar kein Englisch.

Pokatzky: Also haben Sie da mit Zeichensprache mit denen kommuniziert, oder hatten Sie einen Dolmetscher, oder wie ging das ab?

Löffelbein: Also ich glaube, viel läuft natürlich einfach über die Körpersprache, die natürlich irgendwie universell ist, aber viele Kinder sprechen halt eben auch Broken English. Also wenn sie ein paar Monate da sind, dann können sie das.

Pokatzky: Mit welchen Fotomotiven beschäftigen sich denn so Ihre Mitstudenten an der Fachhochschule in Hannover? Lachen die auch so ein bisschen oder lächeln zumindest über sie als den fotografischen Weltverbesserer?
Löffelbein: Nein, gar nicht. Ich glaube, dass viele Leute, viele junge Leute, die fotojournalistisch arbeiten, denselben Enthusiasmus und dasselbe Engagement an den Tag legen wie ich.

Pokatzky: Sie haben ja, bevor sie Fotojournalismus und Dokumentarfotografie in Hannover angefangen haben zu studieren, in Berlin einige Semester Politikwissenschaft studiert. Woher kam dieser Schritt? Was hat Ihnen an der Politikwissenschaft nicht gefallen?

Löffelbein: Ich glaube eigentlich, dass die Fotografie, die ich jetzt mache, eigentlich eine konsequente Weiterführung von dem Politikstudium gewesen ist.

Pokatzky: Also Sie machen sozusagen jetzt die fotografische Politikwissenschaft?

Löffelbein: Ja, so kann man das auch nicht sagen ...

Pokatzky: ... oder die politikwissenschaftliche Fotografie?

Löffelbein: Ich habe irgendwann während des Politikstudiums einfach gemerkt, dass ich gerne ins Feld will, dass ich raus will, dass ich mit den Menschen zu tun haben will, dass mir Statistiken und Zahlen einfach zu wenig sind.

Pokatzky: Sie haben ja zu dieser Geschichte - Kinder auf der Müllkippe in Accra - so eine ganze Fotostrecke gemacht, die auch im Internet bei UNICEF nachzusehen ist. Was erzählen uns die anderen Bilder, die hinter dem preisgekrönten Foto stehen, und was erzählen die anders als vielleicht der Text eines Journalisten?

Löffelbein: Gute Fotografie erzählt viel über Emotionen, glaube ich, und kann anders als ein Text, der natürlich auch sehr emotional sein kann, die Menschen halt eben berühren. Bilder sind universeller. Alle Leute, die auf dem Platz arbeiten, und natürlich besonders die Kinder, kommen dort hin - nicht, weil sie dort arbeiten wollen, niemand will dort arbeiten. Alle Leute kommen mit einem Traum dort hin. Und so ist es natürlich auch bei dem Jungen, den ich fotografiert habe. Dieses Fußballtrikot spricht natürlich auch Bände.

Pokatzky: FC Barcelona.

Löffelbein: FC Barcelona.

Pokatzky: Welche Chancen hat eigentlich jemand wie Sie, solche Fotos bei Zeitungsredaktionen oder Magazinredaktionen unterzubringen?

Löffelbein: Ich weiß natürlich, dass wir in einem Land der Zettelchen und Stempelchen und der Urkunden leben, und mit Sicherheit beeinflusst das jemanden, wenn man weiß: Da ist jemand, der ist Preisträger. Mit Sicherheit werden meine Fotos natürlich jetzt auch ganz anders gesehen werden. Auf der anderen Seite zählt, glaube ich, schon immer das Bild, und ob es etwas Neues ist, etwas Besonderes, ob es was transportiert.

Pokatzky: Kai Löffelbein, von UNICEF ausgezeichneter Fotograf im Deutschlandradio Kultur. Herr Löffelbein, nun können Sie ja stolz sein, der erste Preisträger dieses UNICEF-Wettbewerbs, der dann als Preis auch eine Leica M9 35mm F1,4 bekommen hat und einen Fotoreportage-Auftrag von GEO. Welches Thema werden Sie dafür nehmen, und wie sind da die Konditionen genau?

Löffelbein: Dazu kann ich noch gar nicht so viel sagen, zumal ich nicht frei jetzt in meiner Themenauswahl bin, sondern, wie das bei Redaktionen halt eben üblich ist - GEO möchte eine gewisse Geschichte machen, sie wissen, welchen Schreiber sie nehmen, und dann werden sie natürlich gucken, dass sie vielleicht ein ähnliches Thema finden, was halt eben auch auf mich und meine Fotografie halt eben passt.

Pokatzky: Aber ist das nicht dann was völlig anderes als was Sie bisher so gemacht haben? Wenn Sie zum Beispiel auch für Nicht-Regierungsorganisationen Fotos gemacht haben, und immer so dieser humanitäre Aspekt dahinterstand, wenn GEO jetzt kommt und sagt, also wir machen das Porträt über einen Bankmanager, über einen Hedgefonds-Manager, und Sie machen die Porträtfotos dazu?

Löffelbein: Es ist natürlich richtig, dass wenn ich irgendwie freie Geschichten alleine mir ausdenke, recherchiere und dann durchführe, dass ich der eigene Autor meiner Geschichte bin. Und wenn ich natürlich in meinem Reportage-Auftrag mit Redakteur unterwegs bin, mit einer ganzen Redaktion im Rücken, die genau weiß, welche Bilder sie halt eben auch haben will, bin ich natürlich eingeschränkter, das ist natürlich klar.

Auf der anderen Seite glaube ich, dass gute Fotografie zu einem Text niemals ein Beweisfoto halt eben ist. Ich mache keine Beweisfotos für den Text, ich mache keine Beweisfotos für die Sachen, die schon im Text stehen. Ich glaube, es gibt einfach zwei parallele Erzählstränge, die zu einer Geschichte werden können. Es gibt den Text, und es gibt die Bildstrecke. Und beides zusammen hat dann eine Aussage.

Pokatzky: Welches Traumthema hätten Sie denn, wenn Sie noch einen Preis bekämen, wo jemand sagen würde, hören Sie zu, Sie dürfen ein Jahr irgendwohin fahren und das Traumthema, nach dem Sie sich immer schon gesehnt haben, unter allerbesten Bedingungen, ohne jede finanzielle Sorge verwirklichen?

Löffelbein: Ja, das ist eine interessante Frage. Ich habe gerade mein Traumthema verwirklicht, das Thema ist noch recht frisch. Die Geschichte habe ich im September diesen Jahres fotografiert. Ich bin gerade wiedergekommen, das Editing wurde gerade gemacht, ich habe diesen Preis gewonnen. Ich weiß noch gar nicht, wo ich grad stehe, und kann auch ganz ehrlich die Situation auch noch nicht ganz fassen.

Pokatzky: Und haben Sie denn so einen Berufstraum hinterher, wenn Sie mit dem Studium fertig sind?

Löffelbein: Mein Traum, wo ich halt eben gerne hinmöchte, ist, dass ich auch selbst freie Geschichten halt eben mache. Ich weiß, das ist ein großes Risiko: Man finanziert Geschichten natürlich vor und versucht sie dann zu verkaufen, aber nur so kann ich halt eben gewährleisten, dass es auch Geschichten sind, die mich persönlich wirklich was angehen, die mich interessieren - und nur so kann ich auch gute fotografische Arbeit abliefern.

Pokatzky: Und nun noch die ganz entscheidende Frage: Was macht Kai Löffelbein mit seinem Elektroschrott?

Löffelbein: Genau, das war ja die Anfangsfrage, die ich mir gestellt habe, als ich meinen Schrank aufgemacht habe und gesehen habe: Da steht noch mein alter Drucker drin. Es ist nicht der Brecht'sche böse Zeigefinger, den ich auf alle anderen richten möchte und sagen: Hey, ihr macht das! Sondern ich weiß, wir sind einfach gefragt, und wir müssen handeln und wir müssen überlegen, wie wir mit unserem Konsum in unserer westlichen Gesellschaft umgehen.

Pokatzky: Ja, und was machen Sie nun mit dem alten Drucker, der bei Ihnen noch im Schrank steht?

Löffelbein: Den werde ich jetzt ordnungsgemäß zur Recycling-Station bringen.

Pokatzky: Danke, Kai Löffelbein, der Sie das Foto des Jahres 2011 gemacht und damit den Fotowettbewerb von UNICEF Deutschland gewonnen haben.

Löffelbein: Vielen Dank!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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