Deutscher Ethikrat in der Kritik

Moderation: Dieter Kassel · 03.07.2006
Das Vorhaben von Bundesforschungsministerin Annette Schavan, einen deutschen Ethikrat einzusetzen, stößt bei dem ehemaligen Vorsitzenden der Enquete-Kommission "Ethik und Recht in der modernen Medizin", René Röspel, auf Ablehnung. In einem solchen Gremium fehle die Beteiligung von Abgeordneten, die die Verantwortung haben, die Diskussionen ins Parlament zu tragen, so Röspel.
Kassel: Susanne Nessler über die Enquete-Kommission "Ethik und Recht in der modernen Medizin" und über den Nationalen Ethikrat. Zwei Gremien, die es bisher gegeben hat und die bisher in der deutschen Politik zuständig waren für Empfehlungen, was zum Beispiel - aber übrigens nicht nur, das wird immer so einseitig gesehen -, aber was zum Beispiel auch die Gentechnik, die Medizin und die Forschung angeht. Es soll nun aber - so habe ich Ihnen das vorher ja schon erklärt -, es soll nun aber ab Sommer nächsten Jahres einen neuen Rat geben, der dann heißen wird "Deutscher Ethikrat". Eine nur kleine Veränderung im Namen, aber, wenn alles so kommt, wie Annette Schavan das will, eine relativ große Veränderung in der Zusammensetzung und vielleicht auch in den Aufgaben. Der SPD-Politiker und Bundestagsabgeordneter René Röspel, der in der Vergangenheit der Vorsitzende der Enquete-Kommission "Ethik und Recht in der modernen Medizin" war, der freut sich über diesen neuen Rat ganz offenbar nicht. Und warum nicht, das wollen wir jetzt mit ihm besprechen. Guten Tag, Herr Röspel.

Röspel: Schönen guten Tag, Herr Kassel.

Kassel: Was haben Sie denn gegen diesen neuen "Deutschen Ethikrat", so wie ihn Frau Schavan jetzt angekündigt hat?

Röspel: Na ja, das ist schon interessant. Also solange CDU und CSU in der Opposition waren, haben die regelmäßig die Abschaffung des Nationalen Ethikrats gefordert und manchmal in einer Vehemenz, die schon erstaunlich war. Und jetzt sind die beiden Parteien in der Regierungskoalition und da war eine lange Zeit Schweigen im Walde und jetzt kommt ein Regierungsentwurf in einer Frage, die sonst immer über Gruppenanträge und interfraktionell gemacht worden ist, der eigentlich so gut wie nichts ändert an der Kritik, die Union und CDU/CSU in den letzten Jahren am Nationalen Ethikrat formuliert haben. Nämlich es bleibt dabei, dass keine Abgeordneten beteiligt werden.

Kassel: Nun gab es aber schon noch am alten Nationalen Ethikrat eine andere Kritik, nicht nur von CDU/CSU, nämlich, dass das ein Rat war, den der damalige Kanzler Gerhard Schröder mehr oder weniger alleine einberufen hat und er hat damals ja auch selbst gesagt, wer da rein soll. Und Frau Schavan hat ja immerhin eindeutig gesagt: Diesmal wird gewählt. Zur einen Hälfte wählt die Regierung, andere Hälfte nicht mal das. Das ist doch ein Fortschritt?

Röspel: Also das ist ein Fortschritt, wenn man nur den Nationalen Ethikrat und nicht die gesamte ethische Debatte in Deutschland sich anschaut. Na klar, es gibt drei Unterschiede zum bisherigen Verfahren: Erstens, der neue Deutsche Ethikrat sollte beim Bundestag angesiedelt werden. Der zweite Unterschied ist: Die Hälfte der Sachverständigen soll vom Bundestag berufen werden - nicht mehr von der Bundesregierung. Und der dritte ist die Änderung des Namens: Nicht mehr Nationaler Ethikrat und Deutscher Ethikrat. Wir haben, die Abgeordneten, ein Großteil der Abgeordneten, damals schon formuliert, das, was die Zusammensetzung der Enquete-Kommission ausmachte, nämlich das gemeinsame Erarbeiten von Positionen, Stellungnahmen durch Abgeordnete und externe Sachverständige, war sowohl für die ethische Debatte wie für die Vorbereitung der Parlamentsdebatte unerhört wichtig. Und das war eine zentrale Kernforderung, die wir formuliert haben bisher immer.

Kassel: Nun ist es aber doch so, Herr Röspel, dass jeder Politiker, der sogar im Deutschen Bundestag sitzt, egal für welche Partei und egal ob in Regierung oder Opposition, kann doch seine Meinung zu jedem Thema, also auch zu ethischen Fragen, abgeben. An sich ist so ein Rat doch dazu da, die Politiker zu beraten. Ist es nicht merkwürdig, wenn Sie sich dann selbst beraten?

Röspel: Nein, das finde ich überhaupt nicht merkwürdig. Das ist Aufgabe der Enquete-Kommissionen bisher gewesen - und weiterer Beratungsgremien -, in solchen Fragen, die wirklich ja auch wissenschaftlich, ethisch, juristisch schwierig sind - und nicht jeder kann Experte in solchen Fragen sein, diese Themen aufzuarbeiten. Und es geht ja nicht darum, abschließend zu sagen, wie der Bundestag votieren soll, sondern jedem seine Entscheidung einfacher zu machen, indem so eine Kommission unterschiedliche Wege aufzeigt - aber eben auch die Grundlagen noch mal aufbereitet, sowohl medizinisch-technisch wie auch naturwissenschaftlich und juristisch.

Kassel: So, wie Sie jetzt argumentieren, Herr Röspel, klingt das für mich so, als seien Sie schon ganz sicher, dass es die Enquete-Kommission - unter dem alten Namen oder einem ähnlichen - nicht mehr geben wird. Das finde ich nicht absolut logisch. Denn ich meine, den Nationalen Ethikrat und die Enquete-Kommission "Ethik und Recht in der modernen Medizin", die hat es ja teilweise parallel gegeben und die Aufgaben waren ja nur sehr ähnlich, aber - so habe ich das immer verstanden - nicht hundertprozentig identisch.

Röspel: Nein, die Aufgaben waren nicht identisch. Also der Nationale Ethikrat hat ja häufig Stellungnahmen herausgebracht, nachdem sich die Enquete-Kommission schon einige Monate vorher abschließend dazu geäußert hatte. Das ist keine Frage. Nein, es gibt innerhalb des Parlaments eine Bewegung von Parlamentariern, die sagen: Wir haben es für richtig gehalten, dass Abgeordnete daran beteiligt waren, einfach weil sie dann auch die Verantwortung haben, das ins Parlament zu tragen. Das ist eine andere Verfahrensweise. Und da wird es einen Gruppenantrag geben, interfraktionellen, der ein anderes Modell als das, was die Regierung oder Frau Schavan vorsieht, vorschlägt. Und da wird es im Herbst eine spannende Debatte darüber geben.

Kassel: Spannende Frage ist für mich auch immer gewesen - wenn wir mal auf das kommen, woran man immer denkt, sowohl bei der Enquete-Kommission als auch beim Nationalen Ethikrat - die Frage der embryonalen Stammzellen und in welchem Umfang Forschung damit möglich sein soll auch in Deutschland. Ich finde es immer erstaunlich: Wie wichtig ist eigentlich, was das Volk denkt? Denn die EU hat ja, als sie vor zwei Wochen beschlossen hat, da soll auch was gefördert werden in dieser Richtung, eine Umfrage vorgelegt, aus der hervorgegangen ist: 54 Prozent der Deutschen sind im Prinzip für die Forschung mit embryonalen Stammzellen. Kann dann trotzdem ein Rat - wie auch immer er heißt - sagen: Nee, aus unserer Sicht spricht sehr viel dagegen?

Röspel: Na ja, es ist schon interessant, wie man eine solche Umfrage gestaltet. Wenn die Frage heißt: "Wären Sie dafür, mit Stammzellen zu forschen, wenn damit schwere Krankheiten geheilt werden könnten?", dann werde ich da sicherlich mit Ja antworten im Regelfall. Diese Fragestellung verbietet sich aber vor dem Hintergrund der Tatsachen. Und das ist meine Erfahrung, dass natürlich mindestens erst mal eine Offenheit besteht oder eine Unsicherheit: Ja, soll man denn Kranke krank sein lassen, wenn man die heilen kann? Wenn man wirklich erklärt: Worum geht es bei Stammzellforschung? Was ist damit bisher erreicht worden? - nämlich beim Menschen überhaupt noch nichts -, welche Alternativen gibt es und welche Probleme, dann differenziert sich das Bild. Und deswegen, glaube ich, sind solche Umfragen nicht hilfreich. Die geben vielleicht ein Meinungsbild wieder, aber da geht es den Menschen so, wie den meisten Abgeordneten: Man braucht erst mal schon eine Reihe an Hintergrundinformationen, um eine schwierige und individuelle Entscheidung dann am Ende treffen zu können.

Kassel: Und diese Hintergrundinformationen haben die Leute nicht? Ich meine, ich habe das Gefühl, dass gerade über die Frage der Stammzellenforschung - ob mit embryonalen oder adulten Stammzellen oder gar nicht - doch schon sehr viel berichtet wurde und man auch immer wieder den Versuch gemacht hat, das zu erklären. Halten Sie die Leute denn nicht für dümmer, als sie sind?

Röspel: Nein, das hat nichts mit "dümmer halten" zu tun. Es wird zum Beispiel häufig gesagt, man könne Multiple Sklerose damit heilen oder andere Krankheiten, dann wird häufig eben verschwiegen, dass das Autoimmunerkrankungen sind, wahrscheinlich. Das heißt, der Körper bekämpft die eigenen Zellen und da ist es völlig egal, ob Sie diese untergegangenen und zerstörten Zellen durch adulte oder embryonale Stammzellen dann wieder ersetzen - Sie lösen das Ursprungsproblem nicht: dass der Körper nämlich diese Zellen wiederum bekämpft. Und da läuft manches in der Diskussion eben auch schief. Und das ist zum Beispiel Aufgabe der Enquete-Kommission auch gewesen, diese Vor- und Nachteile aufzuarbeiten und dann eine ethische und juristische Bewertung abzugeben, die den Abgeordneten Orientierung bieten kann. Aber letztlich entscheiden sie alle individuell, entsprechend ihres ethischen Horizontes.

Kassel: Frau Schavan hat ja angekündigt, dass sie diesen neuen Deutschen Ethikrat einrichten möchte - oder dass sie möchte, dass die Regierung ihn einrichtet - zum 1. Juli 2007. Also ganz egal, ob der nun in der Form oder in einer anderen kommt, ob es zusätzlich wieder eine Enquete-Kommission gibt oder nicht, wir reden hier von ganz langen Zeiträumen. Sind wir nicht langsam in Deutschland in einer Situation, wo sie auch gerne deshalb so viel darüber reden, weil man damit auch Entscheidungen vertagen kann?

Röspel: Nein, das glaube ich nicht. Wir haben ja eine Entscheidung getroffen, die ist gerade mal vier Jahre alt, nämlich Stammzellen in gewissem Umfang zur Verfügung zu stellen den Forschern. Es gibt 17 genehmigte Forschungsanträge, also von der Zahl her noch gar nicht so viel, und das, was wir an Möglichkeiten bieten den deutschen Forschern, ist noch längst nicht ausgeschöpft. Grundlagenforschung kann da stattfinden.

Deswegen gibt es keine drängende Entscheidung, die vertagt werden müsste, wie auch immer, sondern die deutschen Forscher haben viele Möglichkeiten bereits. Sie können nicht alles, was im Ausland machbar ist, aber manchmal ist es auch ganz gut, wenn man sich auf ein Thema konzentriert und seine Mittel nicht auf vielerlei Hochzeiten verstreut sozusagen. Nein, es gibt da keinen Entscheidungsbedarf. Es gibt die Notwendigkeit, dass das Parlament in solchen Fragen eine Entscheidung trifft und die Regierung nicht schon wieder versucht, etwas vorzugeben, was vielleicht im Parlament nicht getragen wird.

Kassel: Der SPD-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Vorsitzende der Enquete-Kommission "Ethik und Recht in der modernen Medizin", René Röspel, im Gespräch im Deutschlandradio Kultur, ich danke Ihnen.
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