Deutscher Film

"Berliner Schule" – bewundert und verachtet

Der Kinofilm "Yella"
Der Kinofilm "Yella" von Regisseure Christian Petzold mit den Schauspielern Devid Striesow Nina Hoss. © picture alliance/dpa/Piffl Medien
Von Patrick Wellinski · 19.08.2017
Zum Kinostart von Valeska Griesebachs "Western" wagen wir mit Kritikerin Katja Nicodemus und Produzent Florian Körner eine Bestandsaufnahme des Labels "Berliner Schule". Was bedeuteten Filme von Christian Petzold oder Christoph Hochhäusler für das deutsche Kino und warum wurde der Begriff so angefeindet?
Vor 20 Jahren entstanden die ersten Filme der deutschen Regisseure Christian Petzold, Thomas Arslan und Angela Schanelec. Damit läuteten die Werke eine neue Strömung im deutschen Kino ein, die sich radikal anders mit der bundesrepublikanischen Gegenwart auseinandersetzte. Der Filmkritiker Rainer Gansera, bezeichnete diese Filme – mit dem Blick auf ihre formalen Gemeinsamkeiten – als "Berliner Schule". Ein Begriff war geboren, der für die deutsche Kinolandschaft zum Fluch und Segen wurde.
"Diese Filme entsprachen zuerst den Sehgewohnheiten und Sehnsüchten der Regisseure", sagt der Produzent Florian Körner von Gustorf über die ersten Spielfilme von Petzold, Schanelec und Arslan, die man später als Gründungsgeneration der "Berliner Schule" zusammenfasste.
"Die Regisseurinnen und Regisseure versuchten, die Filme so zu machen, wie sie sie selber sehen wollte. Und damit sich auch frei zu machen von Konventionen."

Abgrenzung von Filmen wie "Abgeschminkt" und "Otto"

Damit richteten sich diese Filme aber auch ganz bewusst gegen die Komödiendämlichkeit des deutschen Kinos der 1990er-Jahre. Filme wie "Der bewegte Mann" oder "Abgeschminkt" oder "Otto – der Film" wollten die gesellschaftlichen Brüche und Veränderungen des vereinigten Deutschlands nicht wahrnehmen, sagt die Filmredakteurin der Wochenzeitung "Die Zeit" Katja Nicodemus:
"Es waren die Jahre der nicht enden wollenden Beziehungskomödie. Es gab eine Weltabschottung des Kinos. Keine Auseinandersetzung. Keine Reflexion. (…) Und dann kam plötzlich dieses Kino. (…) Und da war plötzlich diese Sorgfalt der Bilder, Bilder die für sich selber sprechen. (…) Das war wirklich etwas Neues."
Dabei umfasste der Begriff "Berliner Schule" irgendwann auch Regisseure, die gar nicht an Berliner Filmhochschulen studiert hatten. Benjamin Heisenberg und Christoph Hochhäusler studierten an der HFF in München und gründeten dort das Filmmagazin "Revolver", um endlich auch einen Filmdiskurs zu schaffen, der ihnen fehlte. In den Filmen von Petzold und Schanelec fanden sie geistige Verwandte.

Label wurde zum Kampfbegriff

Mit dem internationalen Festival- und Kritikererfolg wurde das Label "Berliner Schule" schnell auch zum Kampfbegriff. Die Filme wurden angefeindet, wegen ihrer schwachen Einspielergebnisse zum Teil belächelt. Für Florian Körner von Gustorf ist die Publikumswirksamkeit aber nicht das ausschlagebene Kriterium für den Wert dieser Werke:
"Das sind mit Sicherheit Filme, die nicht ihr Publikum suchen, sondern das Publikum findet die Filme. Das ist halt anders als ein amerikanischer Mainstreamfilm, der mit einem Marketingkonzept und einem Marketingbudget daherkommt, was zehn Mal oder fünfzehn Mal so groß ist wie die Herstellungskosten von all unseren Filmen. Das heißt: Wir können den Markt nicht von unseren Filmen überzeugen. Wir brauchen die Festivals einfach zur Aufmerksamkeit, um zu sagen: Hier sind wir!"
Heute hat das Label ausgedient. Regisseure wie Maren Ade feiern Welterfolge mit Filmen wie "Toni Erdmann". Historisch betrachtet, wird man die "Berliner Schule" allerdings als enorm wichtige Revitalisierung des deutschen Autorenkinos betrachten müssen, ohne die das deutsche Kino international weiterhin völlig verschwunden wäre.

Hören Sie hier eine ausführliche Filmkritik von Valeska Griesebachs neuem Film "Western" und ein Interview mit der Regisseurin.
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